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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 12
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Maschienenmöbel oder Handwerker
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0291

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Richard Riemerschmid: Schlafzimmer. Lärche, Beschläge Eisen blank. 420 Mk.

ly/TASCHINENMÖBEL ODER
lYJL HANDWERKER?
In dem Briefwechse! zwischen Herwegh
und seiner Braut, den die ,,Neue Deutsche
Rundschau" in diesem Sommer abdruckte, war
es für uns staunenswert und nicht ohne Rührung
zu lesen, wie sie ihm seinen Schreibtisch, einen
besonderen Stuhl für den Freund und all das
andere gezeichnet hatte, was ein junges Paar
ais Hausrat in seine Wohnung stelien wiil.
Heute mag das schon wieder keine Seltenheit
mehr sein, daß eine Braut dergieichen Dinge
treibt; aber dann war sie gewiß auf einer
Kunstgewerbeschule, hat in AussteHungen selbst-
entworfene Kissen, Stickereien und hand-
geknüpfte Teppiche ausgestellt und ist mehr
Künstierin als Braut. Bei jenen altmodischen
Menschen vor 1848 vollzog sich das viel ein-
facher; die Möbelfabrikation war noch nicht
erfunden (also auch das sogenannte Berliner
Möbel noch nicht), wohl aber gab es damals
Schreiner, die ein höheres Ziel hatten, als
irgend einem Bauunternehmer jahraus jahrein
dieselben Türen, Fenster und Treppen zurecht
zu hobeln. Und wie man sich seine Hosen,
Westen und Röcke beim Schneider anmessen
ließ, bestellte man sich seine Schränke, Tische
und Stühle nach Maß und Holz und Machart.
Das war für alle Teile ein natürlicherer Weg,
als wenn heute die Paare durch die Möbellager
ziehen; und es gibt genug Bauerngegenden in
Deutschland, wo immer noch der Nußbaum
wächst, damit die Tochter ein Bett und Schränke
daraus bekomme.
Ob dies für uns Stadtmenschen so ganz ver-
loren ist? Man möchte sagen ja; es fehle

zweierlei: Liebe und Zeit zu solchen Entwürfen
und mehr noch der Schreiner, der es macht.
Vielleicht scheint dies nur so; hier am Rhein
im alten Städtchen Braubach wie ehemals in
Pankow bei Berlin habe ich meinen Mann ge-
funden, der sauber und gewandt — und billiger
als die Fabriken mir macht, was ich so brauche.
Es wird mehr an uns als an den Schreinern
fehlen; jeder Handwerker von Beruf zeigt lieber
an einem einzelnen Stück, was er gelernt hat,
als daß er Fabrikware schustert; wenn wir
wieder ein Bedürfnis nach selbstgemachten
Dingen schaffen, werden die Handwerker gewiß
auch wieder da sein.
Dies alles fällt mir ein, wie ich den Katalog
der Dresdener Werkstätten durchblättere und
Zeichnungen und Preise der Maschinenmöbel
prüfe, die Richard Riemerschmid entwarf. Wir
wissen alle, daß jetzt nach dem endgültigen
Sieg des künstlerischen Geistes im Haus- und
Möbelbau auf der Dresdener Ausstellung und
nach dem Mißerfolg der Fabrikanten mit ihrem
Jugendstil keine Frage uns näher auf den Leib
rückt als diese: wie wenden wir diese FüIIe
von künstlerischen Kräften an, um das Be-
dürfnis des Bürgerstandes nach bürgerlichem
Hausrat in die Bahnen des guten Geschmacks
zu ienken? Da erweist sich leider das Ver-
hältnis zum eigenen Schreiner als ein ideales.
Die meisten Paare vermögen nichts, als gut
oder schlecht beraten zukaufen; zubesonderen
Entwürfen eines Künstlers reicht das Geld
nicht, also bleibt das Möbelgeschäft, d. h. die
Fabrikation. Geschirr, Leinen, Glas, Vorhänge:
dies alles kann man heute zweckmäßig und
nicht teuer kaufen, nur gute Möbel nicht. Und
doch gibt es keinen Grund, einen guten Tisch
nicht hundertmal zu machen. Oder gab es

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