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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 9
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Schäfer, Wilhelm: Der Enkel des Tiberius
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0145

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DER ENKEL DES TIBERIUS.

Bauch so mit sich brachten, und so im Sprechen
dem Lüsebrink ein drittes und viertes Glas
eingießend, noch vielmais um und kränzte ihn
mtt so viel Worten, daß der Bauer Lüsebrink
zutetzt mit einem Kopf voil Bilder, dazu vom
guten Wein völlig benebeit, an einer schweren
Zigarre rauchend noch immer zwar verdrossen,
doch in einer prahlerischen Verwegenheit grad
aus dem Pastorat ins Wirtshaus ging, wo er
dem Sachsen in die Hände hel.
Denn ais er — seibst nicht fähig, solch ein
Schiid zu malen — dem Wirt ansagen woüte,
wenn in den Tagen ein Schiidermaler käme,
den möge er ihm schicken, und sich bei einigen
übien Giäsern Bier, vom Wein des Pfarrers
schwatzhaft, in diese neue Wendung seiner
Sache v:rfaselte, nicht ohne manchen Hinblick,
wie ers dem Pfarrer diesmai gegeben habe:
saß in der kühlen Ofenecke, die Hände in einer
arg verschabten Manchesterhose versenkt, ein
eiend fahler Keri. Der äugte ein paarmal nach ihm
hin, saß aber schläfrig den Kopf aufs Kinn ge-
hängt, bis er sich mit den Armen segelnd an
ihren Tisch hermachte und mit betrunkener
Verbeugung seine Kunst dem Lüsebrink anbot:
er sei zwar sonst kein Schildermaler, doch
woiie er ihm schon ein recht geschwungenes
Stück beibringen. Das sang er recht mit seiner
dünnen Sachsenstimme und wurde auch nicht
zornig, als sich der Lüsebrink, die Faust auf-
schlagend, mit bäurisch aufgepatztem Hochmut
dem Wirt anhängte: er möge ihm den Hunger-
leider aus Sachsen vom Leibe halten.
Der aber war ein Stukkateur, den sie hier
in den Dörfern im Tagelohn verschlissen, ein
gar nicht ungeschickter Kerl, wenn er noch
nüchtern war. Er brachte schon am zweiten
Tag darauf ein Schild, wie eine Hand gesägt,
das stark nach Farbe roch und in dick über-
weißtem Grund auf der einen Seite in rot und
grünen Linien grell aufgemalt die Inschrift
zeigte: Hier ist das Römergrab zu sehen, und
auf der andern, gleich schön gemalt: Der Enkel
des Tiberius. Und war bescheiden zufrieden
mit einem Schnaps und fragte den Lüsebrink
beiläuhg nur, ob er nicht wisse, wer eigentlich
sein Römer sei? Darüber hatte der nicht nach-
gedacht; der Sachse aber kramte die Welt-
geschichte aus und wußte aus Büchern ganz
genau, hier in der Gegend wäre der Enkel des
Tiberius vom Pferd gestürzt, und viele Forscher
hätten schon das Grab gesucht.
Nun brauchte der Bauer Lüsebrink sonst
stärkere Haken, eine Dummheit dranzuhängen.
Doch weil er von dem Römer schon ganz zer-
schlagen und begierig nach einem Ausweg war,
so brauchte der Sachse nicht einmal viel zu
reden und er dachte: Wenn er schon seinen
Römer hätte, wer sagte denn, daß es kein
Feldherr sei. Und stellte das Schild mit solcher
Inschrift dreist an die Straße; und als der

Sachse ein paarmal wiederkam, es dürfe kein
solcher Schuppen bleiben mit Teer und Dreck;
es müsse eine Grabkapeüe werden mit Säulen
und goldenen Kapitälen: da war er schon im
besten Willen, das einzurichten: als sich der
Sachse auf andere Zeiten besann, wo er noch
durch Europa zog mit Löwen und Elefanten in
einer Menagerie.
Was er denn glaube, wenn einer mit der
goldenen Brille das Grab gefunden hätte? Wie
dann die Zeitungen davon zu sagen wüßten.
Und alle Direktoren kämen, Staatskosten erster
Klasse, angefahren. Wer aber ginge recht be-
sehn hinein in die Museen? Er wisse besser,
wo der gemeine Mann sich seine Bildung hole:
Auf Märkten und auf Messen, da kriege er
seit alter Zeit gezeigt, was wissenswert und
nützlich sei: Das Erdbeben von Lissabon oder
die mechanische Hand! Ob aber sein Enkel
des Tiberius nicht eine andere Sache wäre! -—
Wieviel denn Menschen an einem Tag hier
über die Straße kämen? Sieben oder dreizehn.
Auf einer Messe zu Frankfurt oder sonst, da
liefen sie zu Tausenden durcheinander. Wenn
dann vor einer Bude der Rechte stände zum
Rufen — er wolle sich nicht rühmen, obwohl
er schon in Kopenhagen —
Darüber nahm er eine Latte vom Boden
auf und schwenkte sie im Bogen an der Stall-
wand her, davor sie standen: ,,Hierher, wer
Bildung liebt! Hier ist der große Feldherr, der
Enkel des Tiberius zu sehen! — Zwei Treppen
müssen da sein: von rechts hinein, nach links
hinaus bei dem Gedränge. Und mitten steht
die Kasse: im ersten Platz machts vierzig
Pfennig, im zweiten dreißig, Kinder die Hälfte.
Das gibt euch einen Sack voll Nickelgeld am
Tag; zehn Nickel sind ein Silber, zehn Silber
Gold."
Der Sachse hatte sich listig einen Abend
abgepaßt, an dem die Bäuerin mit der Ziege
zum Bock gegangen war. Sie mochte das
fremde Mannsvolk nicht; auch war sie nach
der ersten Hitze längst verdrossen, in-
dessen den schwer geplagten Lüsebrink
erst jetzt der Eifer faßte. Es dauerte
nicht allzulange, so war das Spottgerücht im
Dorf, er wolle eine Kirmesbude mit seinem
Römergrab anfangen. Der Pfarrer kam, sehr
ernst zu warnen; er fand die Bäuerin stumpf
und verweint, den Lüsebrink mit heißen Augen,
wie einen, den zu stören ein Fieber aufrühren
kann. An einem Morgen stand der Römer in
Sägemehl verpackt mit allen Gläsern in einer
Hachen Kiste auf dem Hof, und am Abend vor-
her hatte der Lüsebrink einen Acker verkauft
um hundert Taler.
Da kamen gegen zehn Uhr morgens drei
Brüder der Bäuerin auf den Hof, handfeste
kleine Kerle, die scharf um die Scheuer hinter-
einander in die Küche gingen, aus der die
 
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