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Repertorium für Kunstwissenschaft — 21.1898

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Schmarsow, August: Das Eindringen der französischen Gothik in die deutsche Sculptur
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https://doi.org/10.11588/diglit.68268#0429

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Das Eindringen der französischen Gothik in die
deutsche Sculptur.
Von August Schmarsow.
Das Eindringen der französischen Gothik in Deutschland ist auf dem
Gebiet der Architekturgeschichte schon lange der Gegenstand eines wich-
tigen Kapitels, das sich allmählich geklärt hat und mittlerweile auf allen
Punkten das Fremde unverhohlen anerkennt. Entgegenstehende Theorieen
über den Ursprung der Gothik dürfen liier äusser Betracht bleiben, bis
die historische Forschung über die erhaltenen Baudenkmäler selbst ge-
schlossen ist. Nur die schärfste Bezeichnung des französischen Imports
und seiner Wege vermag uns auch zur haltbaren Charakteristik der ein-
heimischen Umgestaltung dieses Stiles und damit zur Erkenntniss der
nationalen Kunst hindurchzuführen.
Die Geschichte der deutschen Plastik in dem kritischen Zeitraum ist
dagegen noch nicht so weit gediehen. Und doch liegt es gerade im Wesen
der gothischen Sculptur, die sich in Frankreich nur im engsten Zusam-
menhang mit der Baukunst entwickelt hat, dass sie überall diesen Zu-
sammenhang mit dem Bauwerk voraussetzt. Sie beide haben das innerste
Hausgesetz gemeinsam, das aller Einzelgestaltung, sei es in tektonischer
sei es in plastischer Form, die gleiche Abhängigkeit vom Ganzen vor-
schreibt. Die französische Plastik rein gothischen Stiles ist bei aller Monu-
mentalität des Zusammenwirkens doch durchweg decorative Kunst: ihr
Wesen steht dem selbständigen Sinn des Standbildes, der Unabhängigkeit
der Freisculptur von dem Augenblick an fremd gegenüber, wo das Bau-
system als solches in seiner Consequenz geschlossen ward. Die franzö-
sische Gothik ist bald darauf in der Bildnerei ebenso System wie in der
Baukunst. Dadurch unterscheidet sich dieser Stil von dem voranliegenden
Romanismus wie von der folgenden Renaissance, ja der reine Stil von der
Periode seines Werdens, die man Frühgothik, und von der Periode des
Verfalles, die man Spätgothik zu nennen pflegt.
Besteht aber ein solches Abhängigkeitsverhältniss zwischen der Bild-
nerei und der Baukunst auf französischem feoden, so scheint auch der Weg
ihres Importes nach Deutschland unzertrennlich sein zu müssen. Das Auf-
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