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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 1
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Scholz, Wilhelm von: Begegnungen mit Hebbel: aus: die Beichte; Novellen von
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Hashagen, Justus: Mittelalterliche Anfänge des rheinischen Geisteslebens
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0037

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Begegnung mit Hebbel.

in eine dämmrige Ecke des Zimmers, wie in die um vier
oder fünf Jahrzehnte zurückliegende Zeit sah, riß die
Vergangenheit heran.
Als unser Gespräch wieder ruhig und halblaut dahin-
floß und mein nicht mehr gebannter Blick rings über die
Möbel, die alten Aierstücke, Kränze und Becher, die gold-
gerahmten Aquarelle ritterlicher Szenen, dieses stille
Aeitinnere aus den vierziger und fünfziger Jahren hin-
glitt, hatte ich plötzlich das bestimmte Gefühl, als sei
ich eben für eine einzige Sekunde Hebbel begegnet. Das
Erinnerungsbild Hebbels in der Seele des alten Künst-
lers, das im Zimmer neben mir gestanden hatte, hatte
sich mir blitzschnell mit Abbildungen, die ich kannte, und
mit der Gedankengestalt des Mannes verbunden und
war nun so stark geworden, daß ich es jetzt, wo es aus dem
Zimmer geschwunden war, nicht anders vor mir sah,
als wie einen eben hinausgegangenen wirklichen Menschen.
ittelalterliche Anfänge des rhei-
nischen Geisteslebens.
Unter römischer und merowingischer Herrschaft war
das Rheinland Jahrhunderte hindurch ein Grenzland,
ein Außengebiet gewesen. Erst als in seiner westlichen
und östlichen Nachbarschaft die Friesen und Sachsen
unterworfen wurden, rückte es allmählich in das Innere
des fränkischen Reiches hinein, ja bald, wenn nicht äußer-
lich, so doch innerlich, in seinen Mittelpunkt. Das ge-
schah unter den Karolingern. Noch nie hatte ein Herr-
scherhaus in so engen Beziehungen zum rheinischen Lande
gestanden wie dieses. Sein reicher Grundbesitz gewann
hier die größte Ausdehnung. Schon deshalb hatte die
Dynastie ein Interesse am Aufblühen des Landes.
Daher wurde die innere Kolonisation auch im schwer zu-
gänglichen Waldgebirge jetzt weit über die römischen und
merowingischen Grenzen hinaus ausgedehnt. Der Aus-
bau des Landes nahm einen großartigen Umfang an.
Immer mehr wurde das Rheinland zum bevorzugten
und gesegneten Aentrallande der karolingischen Mon-
archie. Hier befanden sich neben den alten Familien-
klöstern die glänzenden Herrschersitze, die Pfalzen. Un-
auflöslich ist der Name Karls des Großen mit Aachen ver-
bunden.
Das Rheinland erlebte damals eine der glücklichsten
Perioden seiner vielbewegten Geschichte. Neben der
materiellen Blüte, wie sie außer in den raschen Fort-
schritten planmäßiger innerer Kolonisation auch in den
kräftigen Anfängen von Gewerbe und Handel zutage
trat, begegnet man einem für die damalige Zeit reich
und vielseitig entwickelten Geistesleben. Es geht ein
starker Bildungsdrang durch die höhere fränkische Ge-
sellschaft. In der Aachener Hof-, in der Kölner Dom-
schule und in den Stifts- und Klosterjchulen hat er sich
gerade im Rheinlands die schönsten Bildungsstätten ge-
schaffen, die von mancherlei Strahlen antiker Kultur er-
leuchtet sind.
Es ist kein Zweifel, daß sich Karl der Große selbst
höchst persönlich um die Begründung und Ausgestaltung
der ältesten und vornehmsten rheinischen Bildungsstätten
große Verdienste erworben hat. Von seiner unstillbaren

Wißbegierde und seinem edlen Bildungsstreben erzählen
die Zeitgenossen. Kulturpolitik war ihm Bedürfnis,
zumal im Kernlande seines Reiches, dem seine eigene
Familie entstammte: „weil ihm das Wissen Befriedigung
gewährte, schätzte er es für die Allgemeinheit".
Nicht an äußerer Macht und an Reichtum fehlte es,
um seine hochfliegenden Pläne zu verwirklichen, wohl
aber an Personen, an einheimischen, auch an rheinischen
Führern zu höherer Geisteskultur. Aber der Kaiser ver-
zweifelte deswegen nicht an der Erreichung seiner großen
Ziele. Nun warb er bei andern Germanenstämmen,
bei Langobarden und Goten und besonders bei den
Angelsachsen, damit sie ihm die klügsten Köpfe und die
fleißigsten Hände zu geistigem Aufbau überließen. Seine
Bemühungen hatten den Erfolg, daß sich in Aachen
erlesene Männer der Wissenschaft und Kunst, der Bildung
und Lebensweisheit um ihn scharten. Man bezeichnet
ihre geistigen Leistungen mit dem Ehrennamen der
karolingischen Renaissance. Von einer Wiedergeburt .
auch nur der wesentlichen Elemente der Antike konnte
man freilich kaum sprechen. Der christliche Geist an Karls
Hofe war noch zu jung und zu stark, als daß er sie geduldet
hätte. Aber eine Wiedergeburt war es trotzdem, und ihre
Stätte war das Rheinland.
Die fremden Mitarbeiter aber, die der Kaiser herbei-
rief, konnten im Rheinland nur deshalb so segensreich
wirken, weil sie, wenn auch auf keine geistig produktiven
Kräfte im strengen Sinne des Wortes stießen, jo doch auf
vielseitiges Verständnis. Den ersten Angelsachsen, den
er berief, bestellte Karl zum Abte des Klosters Echternach,
und die Schüler Alcuins, des bedeutendsten angel-
sächsischen Gelehrten, erlangten rheinische Bischofssitze.
Wenn auch unter den Führern der karolingischen Re-
naissance geborene Rheinländer fehlen, so war doch der
Schauplatz dieser Renaissance vornehmlich das Rhein-
land und der Aachener Hof. Mit dem, was der Kaiser
in Aachen geschaffen hat, und was nun weit hinauswirkte
in die Lande, beginnt die rheinische Geistesgeschichte des
Mittelalters.
Die Art aber, wie sich ein blühendes rheinisches
Geistesleben unter Karl dem Großen entfaltete, wird
vorbildlich für alle folgenden Zeiten, bis heran an die
Schwelle der Gegenwart. Es gibt kaum einen deutschen
Stamm, der auch später auf die anderen eine solche An-
ziehungskräft ausübte, der aber auch alles, was geistig
den Durchschnitt überragte, so gastlich bei sich aufnahm
und ihm einen so prächtigen Resonanzboden verschaffte,
wie der rheinische. Erbe und Vorbild Karls des Großen
und seiner Freunde haben Frucht getragen. Wie in den
Anfängen, so war das rheinische Geistesleben auch später
durch eine wunderbare Aufnahmefähigkeit ausgezeichnet.
Schon in karolingischer Zeit lockten aber nicht nur die
angenehmen äußeren Lebensbedingungen im Schutze
der wohnlichen Pfalzen, sondern auch ein Kreis von
bildungshungrigen, weltoffenen und schönheitsbegeister-
ten Rheinländern, deren feinsinnige Kulturarbeit fort-
lebt, wenn auch ihre Namen meistens untergegangen sind.
In ihnen fanden die Ausländer jene bewährten Hilfs-
kräfte, ohne deren gleichgesinnte Tätigkeit das große
Werk neuer Bildung, wie es dem Kaiser vorschwebte,
nicht zu vollführen war.


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