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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 2
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Lavater, Johann Caspar: Aus Friedrich Weinbrenners Denkwürdigkeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0078

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Aus Friedrich Weinbrenners Denkwürdigkeiten*).

it dergleichen Ideen und Betrachtungen über
mein künftiges Dienstleben langte ich mit
meinem Freunde Escher, nachdem wir zuvor
Herrn Professor Maier in seinem Geburtsorte Staffen,
am Züricher See, zurückgelassen, endlich in Zürich an,
wo ich das Vergnügen hatte, von den verehrten Eltern
meines Freundes ganz liebreich und freundschaftlich
ausgenommen zu werden. Während der Zeit, daß ich
bei dieser trefflichen Familie verweilte, hatte ich das
Vergnügen, sehr oft den äußerst interessanten Um-
gang des seligen Lavaters zu genießen, und mir dessen
Gunst und Freundschaft zu erwerben. Als ich ihm das
erste Mal meine Aufwartung machte und meinen Namen
noch nicht gesagt hatte, fing derselbe sogleich an: „Mein
Herr, ich kenne Sie schon aus Ihrem Gesicht. Nicht wahr,
Sie sind der deutsche Architekt von Rom, von dem mir
Maler Pfinninger vor einigen Jahren zweimal das Por-
trät von Rom schickte? Ich habe beide Bildnisse in meiner
physiognomischen Sammlung, und Sie können sie mit
meinen darunter gemachten Bemerkungen gelegentlich
sehen." Nachdem wir nun vieles von Rom und über die
Kunst, als sein Lieblingsfach, gesprochen, lud er mich ein,
ihn recht oft zu besuchen, und wenn er auch nicht zu Hause
sei, so sollte ich nur ungeniert kommen, und mich mit sei-
nen Kunstsammlungen unterhalten, was ich auch nicht
versäumte, und bei dieser Gelegenheit aus der unter meine
Porträts gesetzten Unterschrift sah, daß er in meine Phy-
siognomie ein großes Vertrauen setzte, indem er unter das
eine, in ganzer Figur, die Worte geschrieben: „Wer da
nicht Wahrheit sieht, der sieht sic nimmermehr" und unter
das andere Brustbild: „Weisheit im ganzen Gesicht, be-
sonders in der Nase". Diese für mich äußerst günstige
Beurteilung veranlaßte dann auch, daß ich mit diesem
äußerst interessanten und in seiner Art einzigen Manne,
der wenige Zeit darauf als ein Märtyrer seines Bieder-
sinns gestorben, so bekannt wurde, daß er mich beinahe
jeden Abend nach vier Uhr zu einem Spaziergang abholte,
wo wir uns dann größtenteils über die Kunst unterhielten.
Unter anderm verlangte Lavater besonders von mir über
einen wissenschaftlichen Streit über die Perspektive, von
dem ihm geschrieben worden, und den ich einige Jahre
zuvor mit einem deutschen Gelehrten in Rom gehabt,
nähere Auskunft, indem er glaubte, ich hätte daran un-
recht. Dieser Gelehrte wollte nämlich einen Maler tadeln,
weil er auf einem hohen Pinienbaum einen Mann, wel-
cher die Früchte heruntcrschlägt, in gleicher Größe mit den
untenstehenden Personen auf dem Boden gemalt. Als ich
ihm entgegenhielt, daß sich die Perpendikuläre in der
*) Eine willkommene Ergänzung zu dem Valdenaireschen
Werk über Friedrich Weinbrenner wird manchem die Neuausgabe
der „Denkwürdigkeiten aus sein em Leben, von ihm selbst
geschrieben", sein, die Kurt K. Cberlein soeben im Verlag Gustav
Kiepenheuer, Potsdam, herausbrachte. Ursprünglich im Jahre 182-,
also drei Jahre nach seinem Tode durch Aloys Schreiber heraus-
gegeben, waren diese Denkwürdigkeiten eine ziemliche Seltenheit
geworden. Leider reichen sie nur bis zu der Zeit, da Wcinbrcnner
als Baumeister anfing, auch ist ihre künstlerische Ergiebigkeit nicht
gerade bedeutend. Dagegen geben sie einen lebhaften Einblick in
das deutsch-italienische Kunstwandcrleben der damaligen Zeit; die
abgcdruckten Seiten über Lavater sollen ihre Art andeuten. In
einem sogenannten Nachwort hat Ebcrlein auf 2- Seiten eine
Darstellung Weinbrenners als Mensch und Künstler gegeben, die
nicht nur für dieses Werk willkommen ist. S.

Perspektive uicht ändere, und daß deshalb gleich dicke
Türme immer parallel in ihrer perpendikulären Linie
erscheinen, so veranlaßte ihn dieses Gleichnis, sogar zu
behaupten, daß es darum auch sehr fehlerhaft sei, wenn
man einen hohen viereckigen, gleich dicken Turm auf einem
Bilde in paralleler Dicke aufzeichne, weil derselbe in
nuturcr, wo man sich gewöhnlich naher bei dem untern
Teile desselben, als bei dem obern befindet, komisch er-
scheine. Da nun die Malerei bloß die Gegenstände auf
einer ebenen Fläche vorzustellen habe, so glaube er, daß
man bisher bei vielen Bildern noch nicht auf diese natür-
liche Erscheinung den gehörigen Betracht genommen.
Meine Gegenbehauptung bezog sich vorzüglich darauf,
daß zwar ein paralleler Turm unten, wo er dem Auge
näher erscheint, sich breiter als oben darstelle, daß aber
horizontale oder perpendikuläre Linien, insofern sie
parallel mit der Jeichnungsfläche gehen, immer parallel
auf derselben ausgezeichnet werden müssen, weil ein jedes
perspektivische Bild nur von einem Gesichtspunkte aus an-
gesehen werden soll, wodurch sich dann die Sehwinkel im
Bilde von unten und oben des Turmes gegen das Auge
ebenso im gleichen Verhältnis als die in der Natur zeigen.
Diese Meinung hatte in Rom eine große Sensation unter
den Künstlern gemacht, weil sie anfänglich glaubten, ich
behaupte etwas Paradoxes, was ich nicht durchzusetzen
imstande wäre. Allein bei näherer Auseinandersetzung
meiner Ansicht habe ich dieselben, sowie auch Hrn. Pfarrer
Lavater, der als ein wissenschaftlicher Mann eine große
Freude über meine Aufklärung hatte, überzeugt, daß ich
in meiner Behauptung recht gehabt.
Lavater äußerte oft gegen mich, daß er zwar die ita-
lienische Malerschule sehr verehre, doch könne er in den
Arbeiten derselben, vorzüglich aber in den Werken der
altrömisch und griechischen Bildhauerkunst, nicht so viel
Natur als in den altdeutschen und niederländischen Ge-
mälden finden, indeni die Köpfe eines Apollo, einer Niobe
usw. wohl ideale, aber mit keinem ausgearbeiteten Kopfe
eines Holbein, eines Rubens, oder Rembrandt usw., in
Hinsicht des Ausdrucks und der individuellen lebenden Na-
tur, zu vergleichen seien. Ich verteidigte die alte Kunst
dagegen, indem ich meinem freundschaftlichen Gegner zu
bedenken gab, daß der Künstler hinsichtlich seiner Formen,
sowie seines Ausdruckes, durch die Idee, welche er dar-
stellt, bestimmt werde, und es eine höhere und eine ge-
meine Natur gäbe. Dieser Streit veranlaßte, daß er mir
folgendes zum Andenken auf ein Blatt schrieb:
Weisheit lehre Dich stets auf den wohlgeprüftcsten Aweck sehn;
Eins fei stets Dein Zweck — die mannigfaltige Einheit;
In dem Schonen verehre von allem Schönen das Urbild;
Nie laß herrschenden Ton den Geschmack der Natur Dich entlocken,
Bleib Dir selber treu, wenn Natur und Wahrheit Dich leiten.
Richte Deine Werke — mit zweckfesthaltender Schürfe.
Eile mit der Vollendung, wenn ganz den Entwurf Du geprüft hast,
Nie was die Täuschung stört in der Kunst, sei Vernunft und
Gesetz Dir;
Nur die Kunst sei Dir lieb, in dekfich die wahrste Natur zeigt,
Ehe Du Schönheit suchst, such' Wahrheit, welche sich selbst preist;
Reinige Deinen Geschmack durch Beschauung des Schönsten, was
wahr ist.
Nehmen Sie, lieber Weinbrenner, diese Erinnerung
eines profanen Kunstfreundes mit Liebe an und behalten
Sie in gutem Andenken Joh. Casp. Lavater.
Zürich, Samstags morgen, den 19. August 1797.


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