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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 3
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/Htertrud Storm. Ein Kranz Zeilen um sie her.
Es ist ein Wispern und Raunen um die zarte Frau, die
als letztes Kind der schon lange seligen Frau Constanze auf die
Welt kam. Kränklich-blaß war ihr kleines Gesicht in ihrer Jugend-
zeit — Vater und Mutter Storm sorgten drob sehr um Dettes
Gesundheit, so Gertrud im Dichterhause den Kosenamen trug.
Große Männer der Zeit sah das stille verträumte Töchterchen
in Freundschaft um den Vater her: den lieben, großväterlichen
Klaus Groth, der einst in jungen Jahren so herrliche Liebesbriefe
an seine Braut schrieb, den Friesendichter Wilhelm Jensen, Paul
Heyse und den zerstreuten Geschichtsprofessor Mommsen.
Dette Storm wüßte noch mehr Namen — Namen, die heute
schon verwittert auf manchem einsamen Grabstein stehen.
Und wieviel Briefe brachte die Landpost ins Haus: vom
saumseligen Dichterpastor und Bienenzüchter Eduard Mörike im
Schwabenländle, vom ewig wanderjungen Varon v. Eichendorff und
vom versonnenen, gutbürgerlichen Theodor Fontane aus Berlin.
Wer hat die Briefe all gezählt?
lind mit den Briefen kam so oft Fröhlichkeit ins Haus geschneit.
Dette Storm weiß noch davon. . .
Mit den Jahren wurde aus der kränklichen kleinen Gertrud
ein großes, vernünftiges Mädchen, das mit ihrem Vater, der ja
ein Dichter von Gottes Gnaden war, arbeitete, und ihm an stillen
Abenden vorlas, wenn Dunkelheit ums Haus auf nordischer, deut-
scher Erde schlich, oder Sturm die Balken zitternd machte, der
vom grauen, weiten Meere kam.
So war dem alternden Vater sein sechstes Töchterchen aus
erster Ehe fest ans Herz gewachsen.
Und auch dann noch, als sich Theodor Storm in Hademarschen
widerwillig aufs Krankenbett werfen mußte, da wich seine Dette
nicht von ihm.
Ein geheimes, leises Band wob zwischen den beiden Träumern.
Der aschfahle Tod saß schon quälend unter des Dichters Bett-
lade: „Du, siebzigjähriger Greis, komm, deine Zeit ist da, dein
Lied ist ausgesungen!"
Und dennoch saß in Treue bis zum Tode Gertrud Storm und
las dem Verbleichenden ein Märchen vom alten, lockenköpfigen
Andersen vor, der noch weiter im Norden, in Dänemark lebte,
das einst dem Sterbenden so bitter weh tat.
Stunden später kannte der Vater seine Dette nicht mehr —
die Seele des Dichters flog heimwärts durch Sommerrauschen
und Vogelliedersingen.
Schmerz, gewaltiger Schmerz krampfte das Herz des jungen
Mädchens: Vater und Mutter tot!
Innerlich weinte Dette noch mehr als am Grabe in Husum.
Das Schicksal trieb nun Gertrud Storm von der väterlichen
Scholle ins Oldenburgische Land.
Und dort lebt sie in Treue und Gedenken an ihren Vater,
der ihr unvergeßlich ist
In einen Kranz von Erinnerungen hat sie sich in ihrem
Kleinstadtidyll eingesponnen und sichtet und sammelt das, was
die Nachwelt vom Dichter Theodor Storm erzählt.
Durch ihre Zimmer schritt mancher Verehrer der väterlichen
Kunst und plauderte an stillen Tagen mit der feinsinnigen Frau,
die nun das Leben ihres Vaters in dicken Büchern ausgezeichnet
hat und in all den lieben Briefen Ordnung schaffte, die dem Dichter
ins Arbeitszimmer flatterten.
Gertrud Storm: da klingt es auf wie alte Erinnerungen,
deren Hüterin sie ward.
Die Vaterhände werden sie aus Wolkenfernen segnen für all
die Liebe und Treue, die sie stets erwiesen.
So steht sie in der lauten Welt, die anders, ganz anders ge-
worden ist.. . Karl Demmel.
Indische Plastik.
Don Paul Ernst.
In jeder Kunst gibt es viele Möglichkeiten von Zielsetzungen,
und eine der Hauptursachen für die Verwirrung der ästhetischen
Begriffe und die falschen Bewertungen der Kritik ist, daß man das
nicht weiß und gewöhnlich nur eine Zielsetzung als angemessen
ansieht. Die Hauptbedeutung der Wiener kunstgeschichtlichen
Schule liegt darin, daß sie diesen Umstand erkannt hat, wenn auch
nicht ganz klar, und damit eine richtigere Würdigung von Kunst-
schulen angebahnt hat, die man früher in Bausch und Bogen als

„Verfall" oder als „barbarisch" bezeichnet hatte. Es ist ja ver-
ständlich, daß von der Seite der Geschichtsbetrachter aus eine
Wandlung kommen mußte, seitdem man auch Kunstleistungen von
Völkern mit in den Kreis der Betrachtung gezogen hatte, die früher
als bloße Wunderlichkeiten oder nur völkerkundliche Erzeugnisse
aufgefaßt waren.
Unsere Zeit ist dem theoretischen und bewertenden Nach-
denken abgeneigt und läßt sich gern geschichtlich gehen. Wenn man
bei der rein geschichtlichen Auffassung bleibt, welche die Wiener
eingeführt haben, so gerät man aber in eine neue Gefahr, die
wohl größer ist als die alte, welche nur bestimmte künstlerische
Zielsetzungen anerkennt und alle übrigen ablehnt: man gelangt
zu einer wahllosen Anerkennung der törichtsten Leistung, nur,
weil sie eben nun einmal als geschichtliche Tatsache vorliegt. Man
denke nur an die kritiklose Verhimmelung der Negerplastik, an die
„Kunst des Kindes" und Ähnliches, das dann unheilvoll auf die
lebende Kunst wirkte.
Es wird die Aufgabe einer künftigen Ästhetik sein, die wirklich
künstlerischen Zielsetzungen zu untersuchen und von wirklichen Ver-
fallserscheinungen und barbarischem Nichtkönnen zu unterscheiden.
Man wird dabei von drei Punkten ausgehen müssen: vom Trieb
des Künstlers, vom Material und seiner Technik, und von der
Bestimmung des Kunstwerks. Nur da, wo die Linien von diesen
drei Punkten her sich in einem Werk schneiden, kann man von einem
gelungenen Kunstwerk sprechen; und wenn in einer Zeit sich diese
Linien nie treffen, dann haben wir eine unkünstlerische Zeit vor
uns. Mit andern Worten: wir müssen untersuchen, ob ein Werk
oder eine Zeit Stil hat; wobei wir uns einen neuen, dynamischen
Begriff von Stil bilden müssen.
Ich kam auf diese Gedanken beim Durchblättern des Buches
„Indische Plastik" von William Cohn*). Geschichtlich wissen wir
über die indische Plastik so gut wie nichts; das Buch kann denn
also nur eine Zusammenstellung von Tafeln sein, welche nach dem
persönlichen Geschmack des Herausgebers gemacht ist. Diesen zu
beurteilen ist nicht möglich, wenn man nicht die Masse des Un-
veröffentlichten kennt. Jedenfalls aber kann man so viel sagen,
daß das Buch außerordentlich lehrreich wirkt und ein bestimmtes
Bild erzeugt: gibt es ja auch doch sofort Veranlassung zu Über-
legungen, die eine ähnliche Sammlung, etwa griechischer Plastik
nicht geben würde, trotzdem wir hier ein ganz klares geschichtliches
Bild haben.
Wir haben in der Plastik das allerverschiedenste Material:
Stein von den verschiedensten Härtegraden, von der verschied.msten
Festigkeit, von der verschiedensten Empfänglichkeit für das Licht:
man denke an Basalt und Alabaster, Sandstein und Marmor;
dann haben wir Bronze, Holz, gebrannten Ton; der Ton kann
glasiert oder unglasiert sein, das Holz unbemalt oder bemalt,
die Bronze patiniert oder unpatinicrt. Cs können auch verschiedene
Stoffe zugleich verwendet sein. In Zeiten und bei Künstlern
schwachen Stilgefühls werden Werke in unpassendem Material
ausgeführt (man denke als bekanntestes Beispiel an die römischen
Marmornachbildungen griechischer Bronzewerke), wodurch oft
eigenartige Wirkungen erzielt werden. Zu der Fülle von Gesichts-
punkten, die sich aus der stilistischen Betrachtung des Materials
ergeben, kommt die verschiedenartige Bestimmung der Plastik,
die vom Kultbild bis zur Dekoration der Architektur reicht oder bis
zum Nippesgegenstand. Und endlich die Zielsetzungen —
Hier kommen wir auf die größte Schwierigkeit der Betrach-
tung. Jede Zielsetzung ist schöpferisch künstlerische Tat. Deshalb
läßt sich über sie nur sehr schwer etwas Allgemeines sagen, denn
alles Schöpferische ist vielfach wie die Natur. Das Bedenkliche bei
der wissenschaftlichen Methode der Wiener scheint mir zu sein, daß
sie für die Zielsetzungen abstrakte und sehr allgemein gültige Formeln
glauben gefunden zu haben. Mir scheint, man muß sich bescheidener
zur Kunst stellen.
Hier ist eben die Grenze der Wissenschaft: die ästhetische Unter-
suchung muß mit Begriffen arbeiten, die Kunst hat Gefühle. Die
künstlerische Zielsetzung liegt im Gefühl: deshalb ist sie eben künst-
lerisch; wäre sie begrifflich darzustelien, dann wäre sie wissen-
schaftlich. Wir können hier nichts, als daß wir durch Begriffe eine
Andeutung für die Richtung geben, welcher das Gefühl des Be-
trachters nachgehen soll.
Nun scheint die indische Plastik, wie sie sich in dem Buch Cohns
darstellt, für eine solche Aufgabe sehr lehrreich.
*) Bruno Cassirer, Verlag.
 
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