Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

DOI Heft:
Nr. 9
DOI Artikel:
Schäfer, Wilhelm: Der Enkel des Tiberius
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0144

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DER ENKEL DES TJBERIUS.

das Gras gesteHt und stand mit beiden Händen
auf seinen grauen Sonnenschirm gestützt davor:
Wen er sich dächte, der sich ein ganzes Römer-
grab mit Dreck und Knochen in seine Stube
stelie ?
Die Bäuerin aber war im Streiten ihm über-
legen trotz seiner Professur: Wofür denn anders
der Staat das viele Geld ausgäbe! Und obwohi
er alle Klugheit und die Gläser vergaß:
Gewiß nicht für die Bauern. Es käme der
Wissenschaft auf den Befund, nicht auf die
Sachen an; wer könnte nach soicher Wühierei
noch sagen, wie das Einzelne gelegen habe: so
trug dies zwar dem Lüsebrink einen ver-
heißungsvollen Biick ein, dem Professor aber
ging sie mit so viel keifenden Worten von be-
trogenen und ausgeraubten Bauern an den Leib,
daß der die Giäser auspackte und mit leerem
Koffer den Wiesenweg hinunter ging, nicht ohne
ein paarmai etwas vor sich hin zu rufen von
einem dummen Luder. Er war auch noch
nicht bei der kleinen Brücke, die über den
Bach zur Straße führte, da ärgerte es ihn um
die schönen Giäser, daß er entschlossen um-
kehrte und an der höhnischen Frau vorbei dem
Lüsebrink ein Goidstück bot. Der sah ihn mit
verkniffenen Augenfalten an. ,,Zwanzig?" schrie
er, und ,,Fünfzig" und hielt der Frau den Schein
gieich hin. Die wartete auf mehr, obwohl der
Schein ihr dicht vor Augen war, so daß dem
Wütenden nichts übrig blieb, als diesmal iauter
von dummen Luders räsonierend endgültig ab-
zuziehen.
So kam die Frau in eine ungeheure Meinung
von ihrem Römergrab. Vorsichtiger ais Wickei-
kinder gab sie die Giäser dem Lüsebrink zu-
rück; der trug sie auf den Armen in das Grab
und iegte den Deckel wieder drauf und Latten
auf die Bretterspaiten, damit es seinem Römer
nicht wieder auf die Knochen regne. Und
mußte am selben Tag mit vieler Schreiberei
an die Museen beginnen. Die hei nicht giückiich
aus: die meistenBriefekamenaisunbesteiibarvon
der Post zurück und keiner von den andern fand
eine Antwort. Sie wartete das ab, drei Wochen
lang, die ersten Tage in Gewißheit, dann in
verbissenem Trotz, zum Schluß in grimmiger
Verzweifiung: nicht daß ihr Römergrab den
Wert nicht habe, sondern daß es ihnen ais
armen Bauern unmögiich sei, es anzubringen.
So dauerte es kaum einen Monat, da hatte
der Römer dem Bauer Lüsebrink Verdrossen-
heit und Zank ins Haus gebracht. AIs er gieich
einem kranken Hund schon wochenlang vom
bösen Witz der Bauern gehänselt durch die
Felder strich, kam um die Vesperzeit der
Pfarrer aus dem Nachbardorf und ließ sich
von der Frau — der Lüsebrink war nicht zu
Hause das Römergrab aufdecken. Er mochte
als Student von solchen Dingen das Seinige
wohl gelesen haben, doch war es lange her.

So nahm er prüfend die Gläser in die Hände
und klopfte auch daran mit seinem Ring und
lobte den Lüsebrink, daß er die Sachen so heil
herausgegraben hätte. Dann baute er sehr schöne
Sätze vom Segen solcher Funde fürs mensch-
liche Gewissen und sah nicht, daß dem Schädel
das durchgetropfte Wasser quer über seine
Zähne einen Streifen gezogen hatte, der wie
Bartfäden bei dem Wels nach rechts und links
hinunterhing, so daß er zu den Worten des
Pfarrers tückisch zu lächeln schien.
Dann nahm er einen Sprung in völlig andere
Gebiete: der Staat natürlich sei mit dem Platz
in den Museen zu knapp gestellt; auch sei es
sittlicher, dergleichen an seinem Ort zu lassen,
damit es von der menschlichen Vergänglichkeit
inmitten der ewigen Natur — gleich einer
Fliege im Bernstein — anderes Zeugnis zu
geben vermöchte, als in kalkigen Museums-
sälen. Nachdem auf sie das rätselhafte Glück
gefallen sei, gewissermaßen aus den Händen
der Weltgeschichte den Römer zu empfangen:
sollten sie ihn auch dem Dorf, der Heimat und
dem Vaterland erhalten! Sie möchten statt
diesem Deckel einen Schuppen darüber bauen,
daß jeder das Grab betrachten könne. Auch
jeder Fremde — hier hob er seine Stimme —
und wenn sie denen ein kleines Trinkgeld, es
zu zeigen, nähmen, so hätten sie ein Kapital
daran, das täglich Zinsen würfe
Die Rede war nicht dumm; nur hatte der
Pfarrer, der sich gern vermaß, aus einem ganz
verrückten Seelenknäuel den rechten Faden noch
abzuwickeln, sich selber den Knoten hinein-
gemacht. Denn als der Schuppen schon über
einen Monat mit seinem Teerdach stand, das
sich nach rechts und links gleich den gesenkten
Flügeln einer Henne zur Erde schrägte, und
hier und da wohl ein Bekannter — vom Piarrer
hingeschickt — auch sonst zufällig ein paar
Fremde gekommen waren, die Summe ihrer
Gelder aber zwei Mark und fünfzig Pfennig
nicht überstieg: da hatte die Bäuerin den armen
Lüsebrink an einem Sonntag so verhetzt, daß
er nicht völlig nüchtern nach einer wohllaut
abgeklungenen Predigt dem Pfarrer in das Haus
hel. Er hatte ein so verzwicktes Lächeln um
den glattrasierten Mund, indessen seine
Arbeitshände den Hut wie einen Panzer
vor sich hielten, daß der Pfarrer ihm Wein
herbrachte, davon er gleich ein Glas austrank
und auch ein zweites eingießen ließ. Doch kam
dem Pfarrer mit der Kanne in der Hand ein
rascher Einfall, womit er diesmal noch durch-
zukommen hoffte: Warum nicht längst da an
der Straße, wo täglich Wagen und Wanderer
vorüber kämen, ein Schild anzeigte, daß hier
das Römergrab zu sehen wäre?
Und drehte den Gedanken, im Zimmer hin
und her spazierend mit festen Schritten, wie
es die eingebogenen Kniee und auch sein

106
 
Annotationen