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Max Wingenroth:
schreibt mit flammendem Enthusiasmus ein Erbauungsbuch für edle Kunst-
schwärmer; oft mit feinem Nachempfinden, aber ebenso häufig mit spitzfindig
symbolistischem Ausdeuten der Werke des Meisters. Wir erhalten in seiner
Schrift weniger Aufschluss über Fra Angelico, als darüber, was ein Anhänger
der genannten Litteratur- und Kunstrichtung in demselben sucht und wie
er sich dessen Seelenleben dichtet. Anders Supino2), der rühmlich bekannte
Kunstforscher, welcher sein Werk verfasst hat im Auftrage der Fratelli
Alinari; bestimmend musste für ihn die Rücksicht auf ein grosses Publicum
sein. Auch er schreibt mit Wärme und Begeisterung, ohne jedoch die
kritische Aufgabe des Kunsthistorikers zu vergessen. An manchen Stehen
möchte man aber fast meinen, dass weniger langjährige Studien als der
Wunsch der Fratelli Alinari ihn zu der Arbeit veranlasst hätten. Doch
müssen wir ihm für die Beseitigung mancher Vorurtheile und für manchen
trefflichen Nachweis dankbar sein.
I.
Dem geschilderten Charakter gemäss dürfen wir im eigentlichen
Sinne kunstwissenschaftliche Untersuchungen kaum von Tumiati erwarten.
Immerhin giebt er in seiner Schrift mancherlei Anregung und spricht inter-
essante Urtheile aus, die Anerkennung oder Widerspruch verdienen. Gleich
anfangs wirft er Rio und seinen Nachfolgern mit Recht vor, dass sie das
Verständniss der künstlerischen Thätigkeit des Angelico sehr erschwerten,
wenn nicht unmöglich machten, indem sie ihn — und man denke, sogar
den lebensfrohen Benozzo - - als Vertreter einer „ecole mystique“ in Gegen-
satz brachten zu allen Zeitgenossen. Aber Tumiati selbst verfällt in einen,
womöglich noch schlimmeren Fehler. Er ist nämlich ein getreuer Anhänger
Ruskin’s, sein ganzes Buch steht unter dem Zeichen des Praeraffaeliten-
Bruderbundes und er macht ohne Bedenken die Urtheile des englischen
Kunstkritikers zu seinen eigenen, so z. B. die übertriebeneWerthschätzung
der Fresken der spanischen Capelle. Nebenbei gesagt, möchte ich auch
sehr bezweifeln, dass Ruskin auf Burckhardt’s herrliche Schilderung der
Giottoschule einen grossen Einfluss gehabt hat, wie unser Autor wissen
will. — Die bekannte englische Kunstrichtung mag ja nun höchst förder-
lich gewesen sein für das Verständniss der Bilder eines Botticelli; wer
aber mit den Augen eines Praeraffaeliten die Werke des Angelico anschaut
— Werke, die so einfach sind, so frei von jedem Haschen nach neuen
Motiven, so gänzlich unberührt von jeder Sentimentalität, — wer dabei Ver-
gleiche mit Holman Hunt anstellt, der dürfte kaum im Stande sein, den
stillen Mönch richtig zu beurtheilen. Dies und ein damit in Verbindung
stehender Neomystizismus — sit venia verbo — verleiten Tumiati zu höchst
bedenklichen Aussprüchen wie z. B. folgendem über Angelico’s Aufenthalt in
3) J. B. Supino. Beato Angelico. Traduit de l’italien par M. J. de Crozals.
Florence Alinari Freres, editeurs. 1898. (Das Werk ist, wohl der besseren Ver-
breitung halber, französisch erschienen.
Max Wingenroth:
schreibt mit flammendem Enthusiasmus ein Erbauungsbuch für edle Kunst-
schwärmer; oft mit feinem Nachempfinden, aber ebenso häufig mit spitzfindig
symbolistischem Ausdeuten der Werke des Meisters. Wir erhalten in seiner
Schrift weniger Aufschluss über Fra Angelico, als darüber, was ein Anhänger
der genannten Litteratur- und Kunstrichtung in demselben sucht und wie
er sich dessen Seelenleben dichtet. Anders Supino2), der rühmlich bekannte
Kunstforscher, welcher sein Werk verfasst hat im Auftrage der Fratelli
Alinari; bestimmend musste für ihn die Rücksicht auf ein grosses Publicum
sein. Auch er schreibt mit Wärme und Begeisterung, ohne jedoch die
kritische Aufgabe des Kunsthistorikers zu vergessen. An manchen Stehen
möchte man aber fast meinen, dass weniger langjährige Studien als der
Wunsch der Fratelli Alinari ihn zu der Arbeit veranlasst hätten. Doch
müssen wir ihm für die Beseitigung mancher Vorurtheile und für manchen
trefflichen Nachweis dankbar sein.
I.
Dem geschilderten Charakter gemäss dürfen wir im eigentlichen
Sinne kunstwissenschaftliche Untersuchungen kaum von Tumiati erwarten.
Immerhin giebt er in seiner Schrift mancherlei Anregung und spricht inter-
essante Urtheile aus, die Anerkennung oder Widerspruch verdienen. Gleich
anfangs wirft er Rio und seinen Nachfolgern mit Recht vor, dass sie das
Verständniss der künstlerischen Thätigkeit des Angelico sehr erschwerten,
wenn nicht unmöglich machten, indem sie ihn — und man denke, sogar
den lebensfrohen Benozzo - - als Vertreter einer „ecole mystique“ in Gegen-
satz brachten zu allen Zeitgenossen. Aber Tumiati selbst verfällt in einen,
womöglich noch schlimmeren Fehler. Er ist nämlich ein getreuer Anhänger
Ruskin’s, sein ganzes Buch steht unter dem Zeichen des Praeraffaeliten-
Bruderbundes und er macht ohne Bedenken die Urtheile des englischen
Kunstkritikers zu seinen eigenen, so z. B. die übertriebeneWerthschätzung
der Fresken der spanischen Capelle. Nebenbei gesagt, möchte ich auch
sehr bezweifeln, dass Ruskin auf Burckhardt’s herrliche Schilderung der
Giottoschule einen grossen Einfluss gehabt hat, wie unser Autor wissen
will. — Die bekannte englische Kunstrichtung mag ja nun höchst förder-
lich gewesen sein für das Verständniss der Bilder eines Botticelli; wer
aber mit den Augen eines Praeraffaeliten die Werke des Angelico anschaut
— Werke, die so einfach sind, so frei von jedem Haschen nach neuen
Motiven, so gänzlich unberührt von jeder Sentimentalität, — wer dabei Ver-
gleiche mit Holman Hunt anstellt, der dürfte kaum im Stande sein, den
stillen Mönch richtig zu beurtheilen. Dies und ein damit in Verbindung
stehender Neomystizismus — sit venia verbo — verleiten Tumiati zu höchst
bedenklichen Aussprüchen wie z. B. folgendem über Angelico’s Aufenthalt in
3) J. B. Supino. Beato Angelico. Traduit de l’italien par M. J. de Crozals.
Florence Alinari Freres, editeurs. 1898. (Das Werk ist, wohl der besseren Ver-
breitung halber, französisch erschienen.