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Repertorium für Kunstwissenschaft — 21.1898

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Creixenach, W.: Kleine Beiträge zur Deutung italienischer Kunstwerke
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https://doi.org/10.11588/diglit.68268#0070

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Kleine Beiträge zur Deutung italienischer Kunstwerke.

i.
Das Gemälde Botticelli’s, das sich in Rom in der Sammlung des
Fürsten Pallavicini befindet, hat in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit
der Kunstgelehrten und Kunstfreunde in höchstem Grade erregt. Es stellt
bekanntlich eine Frauengestalt dar, die auf einer Steinbank vor dem ge-
schlossenen Thor eines Palastes sitzt, mit aufgelöstem dunklem Haar, das
Antlitz mit den Händen bedeckend, barfüssig, bloss mit einem Hemd be-
kleidet, vor ihr auf der Erde liegt ein zerrissenes Obergewand. Ob dieses
Bild des tiefsten Jammers eine historische, sagenhafte oder novellistische
Begebenheit darstellen soll oder ob wir eine frei erfundene Scene vor uns
haben, darüber konnte bis jetzt nichts ermittelt werden und diese Un-
sicherheit hat das Ihrige dazu beigetragen, den seltsam ergreifenden Ein-
druck des wunderbaren Werkes zu erhöhen. Mir scheint es jedoch keinem
Zweifel zu unterliegen, dass es sich um eine biblische Darstellung handelt
und zwar um eine Scene aus der Geschichte Thamar’s, der Tochter David’s.
Im zweiten Buch der Könige (resp. im zweiten Buch Samuelis) wird im
13. Kapitel erzählt, wie David's Sohn Amnon in blutschänderischer Liebe
zu Thamar entbrannte, sie mit hinterlistigen Vorspiegelungen in sein
Zimmer lockte und mit seinen Liebesanträgen bestürmte, worauf sie ihn
flehentlich um Schonung bat. Dann heisst es in der Vulgata weiter:
14. Noluit autem [Amnon] acquiescere precibus ejus, sed praevalens
viribus oppressit eam, et cubavit cum ea.
15. Et exosam eam habuit Amnon odio magno nimis, ita ut majus
esset odium quo oderat eam, amore quo ante dilexerat. Dixitque ei Amnon:
Surge et vade.
16. Quae respondit ei: Majus est hoc malum, quod nunc agis ad-
versum me, quam quod ante fecisti, expellens me. Et noluit audire eam:
17. Sed vocato puero, qui ministrabat ei dixit: Ejice hanc a me
foras, et claude ostium post eam.
18. Quae induta erat talari tunica: hujuscemodi enim filiae regis
virgines vestibus utebantur. Ejecit itaque eam minister illius foras
clausitque fores post eam.
19. Quae aspergens cinerem capiti suo, scissa talari tu-
 
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