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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 1
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Herrigel, Hermann: Zille u.a.
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0050

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Zille u. a.
zu schreiben, deren einzelne Charaktere gänzlich formlos
sind und bald steil, bald schief, bald weit, bald eng, bald
fett, bald dünn, bald gerade, bald auf krummen Linien
stehen. Warum mußte denn der Tert geschrieben sein?
Gegen diese Schrift wäre Zeitungsdruck ein erhabenes
Kunstwerk gewesen. Früher war das Schreiben eine
sorgfältig geübte Kunst. Die Anfänge der Buchdrucker-
kunst setzten ihre Ehre darein, die Bücher so zu drucken,
daß sie mit den geschriebenen an Schönheit wetteifern
konnten. Auch lange spater noch stand diese Kunst auf
einer hohen Stufe, und selbst Handwerker besaßen eine
verblüffende Sicherheit in der Handhabung des Schrift-
bildes. Erst in unserer Zeit ist die Verachtung der Ge-
setze der Schrift möglich geworden, wie sie dieses Buch
aufweist.
Was soll man erst von den Bildern selber sagen? Das
Gemeine, Häßliche, Ekelhafte, Krankhafte ist hier mit
einem niederträchtigen Interesse ans Licht gezogen.
In der Technik und im Gegenständlichen ohne Witz und
ohne Grazie. Diese Sexualität ist nicht mehr animalisch,
faunisch wie die phallischer Figuren, sondern sie ist das
Produkt tiefster menschlicher Verkommenheit. Das ist
in keiner anderen Zeit möglich gewesen. Aotereien hat
es immer gegeben, aber keine Zote kann so schamlos
sein, wie dieses Produkt einer ganz prüden und instinkt-
losen Zeit. Die Zote tastet das Geheimnis nicht an, sie
bleibt auch in engen Zirkeln, geht von Mund zu Mund

oder auf ein Flugblatt gedruckt von Hand zu Hand. Hier
aber wird die unverhüllte Sexualität mit dem Ansprüche
des Kunstwerkes an die Öffentlichkeit gestellt, nicht allein
schamlos, sondern noch ausgezeichnet durch artistische
Aufmachung. Das ist etwas ganz anderes als die Erotik
des Volksliedes und der Schwänke. Hier bleibt alles
in einem Kreise; es ist ein prickelndes Spiel mit den
eigenen Geheimnissen, das nicht auf Kosten anderer ge-
trieben wird. Zille dagegen macht aus dem Elend und
Laster der untersten Volksklasse ein Schauspiel für andere;
für welche anderen, das zeigt die Lurusausstattung. Das
ist wiederum etwas, das zu keiner andern Aeit möglich
war. Daraus erklärt sich die trockene, witzlose Sachlich-
keit einerseits, anderseits die Sentimentalität des Sozial-
psychologen. Wie satanisch ist diese Aeit! Es wirkt aber
ganz und gar nicht überzeugend, wenn Zille sich mit einer
sentimentalen Geste zu seinem Gegenstand in Distanz zu
stellen sucht. Er selber und kein anderer ist der geistige
Urheber dieser Scheußlichkeiten und hat sie zu verant-
worten neben denen, für die er sie berechnen durfte.
Nicht in der Sache, aus die er es abzuschieben sucht,
sondern in der Abbildung liegt das Gemeine. Nackte
Männer und Weiber in einem Bordell gehören nicht
zur Berliner Sozialpsychologie, dagegen um so mehr
ihr Maler, der schamlos genug ist, sie so wie es hier
geschieht an die Öffentlichkeit zu stellen.
Hermann Herrigel.

Alrachtwerke.
Es ist ein grausamer Zwiespalt zwischen der Klage, daß
wertvolle Bücher, namentlich der Wissenschaft, in Deutschland nicht
mehr gedruckt werden könnten, und der Fülle von Neuerscheinungen,
die man gar nicht anders denn als Luxusdrucke bezeichnen kann,
und die — das ist das Schlimmere — in sehr vielen Füllen auch
Luxus d. h. überflüssig sind. Genau so wie die Hauptstraßen unserer
Großstädte ihre Schaufenster und Weinlokale üppig gefüllt zeigen,
indessen aus jeder Nebenstraße die Armut hereinblickt, genau so
sind diese Verlegerwerke auf den Beutel des neuen Reichtums
be echnet. Sie können sich jede Art von Papier, vielfarbigen Druck,
Bilderschmuck raffinierter Art, Halb- und Ganzleder leisten, indessen
gute und notwendige Werke auf üblem Papier mit verblaßter Farbe
gedruckt und in kümmerlich aufgeputztem Pappband daher kommen.
So sind sie in ihrer Aufdringlichkeit recht die Abbilder einer Zeit
und eines Volkes, dem Haltung und Würde verloren gingen; sie
etwa empfehlen, hieße einen Zustand verschlimmern, den man
als Krankheit aber auch als Verkommenheit ansprechen kann.
Diese Kritik trifft selbstverständlich nicht jene an sich wertvollen
Publikationen, die vor dem Krieg begonnen wurden, damals
vielleicht schon Luxus waren, überaus Grund des früheren Reichtums
wohl geplant werden konnten, und die nun teilweise unter außer-
ordentlichen Opfern fortgesetzt werden. Sie stellen zum Teil eine
Art Ehrenpflicht dar, die dem neuen Reichtum als Erbschaft zufällt.
Gedacht ist hierbei etwa an das von Burger begonnene „Handbuch
der Kunstwissenschaft", das nun von der Akademischen Verlags-
gesellschaft in Neubabelsberg tapfererweise fortgesetzt wird, übri-
gens zu dem beispiellos billigen Preis von 3,50 Mk. für die Lieferung.
Derartige Dinge müssen hier wie sonst anerkannt werden, da sie
gerade das behaupten, was wir Würde und Haltung nannten.
Zweck dieser Glosse ist, einige Beispiele anzuzeigen, die zwischen
solcher Notwendigkeit und dem üblen Luxus stehen, die an sich ganz
oder teilweise anerkennenswert sind, aber irgendwie doch entbehrlich
wären.
Da ist z. B. ein Band aus dem Verlag Klinkhardt und Bier-
mann, Leipzig: „Deutsche Graphiker der Gegenwart"
von Kurt Pfister zusammengestellt und eingeleitet. Der Band
enthält in großem Format 15 Original-Steinzeichnungen, 8 Holz-
schnitte und 8 Reproduktionen nach Radierungen, die mit Sorgfalt

gedruckt sind und einen guten Einblick in die Graphik unserer Tage
gewähren. Von Liebermann bis Kokoschka ist so ziemlich alles ver-
treten, was heute als moderne Kunst im Kunsthandel gilt. Daß
Thoma und alle diejenigen fehlen, die nicht letzte Mode sind, muß
man als eine Jeiterscheinung hinnehmen, ebenso daß einige Blätter
dastehen, die man mit bestem Willen nur belächeln kann. Es ist
eben der sogenannte Expressionismus, den dieser „Querschnitt"
hauptsächlich zeigt. Wie schon mehrmals in diesen Blättern dar-
gelegt wurde, stellt er durchaus keine deutsche Erfindung sondern
nur eine Art Wetterleuchten dar von einem Gewitter, das um van
Gogh, Cezanne, Picasso und Matisse tobte. Dementsprechend
hat er bisher, abgesehen etwa von Lehmbruck (der in einer zarten
Radierung gezeigt wird) und Hoelzel (der bezeichnenderweise fehlt)
keine überragenden Erscheinungen hervorgebracht. Wenn einmal
die Kunde von Picassos Umkehr stärker zu den angeblichen Himmels-
stürmern von heute gekommen ist, werden wir eine merkwürdige
Geschichte der wiedergeborenen Einfalt erleben. Wahrhaft klassisch
muten die Zeichnungen von August Gaul und Käte Kollwitz an,
die freilich nichts mit Expressionismus zu tun haben, und also mit
Liebermann, Schinnerer und einigen andern fremd genug in der
Gesellschaft der Kokoschka, Klee und Nolde anmuten. Immerhin
der Band wirkt durch die unbekümmerte Reproduktion der 31 Blätter
als ein wirkliches „Prachtwerk"; bedenklich wird man erst, wenn man
den Text in edelster Antiqua gedruckt sieht, so wie vielleicht einmal
die Bibel oder Goethe gedruckt werden sollten. Es ist nicht einmal
töricht, aber daß ein Sah wie dieser: „Es ist gut, bisweilen den
osphaltenen Dunst der Städte zu vergessen" wie eine Grabschrift
dasteht, das ist des Guten wirklich etwas zu viel. (Der Band kostet
in Halbleinen 160, in Halbleder 400 Mark; er ist also nach heutigen
Verhältnissen ein „billiges Geschenkwerk".)
Die gleiche Erfahrung mit einem, wenn auch nicht gar so monu-
mental gedruckten Text macht man im zweiten Band der von Carl
Georg Heise herausgegebenen Folge „Das neue Bild" im Kurt
Wolf-Verlag. G. F. Hartlaub handelt darin über „Kunsts und
Religion". Er gibt eine an sich gescheite Schrift auf 112 Seiten
mit 76 Tafeln. Offensichtlich um dieser Tafeln willen in großem
Format und mit großer Type gedruckt, treten seine Sähe aber
mit einem Anspruch an Bedeutung auf, die sie nicht haben können.
Dabei sind die „Tafeln" nur beiderseitig bedruckte Bildblätter,
offensichtlich ohne besondere Sorgfalt auf der Schnellpresse herunter-

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