Die Vorlage des Utrechtpsalters.
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kleideten Mann, der einen nicht ganz deutlichen Gegenstand in den
Händen hält, es kann ein Maass sein, aber auch eine Schlange. Die
Nacktheit deutet an, dass wir hier nicht einen Menschen, sondern eine
Personification vor uns haben. Sie ist nur zu erklären durch Vers 8,
dessen griechischer Wortlaut ist: edoo tcc; dvopda<; vj|i(üv Evdmo'v aou,
oa'.ibv 7jp.djv elq tpamopöv tod Kpoowzoo aoo. Zwar ist die Gestalt von der
im Alterthum gewöhnlichen Darstellung des Aeon sehr verschieden,19)
doch hat sie mit ihm das Attribut gemein, sei es, dass wir den Gegen-
stand als Maass oder als Schlange auffassen. Ausserdem sind die Augen
des Herrn, der oben am Himmel sichtbar wird, gerade dieser Figur zuge-
wandt, auf sie passen also die Worte: „Du setztest unser Aeon vor das
Licht deines Antlitzes.“
Ist unsere Deutung richtig, so ist diese Personification beweisend
für die griechische Erfindung der Illustrationen. Sa ec ul um, wordurch
der griechische aübv in der Uebersetzung wiedergegeben wird, ist ganz
unpersönlich. Eine andere Gestalt desselben Psalmbildes zeugt ebenfalls
für den griechischen Ursprung. In der rechten Ecke erscheint eine weib-
liche Figur thronend gleich einer Stadtgöttin mit dem Globus auf der
Linken. Es ist r( oixoo|iev7]. Aehnlich kommt sie in der Miniatur des
18. und 149. Ps. vor, nur hat sie an der letzten Stelle, da hier das
pcop.a aoTTjq besonders hervorgehoben ist, statt des Globus zwei Füllhörner
als Attribut. Ganz anders ist die -p/j des 101. Ps. gebildet, eine gelagerte
Frau mit dem Füllhorn im Arm, gleich wie wir sie auf Zahlzeichen an-
tiken und mittelalterlichen Monumenten finden. Terra heisst die -p7j in
der Vulgata, orbis terrarum ist die Uebersetzung von vj oixoupsv/j, der
Ausdruck hätte schwerlich die Personification in der angegebenen Weise
veranlasst. Auch das Infernum ist ein rein räumlicher Begriff, 6 Aid'/jc;
ist für den Griechen eine lebendige Gestalt, so sehen wir zum 114. Ps.,
der die Worte enthält xivoovoi toü Alooo supoodv p.s, in der Erdtiefe eine
mächtige bärtige Halbfigur, die ihren Arm nach einem entfliehenden Sterb-
lichen ausstreckt. Unwillkürlich erinnert die Gestalt an die Berliner Mar-
morstatuette des knieenden Hades, der sich in den weiten Mantel hüllt.20)
Manche andere Personificationen wurden durch den griechischen Text eher
nahe gelegt als durch den lateinischen. Statt des correxit und firmavit
orbem terrarum geben die plastischeren griechischen Wörter xcdhöpfhoas
und eo-epeojos T7jv oixoo|isv7]v unmittelbar den Begriff des Stützens an die
Hand (Ps. 95, 9'2). So bildete der Künstler zwei Atlanten, auf deren
mächtige Schultern der Erdkreis gelegt ist. Andrerseits, wo es heisst, „die
Erde soll sich bewegen“ (Ps. 98), „ihre Grundfesten sollen erschüttert wer-
ffen“ (Ps. 81), da sehen wir in einer Höhle einen kraftvollen Mann knieend
oder die Füsse fest auf den Boden stemmend; mit beiden Fäusten packt
er den oberen Rand der Höhle, die Erdoberfläche, um daran zu rütteln
19) S. Müller-Wieseler, Denkmäler der alten Kunst II Taf. 75, 967.
20) S. Beschreibung der Berliner Skulpturen No. 82.
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kleideten Mann, der einen nicht ganz deutlichen Gegenstand in den
Händen hält, es kann ein Maass sein, aber auch eine Schlange. Die
Nacktheit deutet an, dass wir hier nicht einen Menschen, sondern eine
Personification vor uns haben. Sie ist nur zu erklären durch Vers 8,
dessen griechischer Wortlaut ist: edoo tcc; dvopda<; vj|i(üv Evdmo'v aou,
oa'.ibv 7jp.djv elq tpamopöv tod Kpoowzoo aoo. Zwar ist die Gestalt von der
im Alterthum gewöhnlichen Darstellung des Aeon sehr verschieden,19)
doch hat sie mit ihm das Attribut gemein, sei es, dass wir den Gegen-
stand als Maass oder als Schlange auffassen. Ausserdem sind die Augen
des Herrn, der oben am Himmel sichtbar wird, gerade dieser Figur zuge-
wandt, auf sie passen also die Worte: „Du setztest unser Aeon vor das
Licht deines Antlitzes.“
Ist unsere Deutung richtig, so ist diese Personification beweisend
für die griechische Erfindung der Illustrationen. Sa ec ul um, wordurch
der griechische aübv in der Uebersetzung wiedergegeben wird, ist ganz
unpersönlich. Eine andere Gestalt desselben Psalmbildes zeugt ebenfalls
für den griechischen Ursprung. In der rechten Ecke erscheint eine weib-
liche Figur thronend gleich einer Stadtgöttin mit dem Globus auf der
Linken. Es ist r( oixoo|iev7]. Aehnlich kommt sie in der Miniatur des
18. und 149. Ps. vor, nur hat sie an der letzten Stelle, da hier das
pcop.a aoTTjq besonders hervorgehoben ist, statt des Globus zwei Füllhörner
als Attribut. Ganz anders ist die -p/j des 101. Ps. gebildet, eine gelagerte
Frau mit dem Füllhorn im Arm, gleich wie wir sie auf Zahlzeichen an-
tiken und mittelalterlichen Monumenten finden. Terra heisst die -p7j in
der Vulgata, orbis terrarum ist die Uebersetzung von vj oixoupsv/j, der
Ausdruck hätte schwerlich die Personification in der angegebenen Weise
veranlasst. Auch das Infernum ist ein rein räumlicher Begriff, 6 Aid'/jc;
ist für den Griechen eine lebendige Gestalt, so sehen wir zum 114. Ps.,
der die Worte enthält xivoovoi toü Alooo supoodv p.s, in der Erdtiefe eine
mächtige bärtige Halbfigur, die ihren Arm nach einem entfliehenden Sterb-
lichen ausstreckt. Unwillkürlich erinnert die Gestalt an die Berliner Mar-
morstatuette des knieenden Hades, der sich in den weiten Mantel hüllt.20)
Manche andere Personificationen wurden durch den griechischen Text eher
nahe gelegt als durch den lateinischen. Statt des correxit und firmavit
orbem terrarum geben die plastischeren griechischen Wörter xcdhöpfhoas
und eo-epeojos T7jv oixoo|isv7]v unmittelbar den Begriff des Stützens an die
Hand (Ps. 95, 9'2). So bildete der Künstler zwei Atlanten, auf deren
mächtige Schultern der Erdkreis gelegt ist. Andrerseits, wo es heisst, „die
Erde soll sich bewegen“ (Ps. 98), „ihre Grundfesten sollen erschüttert wer-
ffen“ (Ps. 81), da sehen wir in einer Höhle einen kraftvollen Mann knieend
oder die Füsse fest auf den Boden stemmend; mit beiden Fäusten packt
er den oberen Rand der Höhle, die Erdoberfläche, um daran zu rütteln
19) S. Müller-Wieseler, Denkmäler der alten Kunst II Taf. 75, 967.
20) S. Beschreibung der Berliner Skulpturen No. 82.
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