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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 9
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Schäfer, Wilhelm: Der Enkel des Tiberius
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0146

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DER ENKEL DES TIBERIUS.

Bäuerin sofort entwich, indessen sie zum Lüse-
brink ins Zimmer traten. Sie hatten der Erb-
schaft wegen schon lange einen Handel mit-
einander; so blieben sie mit ihren Kappen auf
dem Kopf beieinander stehn und ließen dem
Sachsen absichtlich einen Durchschlupf, den
er sehr bald benutzte. Dann holten sie drei
Stühle, setzten sich fest darauf und einer klopfte
den Staub aus seiner Hose und meinte: Ob
stch der Schwager verändern wolle? Und als
er nichts darauf erwiderte, nur immer noch in
Überraschung an seinem noch leeren Ranzen
bastelte, wurde es dem Hitzigsten zu lang; er
drehte den Kopf frech nach ihm hin: Wer
seine Frau ernähren sollte, wenn er bei den
Seiltänzern und Komödianten wäre?
Worauf die verwandtschaftliche Unterhaltung
rasch zu Ende war: Sie möchten der Schwester
ehrlich ihr Erbteil geben, wenn sie in Sorge
wären; und im übrigen — hier packte ihn der
Jähzorn, so daß er anhng zu schreien — aus
seinem Hausfrieden gehn. Sie schienen nichts
anderes gewollt zu haben, lachten auf ihre bös-
artige Bauernart und gingen hinaus, den Sachsen
aufzuspüren. Der hatte sich, mit solchen Dingen
nicht unbekannt, rasch in die Scheuer beiseit
getan und tief ins Heu verkrochen. Die Bäuerin
aber gab Bescheid; nicht lange, so hatten sie
ihn schon geiaßt, der laut um Hilfe zu schreien
anhng. Dabei kugelten sie miteinander auf die
Tenne und kamen — zur Flucht aufspringend
er und sie wie Rattenfänger über ihn her —
ans Tageslicht, wo sie ihn neben der Dünger-
grube hinwarfen und unbarmherzig auf ihn
hieben. Bis er auffahrend ein offenes Messer
hatte und dem einen tief in den Arm hieb,
daß die andern, von dem aufspritzenden Blut
verwirrt, zwar seinen Ärmel behielten, doch ihn
selber über den Misthaufen springend gegen
den Wald hinauf entlaufen sahen. Zwar rannten
sie beide mit Hetzgeschrei noch hinterher;
doch weil die Bäuerin kreischend nach ihnen
rief, so kamen sie zurück und halfen ihr bei
dem Verletzten. Während sie nach Wasser
liefen und ihm den Hemdärmel hochstreiften,
kreischte die Bäuerin zum andernmal, dem
Hause zugewandt, wo der Lüsebrink tollwütig
durch Geschrei und Blut mit seiner Flinte
drohend in der Haustür stand.
Einzig die Bäuerin hatte Mut, lief schnell
wie eine Ziege zu und riß ihm seine Flinte so
mit dem Lauf nach unten, daß der Schuß zwar
losging, doch der Schrot wie aus einer Spritze
nur in den Misthaufen prasselte, so daß die
Strohfetzen Hogen und die Jauche aufklatschte.
So war zwar niemand getroffen, aber eine Er-
regung in allen, wie wenn ihrer zehn dalägen.
Die beiden unverletzten Brüder rissen dem Lüse-
brink die Waffe aus den Händen und schmissen
sie rasselnd weit von sich auf die Steine.
Die Nachbarn sprangen zu; nicht lange,
so lag der Lüsebrink mit Stricken gebunden

auf der Erde. Während sie, auf Schlim-
meres gefaßt, mit Geschrei noch immer hin
und wieder liefen, wie Hunde bei verfehltem
Wild, wollte das Unglück, daß einer über die
Kiste stolperte, darin der Römerhauptmann mit
Stricken und Schrauben versichert in seinem
Sägemehl lag. Sofort schrie der Gestolperte
nach einem Brecheisen, und aile halfen mit
Hämmern und mit Zangen; und als sie das
Gerippe dann offen liegen hatten mit seinem
tückischen Gebiß und einem Strahl der Morgen-
sonne in den Augenhöhlen, wie Schadenfreude,
daß nun sein Streich gelungen wäre: schlug
einer mit dem Brecheisen ihm seine Rippen
ein. Das gab nur einen dumpfen Laut, wie
man ins Gras schlägt; doch weil die Glieder
dabei zappelten und auch der Schädel kippte,
so daß sein schwarzes Kinnbackenloch nach oben
lag: so wurden sie wild und rafften Steine und
Stöcke und nahmen die Knochen in die Hand
und schlugen hatzschreiend in die Gläser und
Töpfe und machten ein Gemengsel von Scherben,
Staub und Knochen; und warfen in Ausgelassen-
heit den Schädel zum Kegeln über den Hof.
Zwar kam der Pfarrer gleich darüber, doch
mußte erden Schädel selber aufheben, ehe siedas
Kegelspiel aufhörten. Er wollte sie anfahren
um der Heiligkeit menschlicher Gebeine willen;
der jüngste von den Brüdern aber schrie da-
zwischen: Ob einer lebendig nicht auch was
gelte? So sah er jetzt erst den Verletzten, der
sich auf einer Egge sitzend von der Bäuerin
seinen blutigen Arm abwaschen ließ, sah auch
das arg zerworfene Gewehr und dann den Lüse-
brink mit Stricken umwickelt auf der Erde liegen.
Er mußte meinen, daß der die Wunde geschossen
hätte, und trat mit milder Richtermiene vor ihn
hin; er hatte die Augen wohl weit auf, schien
aber nichts mehr wahrzunehmen. Er wollte
ihn losbinden lassen, sie taten aber sehr er-
schrocken, und weil im Augenblick der Fuhr-
mann kam, die Kiste zur Bahn zu holen: da
dachte er nicht lange nach, ließ ihn den Lüse-
brink anfassen und auf den Wagen laden,
und eilig ins Nachbardorf zum Pfarrhaus
fahren. Die Männer, die ihmdenBauer wie einen
Eber auf den Teppich legten, gingen nicht gleich
hinaus und warnten ihn; er schloß die Tür
hinter ihnen ab und band die festgeschnürten
Stricke los und mußte ihn wie ein Bündel rollen,
so steif war er. Auch als er ihn auf seinem
Sofa sitzen hatte, schien ihm das Leben noch
abgeschnürt.
,,Das Römergrab ist Euch zum Unglück aus-
geschlagen," versuchte er sehr sanft zu sagen
und hatte nicht den Mut, ihm eine von den
weiß und blau verschnürten Fäusten anzufassen;
und redete ihm noch in Vielem zu ünd sagte
am Ende ganz verzweifelt: ob er nicht nun in
Ruhe nach Hause gehen wolle!
Da hob der Lüsebrink sich auf wie einer,
der vom Gericht aufsteht, und suchte nach seiner
 
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