Gestaltrvandtl drr Götter.
die Offenbarung der Gnade und Liebe. Drei Geheim-
nisse findet der Mensch am Ende aller Betrachtung:
seinen Leib, seine Seele, und seinen Geist, keines ge-
ringer als das andere; diese Dreiheit ist sein einziges
Eigentum, sein Ich als Dreispältigkeit, doch nur so lange,
bis er das Du darin erkennt und sich dem All im un-
erforschlichen Geheimnis des Lebens verbunden sieht.
Ein Zweierlei gibt es sodann: will er in dieser Erkennt-
nis demütig verharren, wie es Goethe vorbildlich tat,
oder will er den Aufschwung ins All, ins Allüberall des
Laotse, zu Gott, dem himmlischen Vater, wie Jesus ihn
glaubte und lehrte, wagen, um aus der Dreispältigkeit
zur Dreieinigkeit erlöst zu sein? Wer aber, der diesen
Aufschwung erlebte, kann ihn anders als Gnade fühlen
und wer kann ihn anders entgelten als mit Liebe! Hier
wirkt das Geheimnis der christlichen Lehre, zu dem auch
das trotzige Jenseits von Gut und Böse nur eine Vor-
stufe ist. Was kann es dagegen besagen, daß die Kirchen-
lehre daraus einen dreifältigen Gott machte! Und
warum muß zuvor Buddha als „Weltzernichter, Welt-
zerschmelzer" beschworen sein, damit uns Gott „eines
Tages wieder säliger Gefährte" sei!
Au spät und zu früh für den faustischen Drang des
Humanisten kam Iiegler die Erkenntnis, daß nur der
Aufschwung, nie und nie die Betrachtung allein uns er-
lösen kann; sie verwirrte den Denker zum Dichter. Durch
diese Verwirrung ist sein Werk ein Fragment geblieben:
die stolze Antiqua seines Anfangs endigte mit einem
Fragezeichen in Fraktur, das freilich das Fragezeichen
des Menschengeistes ist. Aber dieses Fragment wäre als
epische Fülle und tragische Tiefe genügend für ein
Menschenleben. Daß einer es in drei Jahren niederzu-
schreiben vermochte, bleibt ein Phänomen. Noch ist die-
sem Humanisten das indische Erlebnis eine sinnen- und
sinnbetörende Fülle: wie aber, wenn es ihm einmal in
jene Ferne zurücksänke, aus der er die homerische Welt
in klassischer Schönheit aufsteigen ließ? Und wie erst,
wenn er einmal seine Schau des dritten Reiches dar-
zustellen vermöchte? Wilhelm Schäfer.
^wei Spihbubengeschichten.
Von Paul Ernst*).
!. Der neue Anzug.
Der Meister ruft. Filelfo zu sich und übergibt ihm
einen kostbaren Anzug aus schwarzem Samt mit echten
Spitzen und Goldknöpfen, der für Seine Hoheit, den
Neffen des Heiligen Vaters, fertig geworden ist. Dann
sagt er: „Du bist mein bester Arbeiter, auf dich kann
ich mich verlassen. Schlage den Anzug in ein weißes
Tischtuch und bringe ihn Seiner Hoheit. Bestelle Emp-
fehlungen von deinem Meister und sage, das ist der
Anzug. Sage, der Meister kommt hergeflitzt, wenn etwas
befohlen wird. Er drängt sich nicht auf und läuft seinen
Kunden nicht das Haus ein. Er hat ein gutes Maß-
geschaft und keinen Laden. Ec bedient reell und pünkt-
lich. Er versteht sich nicht bloß auf die italienische Arbeit,
*) Aus: Wendunmuth, Komödianten: und Spihbubengeschich-
ten von Paul Ernst, Verlag Georg Müller, München.
er versteht sich auch auf die spanische und die französische
Arbeit. Seine Hoheit kann sich auf ihn verlassen, wie
auf sich selber."
Filelfo läßt sich von der Meisterin ein schön ge-
waschenes und geplättetes Tischtuch geben, schlägt den
Anzug hinein und steckt es mit Sicherheitsnadeln zu-
sammen. Dann aber geht er nicht zu dem Palazzo
Seiner Hoheit, sondern in eine enge, schmutzige und
winkelige Straße zu einem hohen und engbrüstigen Hause;
dort steigt er sechs Treppen hoch und tritt in eine muffige
Stube, in welcher ein alter Tisch, ein wackliger Stuhl
und eine Kiste mit einem Vorhängeschloß stehen und in
einem Winkel ein Bündel Stroh mit einer alten Decke
liegt. Er zieht seine Kleider aus und zieht langsam und
sorgfältig die neuen Kleider Seiner Hoheit an; dann
packt er mit befriedigtem Gesichtsausdruck seine Kleider
in die Kiste zu seiner schmutzigen Wäsche, legt das Vor-
hängeschloß wieder vor, schließt ab, und geht die Treppe
hinunter auf den Korso.
Er geht bei dem Laden eines Hutmachers vorbei und
bleibt vor dem Fenster stehen. Der Hutmacher kommt
herausgeschossen, ergreift ihn am Ärmel und fragt,
ob Erzellenz nicht einen neuen Hut befehlen, denn er
sieht wohl, daß der Hut, den Exzellenz tragen, nicht mehr
geht; vielleicht kann man ihn noch einmal auffärben
lassen, aber dazu würde er auch nicht raten, denn der
Filz ist grob und die Form ist unmodisch, und man hat
dann doch immer eine Ware zweiter Sorte, der Kenner
legt seinen alten Hut ab und kauft sich einfach einen neuen;
wenn man gut angezogen sein will, so kommt man
auf die Weise am besten und schließlich auch am billigsten
fort, denn der Schwitzrand erscheint ja nach ein paar
Wochen doch wieder, und wenn das Auffärben noch
so gut gemacht ist. Hier hat er nun unfern Filelfo schon
längst in seinen Laden gezogen und ihm einen Stuhl
hingesetzt und führt ihm Hüte vor, die er auf den ge-
spreizten Fingern der linken Hand hält, indem er sie
mit der rechten herumdreht, damit Filelfo sie von allen
Seiten betrachten kann. Das sind aber schöne modische
Hüte aus steifem Filz mit schmaler Krempe und weiche
Hüte mit breitem Rand, mit Federn, mit Agraffen,
mit Medaillen, mit Bändern, mit Schleifen; Hüte aus
Biber, aus Hase, aus Kanin; glatte Hüte und Hüte,
die wie aus Pelzwerk aussehen. Aus Schubladen, aus
Kisten, aus Schachteln, aus Auszügen kommen die Hüte
hervor; sie häufen sich auf dem Tresen, einer wird in
den andern gesteckt; dieser wird geprobt, und Filelfo
wird vor den Spiegel geführt, jener wird verächtlich zur
Seite geschoben.
Filelfo findet in der Tat einen Hut, der zu dem
kostbaren, schwarzsamtenen Anzug mit Spitzen steht;
einen weichen, schwarzen Biberhut mit weißer Straußen-
feder. Der Hutmacher rät ihm, ihn gleich auf dem Kopf
zu behalten; er wird den alten Hut durch seinen Lauf-
burschen zum Palazzo Seiner Erzellenz bringen lassen.
Filelfo ist einverstanden, und indem er geht, unter den
Bücklingen des Hutmachers, bestimmt er, daß der alte
Hut in den Palazzo Seiner Exzellenz des Neffen des
Heiligen Vaters geschickt werden soll.
Auch feine schwarzseidene Strümpfe und Lackschuhe
mit silbernen Schnallen erhält Filelfo von entgegen-
die Offenbarung der Gnade und Liebe. Drei Geheim-
nisse findet der Mensch am Ende aller Betrachtung:
seinen Leib, seine Seele, und seinen Geist, keines ge-
ringer als das andere; diese Dreiheit ist sein einziges
Eigentum, sein Ich als Dreispältigkeit, doch nur so lange,
bis er das Du darin erkennt und sich dem All im un-
erforschlichen Geheimnis des Lebens verbunden sieht.
Ein Zweierlei gibt es sodann: will er in dieser Erkennt-
nis demütig verharren, wie es Goethe vorbildlich tat,
oder will er den Aufschwung ins All, ins Allüberall des
Laotse, zu Gott, dem himmlischen Vater, wie Jesus ihn
glaubte und lehrte, wagen, um aus der Dreispältigkeit
zur Dreieinigkeit erlöst zu sein? Wer aber, der diesen
Aufschwung erlebte, kann ihn anders als Gnade fühlen
und wer kann ihn anders entgelten als mit Liebe! Hier
wirkt das Geheimnis der christlichen Lehre, zu dem auch
das trotzige Jenseits von Gut und Böse nur eine Vor-
stufe ist. Was kann es dagegen besagen, daß die Kirchen-
lehre daraus einen dreifältigen Gott machte! Und
warum muß zuvor Buddha als „Weltzernichter, Welt-
zerschmelzer" beschworen sein, damit uns Gott „eines
Tages wieder säliger Gefährte" sei!
Au spät und zu früh für den faustischen Drang des
Humanisten kam Iiegler die Erkenntnis, daß nur der
Aufschwung, nie und nie die Betrachtung allein uns er-
lösen kann; sie verwirrte den Denker zum Dichter. Durch
diese Verwirrung ist sein Werk ein Fragment geblieben:
die stolze Antiqua seines Anfangs endigte mit einem
Fragezeichen in Fraktur, das freilich das Fragezeichen
des Menschengeistes ist. Aber dieses Fragment wäre als
epische Fülle und tragische Tiefe genügend für ein
Menschenleben. Daß einer es in drei Jahren niederzu-
schreiben vermochte, bleibt ein Phänomen. Noch ist die-
sem Humanisten das indische Erlebnis eine sinnen- und
sinnbetörende Fülle: wie aber, wenn es ihm einmal in
jene Ferne zurücksänke, aus der er die homerische Welt
in klassischer Schönheit aufsteigen ließ? Und wie erst,
wenn er einmal seine Schau des dritten Reiches dar-
zustellen vermöchte? Wilhelm Schäfer.
^wei Spihbubengeschichten.
Von Paul Ernst*).
!. Der neue Anzug.
Der Meister ruft. Filelfo zu sich und übergibt ihm
einen kostbaren Anzug aus schwarzem Samt mit echten
Spitzen und Goldknöpfen, der für Seine Hoheit, den
Neffen des Heiligen Vaters, fertig geworden ist. Dann
sagt er: „Du bist mein bester Arbeiter, auf dich kann
ich mich verlassen. Schlage den Anzug in ein weißes
Tischtuch und bringe ihn Seiner Hoheit. Bestelle Emp-
fehlungen von deinem Meister und sage, das ist der
Anzug. Sage, der Meister kommt hergeflitzt, wenn etwas
befohlen wird. Er drängt sich nicht auf und läuft seinen
Kunden nicht das Haus ein. Er hat ein gutes Maß-
geschaft und keinen Laden. Ec bedient reell und pünkt-
lich. Er versteht sich nicht bloß auf die italienische Arbeit,
*) Aus: Wendunmuth, Komödianten: und Spihbubengeschich-
ten von Paul Ernst, Verlag Georg Müller, München.
er versteht sich auch auf die spanische und die französische
Arbeit. Seine Hoheit kann sich auf ihn verlassen, wie
auf sich selber."
Filelfo läßt sich von der Meisterin ein schön ge-
waschenes und geplättetes Tischtuch geben, schlägt den
Anzug hinein und steckt es mit Sicherheitsnadeln zu-
sammen. Dann aber geht er nicht zu dem Palazzo
Seiner Hoheit, sondern in eine enge, schmutzige und
winkelige Straße zu einem hohen und engbrüstigen Hause;
dort steigt er sechs Treppen hoch und tritt in eine muffige
Stube, in welcher ein alter Tisch, ein wackliger Stuhl
und eine Kiste mit einem Vorhängeschloß stehen und in
einem Winkel ein Bündel Stroh mit einer alten Decke
liegt. Er zieht seine Kleider aus und zieht langsam und
sorgfältig die neuen Kleider Seiner Hoheit an; dann
packt er mit befriedigtem Gesichtsausdruck seine Kleider
in die Kiste zu seiner schmutzigen Wäsche, legt das Vor-
hängeschloß wieder vor, schließt ab, und geht die Treppe
hinunter auf den Korso.
Er geht bei dem Laden eines Hutmachers vorbei und
bleibt vor dem Fenster stehen. Der Hutmacher kommt
herausgeschossen, ergreift ihn am Ärmel und fragt,
ob Erzellenz nicht einen neuen Hut befehlen, denn er
sieht wohl, daß der Hut, den Exzellenz tragen, nicht mehr
geht; vielleicht kann man ihn noch einmal auffärben
lassen, aber dazu würde er auch nicht raten, denn der
Filz ist grob und die Form ist unmodisch, und man hat
dann doch immer eine Ware zweiter Sorte, der Kenner
legt seinen alten Hut ab und kauft sich einfach einen neuen;
wenn man gut angezogen sein will, so kommt man
auf die Weise am besten und schließlich auch am billigsten
fort, denn der Schwitzrand erscheint ja nach ein paar
Wochen doch wieder, und wenn das Auffärben noch
so gut gemacht ist. Hier hat er nun unfern Filelfo schon
längst in seinen Laden gezogen und ihm einen Stuhl
hingesetzt und führt ihm Hüte vor, die er auf den ge-
spreizten Fingern der linken Hand hält, indem er sie
mit der rechten herumdreht, damit Filelfo sie von allen
Seiten betrachten kann. Das sind aber schöne modische
Hüte aus steifem Filz mit schmaler Krempe und weiche
Hüte mit breitem Rand, mit Federn, mit Agraffen,
mit Medaillen, mit Bändern, mit Schleifen; Hüte aus
Biber, aus Hase, aus Kanin; glatte Hüte und Hüte,
die wie aus Pelzwerk aussehen. Aus Schubladen, aus
Kisten, aus Schachteln, aus Auszügen kommen die Hüte
hervor; sie häufen sich auf dem Tresen, einer wird in
den andern gesteckt; dieser wird geprobt, und Filelfo
wird vor den Spiegel geführt, jener wird verächtlich zur
Seite geschoben.
Filelfo findet in der Tat einen Hut, der zu dem
kostbaren, schwarzsamtenen Anzug mit Spitzen steht;
einen weichen, schwarzen Biberhut mit weißer Straußen-
feder. Der Hutmacher rät ihm, ihn gleich auf dem Kopf
zu behalten; er wird den alten Hut durch seinen Lauf-
burschen zum Palazzo Seiner Erzellenz bringen lassen.
Filelfo ist einverstanden, und indem er geht, unter den
Bücklingen des Hutmachers, bestimmt er, daß der alte
Hut in den Palazzo Seiner Exzellenz des Neffen des
Heiligen Vaters geschickt werden soll.
Auch feine schwarzseidene Strümpfe und Lackschuhe
mit silbernen Schnallen erhält Filelfo von entgegen-