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Schmarsow: Das Eindringen der französischen Gothik etc.
nicht unerwähnt bleiben, das weit ab von Bamberg, im Nordwesten Deutsch-
lands liegt und wieder andere Beziehungen eröffnet. Das sind die Portal-
sculpturen am Dom zu Münster in Westfalen. Auch hier weiss ja die
Baugeschichte des Landes von allerlei Verbindungen der Bischöfe wie
der Klöster mit bestimmten Gegenden Frankreichs zu erzählen, so dass
die Vermuthung, auch plastische Schulung sei von dort importirt, vielleicht
gar bestimmte Vorbilder dortiger Portale nachgeahmt worden, an sich
schon nicht fern liegt. Der Augenschein aber bestätigt dies vollkommen.
In diesem Sinne habe ich stets (im Text zu Naumburg wie im Pan,
Band II, Heft 2) bei den sechs Heiligenstatuen im Chorhaupt des Domes
zu Magdeburg auf die Verwandtschaft ihres Charakters mit diesen noch
spätromanischen Steinbildern am Dom zu Münster hingewiesen. Auch das
Portal in Paderborn ist, obwohl ganz andersartig in seinen figürlichen
Theilen und eher mit rohen Arbeiten Niedersachsen’s verwandt, doch schon
in seiner reichen Decoration der Kleeblattbögen wohl ohne französisches
Muster nicht denkbar.
So liess sich an die Bildwerke des Bamberger Domes, angefangen
etwa von dem grossen Elfenbeincrucifixus neben dem Westchor, ein ganz
umfassendes Stück Geschichte unserer mittelalterlichen Sculptur anknüpfen.
Damit aber haben wir bereits hinter die kritische Periode des Eindringens
französischer Gothik zurückgegriffen, um wenigstens ein Paar Stichproben
auch aus der Zeit romanischen Stiles zu geben. Von der ganzen Linie
an der Westgrenze entlang, von Maastricht mit seinem mächtigen statuen-
geschmückten Portal bis Trier mit den beiden so verschiedenen Beispielen
an der Liebfrauenkirche, oder von Wimpfen im Thal bis Strassburg, ist
nicht gesprochen worden, weil hier das Denkmälermaterial fast nur die
Erwartungen bestätigt, die ihre geographische Lage oder urkundliche
Geschichte bereits aufnöthigt. Es sei denn, dass man uns die Ecclesia
und Synagoge am Doppelportal des Querhauses zu Strassburg mit den
Ueberresten der Tympanonreliefs, oder das ähnliche in S. Thomas wie sta-
tuarische Ueberreste der Bauhütte als Werk unvermischter deutscher Sculptur
vorzuführen trachtet. Diese nationale Kurzsichtigkeit kann der deutschen
Wissenschaft nicht frommen.
Der Werth, den das Eindringen französischer Schulung in Deutsch-
land auch für das Aufblühen der Plastik während der Uebergangsperiode
gehabt hat, liegt meiner Ueberzeugung nach viel tiefer. Und es giebt
eine geschichtliche Auffassung, die unsere herrlichsten Früchte, die Naum-
burger Stifterbildnisse und die Bamberger Heiligengestalten, jedes in seiner
Art hochzuschätzen, d. h. ihrem innersten grundverschiedenen und doch
verwandten Wesen entsprechend zu würdigen weiss. „Vielleicht erklären
sich ihre höchsten Vorzüge nur durch die Lehre gothischer Bildnerschulen
an den Kathedralen Frankreichs und das Fortbestehen des romanischen
Stiles in Deutschland zugleich, zwei Factoren, die nur hier so ausgiebig
sich vereinigen konnten. Weder der eine, noch der andere allein reicht aus.“
Schmarsow: Das Eindringen der französischen Gothik etc.
nicht unerwähnt bleiben, das weit ab von Bamberg, im Nordwesten Deutsch-
lands liegt und wieder andere Beziehungen eröffnet. Das sind die Portal-
sculpturen am Dom zu Münster in Westfalen. Auch hier weiss ja die
Baugeschichte des Landes von allerlei Verbindungen der Bischöfe wie
der Klöster mit bestimmten Gegenden Frankreichs zu erzählen, so dass
die Vermuthung, auch plastische Schulung sei von dort importirt, vielleicht
gar bestimmte Vorbilder dortiger Portale nachgeahmt worden, an sich
schon nicht fern liegt. Der Augenschein aber bestätigt dies vollkommen.
In diesem Sinne habe ich stets (im Text zu Naumburg wie im Pan,
Band II, Heft 2) bei den sechs Heiligenstatuen im Chorhaupt des Domes
zu Magdeburg auf die Verwandtschaft ihres Charakters mit diesen noch
spätromanischen Steinbildern am Dom zu Münster hingewiesen. Auch das
Portal in Paderborn ist, obwohl ganz andersartig in seinen figürlichen
Theilen und eher mit rohen Arbeiten Niedersachsen’s verwandt, doch schon
in seiner reichen Decoration der Kleeblattbögen wohl ohne französisches
Muster nicht denkbar.
So liess sich an die Bildwerke des Bamberger Domes, angefangen
etwa von dem grossen Elfenbeincrucifixus neben dem Westchor, ein ganz
umfassendes Stück Geschichte unserer mittelalterlichen Sculptur anknüpfen.
Damit aber haben wir bereits hinter die kritische Periode des Eindringens
französischer Gothik zurückgegriffen, um wenigstens ein Paar Stichproben
auch aus der Zeit romanischen Stiles zu geben. Von der ganzen Linie
an der Westgrenze entlang, von Maastricht mit seinem mächtigen statuen-
geschmückten Portal bis Trier mit den beiden so verschiedenen Beispielen
an der Liebfrauenkirche, oder von Wimpfen im Thal bis Strassburg, ist
nicht gesprochen worden, weil hier das Denkmälermaterial fast nur die
Erwartungen bestätigt, die ihre geographische Lage oder urkundliche
Geschichte bereits aufnöthigt. Es sei denn, dass man uns die Ecclesia
und Synagoge am Doppelportal des Querhauses zu Strassburg mit den
Ueberresten der Tympanonreliefs, oder das ähnliche in S. Thomas wie sta-
tuarische Ueberreste der Bauhütte als Werk unvermischter deutscher Sculptur
vorzuführen trachtet. Diese nationale Kurzsichtigkeit kann der deutschen
Wissenschaft nicht frommen.
Der Werth, den das Eindringen französischer Schulung in Deutsch-
land auch für das Aufblühen der Plastik während der Uebergangsperiode
gehabt hat, liegt meiner Ueberzeugung nach viel tiefer. Und es giebt
eine geschichtliche Auffassung, die unsere herrlichsten Früchte, die Naum-
burger Stifterbildnisse und die Bamberger Heiligengestalten, jedes in seiner
Art hochzuschätzen, d. h. ihrem innersten grundverschiedenen und doch
verwandten Wesen entsprechend zu würdigen weiss. „Vielleicht erklären
sich ihre höchsten Vorzüge nur durch die Lehre gothischer Bildnerschulen
an den Kathedralen Frankreichs und das Fortbestehen des romanischen
Stiles in Deutschland zugleich, zwei Factoren, die nur hier so ausgiebig
sich vereinigen konnten. Weder der eine, noch der andere allein reicht aus.“