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Repertorium für Kunstwissenschaft — 25.1902

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Jacobsen, Emil: Italienische Gemälde im Louvre, [2]: kritische Notizen zu den im neuesten Katalog angeführten Bildern, sowie zu den vielen neuen Erwerbungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.61695#0300

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286

Emil Jacobsen:

des Quattrocento bei dem Giovannino nicht immer das Asketenthum ange-
deutet, sondern ihn hänfig als fröhlichen Knaben dargestellt haben. Es
kommt doch hier auf den Grad an. Bei einem Maler wie Correggio würde
das Uebertriebene im Ausdruck gewiss weniger befremdet haben, bei
einem Meister der Charakterisirung wie Lionardo hätte man es apriorisch
jedenfalls nicht erwartet. Sehr erklärlich würde es jedoch sein, wenn
ein Schüler einen von dem Meister zu anderem Zwecke geschaffenen be-
rühmten Typus auch in unpassender Weise verwerthet hätte.
Doch Lionardo konnte hierüber anders gedacht haben und schliesslich
muss die Autorschaft nach den künstlerischen Qualitäten der Ausführung
entschieden werden. Wenn nun auch das Bild in dieser Hinsicht dem
Lionardo sehr nahe kommt: ob es sich aber mit der Mona Lisa, mit der
Vierge aux Rochers, mit der hl. Anna messen kann — darüber sind die
Kenner jedenfalls uneinig. Das Bild soll sich sehr lange in Frankreich
befunden haben, ja nach Eugäne Müntz kann man es bis zum Cabinet
Franz I zurückverfolgen. Das bietet eine gewisse Wahrscheinlichkeit
dafür, dass es identisch sein könnte mit dem dem Cardinal Lodovico von
Aragonien vorgezeigten San Giovanni Battista. Doch damit wäre nicht
der Beweis erbracht, dass es ein eigenhändiges Werk des Meisters ist.
Denn ganz abgesehen davon, dass er dies, wie andere Atelierproducte,
mit sich nach Frankreich gebracht haben konnte, so war er ja auch hier
in Amboise nicht allein, sondern bei ihm war sein beliebtester Schüler
Francesco Melzi. Dieser arbeitete ohne Zweifel im Atelier des Meisters
und ein Bild von ihm, vielleicht von Lionardo retouchirt, kann sehr wohl
von dem vornehmen Besuch als ein Werk des Meisters angestaunt worden
sein. Von Lionardo überarbeitet dürfte das Bild jedenfalls sein. Dies
ergiebt sich schon aus dem Spiel von Licht und Schatten, welches mit
wunderbarer Wirkung über das schöne Gesicht gleitet. — 459. Die Ma-
donna auf dem Schooss der hl. Anna. Ein unter Mitwirkung von Gehülfen
ausgeführtes, nicht ganz vollendetes Werk Lionardo’s. Der Carton in
London, wesentlich verschieden von dem Gemälde, muss doch als der
erste Gedanke dazu betrachtet werden. Hier kommt bekanntlich noch
nicht das Lamm, dagegen als Ersatz der kleine Johannes vor. Der
seiner Zeit so berühmte und von Vasari mit Begeisterung erwähnte, wenn
auch, wie es scheint, unrichtig beschriebene Carton, der die endliche Re-
daction der Composition enthält und wonach Lionardo später das Louvre-
bild gemalt hat, ist leider verschollen,68) Es ist dies der Carton, der
viele Künstler inspirirt hat, zuerst Raffael, wie seine 1507 gemalte Heilige
Familie mit dem Lamm in Madrid bezeugt; später in Mailand Sodoma,
Giampietrino u. a. Das Bild von Luini in der Ambrosiana geht dagegen
auf den Carton in London zurück. Neuerdings hat Dr. Müller-Walde
nachzuweisen versucht, dass noch eine frühere Redaction jener zweiten
Composition existirt haben muss. Er fand nämlich in der Sacristei der

68; Copieen in Turin und in der Coll. Esterhazy zu Budapest.
 
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