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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 4
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Sternberg, Leo: Der ewige Strom: Einführung in das rheinische Schrifttum
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[Notizen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0197

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Der ewige Strom.

auf den Wogen der Schönheit, wird — das Desillusionie-
rende schlechthin. Als Fremdlinge in der Wirklichkeit,
gehen die beglückten Jünglinge Schäfers und Pontens
an Bord, aber was sie dort erleben, zertrümmert den
Schaukasten ihrer Knabenträume, und als sie aussteigen,
bleibt das Kleid ihrer Jugend auf dem Rheindampfer zu-
rück. Erziehung zum Manne! Sternheim geht in der
Ernüchterungstendenz noch weiter. Er läßt einen zu-
gewanderten Anempfinder auf dem klassischen Boden der
Lebensfreude zu einem jener nüchternen Schaumschläger
sich veredeln, die mit dem überkommenen Bildervorrat
mechanisierter Metaphern ihr unfühlendes Spießertum
verdecken, und ironisiert damit sprichwörtliche rheinische
Begeisterung.
Aber es gibt eine Romantik, die mit einer künst-
lerischen Schule oder geistigen Mode nichts zu tun hat,
sondern einen jener Ströme zu bilden scheint, die dem
ewigen Bestände unseres Dichtens und Denkens an-
gehören.
„Nicht Träume sind's und leere Wahngesichte,
was von dem Volk den Dichter unterscheidet.
Was er inbrünstig bildet, liebt und leidet,
es ist des Lebens wahrhafte Geschichte."
Und dieses Mitschwingen der höheren Wirklichkeit
verträgt sich daher auch mit dem Wirklichkeitssinn des
modernen Tatmenschen. Jedenfalls klingt diese Saite
noch heute vernehmlich mit in der rheinischen Mentalität,
jener unter Einschuß keltischen, römischen und fränkischen
Blutes entstandenen Mischung zwischen schwerblütigem
germanischem und beweglichem, sinnen- und festfrohem
romanischem Wesen. Und vielleicht stellt gerade das ver-
änderte Landschaftsbild des modernen Westens den voll-
kommensten Ausdruck der rheinischen Doppelnatur dar.
War der Rhein nämlich jeweils die geistige Pulsader des
Reiches, so hat er auch von jeher Fürsten, Feldherrn und
Kaufleute von Weltruf hervorgebracht, und es ist daher
kein Zufall, daß von seinen Häfen und Kohlengruben,
von seinen Spinnereien und Reedereien, von seiner
Schwereisenindustrie und Schiffahrt die Weltwirtschaft
Deutschlands ausgegangen ist, die nun der Landschaft

ihren eigenartigen Stempel aufdrückt. Die Feuerfackeln
der Essen lodern um gotische Dome; donnernde Eisen-
bahnbrücken und stampfende Handelsflotten dröhnen über
und neben dem Säuseln verträumter Pappelauen; das
gewaltige Lied der Arbeit klingt in die Gebete der Wein-
bergprozessionen; die Göttin Industrie hängt ihre
Schwebebahnen über gelichtete Waldhänge und auf-
gesprengte Felstheater; die Laute der Wandervögel spielt
mitten im Hämmertakt der Werkstatt Deutschlands.
Scheinbar ohne zentrale Harmonie und dennoch ein
einheitliches Ganzes, dermaßen, daß manche Uferstrecken
eine einzige, in zahllose Städte, Städtchen und Dörfer
zerstreute Riesenstadt zu bilden scheinen. Und wie das
nahe Nebeneinander und Ineinander von amerikanischem
Industrialismus und urzeitlicher Wildnis, von Wasser
und Land, Idyllischem und Heroischem, von Geschichte
und lebendigster Gegenwart, von Klausnerzellen ver-
feinerter Geistigkeit und Hochburgen groben Materialis-
mus die Eigentümlichkeit der von allen Interessen um-
worbenen, allen Einflüssen offenen großen rheinischen
Kulturstraße ausmacht, so bildet auch das zeitgenössische
Kunstschaffen hier einen Braukessel, in dem sich die ver-
schiedenen Geisteselemente mischen. Alle Schattierungen
der künstlerischen Entwicklung seit Heine schillern bunt in-
einander, und im vielverschlungenen Rhythmus reicher
Mannigfaltigkeit durchspielen sich Schatten und an-
glühende Morgengeister. Neben der geschichtlichen Rich-
tung Riehls und Müllenbachs, dem Realismus der
Klara Viebig und Nanny Lambrecht, und dem rheinischen
Optimismus Herzogs und Lauffs geht die klassische
Strenge Wilhelm Schäfers und die legendäre Phantasie
Schmidtbonns einher. Die neue Romantik Eulenbergs,
das soziale Weltbürgertum Paquets, die Mystik Stefan
Georges und Otto zur Lindens rauschen zusammen mit
der Frömmigkeit Röttgers und der „Weiße Reiten-
Gruppe, mit der Arbeiter- und Jndustriedichtung Zechs
und der Werkleute auf Haus Nyland, der erdenschwere-
befreiten Bildfreudigkeit von Brües und Aerkaulen und
dem Expressionismus Hasenklevers: Viele Wellen, große
und kleine, in dem ewigen Strom.
Leo Sternberg.

^akob Böhme.
Unter den geläufigen Namen unserer Großen ist kaum
einer so leichtfertig genannt wie der von Jakob Böhme, der von
1594 bis 16^4 in Görlitz Schuhmachermeister war und durch seine
Schriften ein Brunnquell deutscher Geistigkeit wurde. Hegel
datierte von ihm den Anfang der neueren Philosophie, Schlegel
und Schelling pflügten mit seinem Kalbe und ausgerechnet Feuer-
bach, der Bekämpfer des Unsterblichkeitsglaubens, versuchte sich an
seiner Metaphysik. Ebenso ausgerechnet bildete sich in England die
Gesellschaft der „Philadelphisten" aus der Böhmischen Sekte, die
ihn als Grundlage einer neuen Religiosität lebendig zu machen ver-
suchte. So ist er gewissermaßen nach zwei Seiten ausgeflossen
und zwar so gründlich, daß er uns selber trocken wurde: der Viel-
genannte wird in seinem Volk kaum noch gelesen, und kann auch
kaum noch gelesen werden, weil nicht nur seine Sprache, sondern
auch seine Anschauung zu sehr zeitgemäß, zu sehr belastet ist. Ihn
einen Philosophen zu nennen oder ihn als solchen zu lesen, steht
der heutigen Schulwissenschaft nicht mehr an; als Mystiker fälit er
gegen Ckharts Klarheit ins Unverständliche zurück; so bleibt er als
Pietist übrig, freilich als einer, dem weder Spener noch Francke
noch sonsteiner an Tiefe gewachsen war.

Nun hat der Furche-Verlag den kühnen Versuch unternommen,
ihn durch eine Auswahl aus seinen Schriften wieder lebendig zu
machen. Er hat offensichtlich viel Liebe daran gesetzt: Professor
v. Wilhelm Goeters in Bonn besorgte die Auswahl und Ehmcke
überwachte den Druck in seiner Fraktur. So ist ein schöner Band
herausgekommen, der letzten Endes doch nur ein Sammelstück für
den Bibliographen (die Auflage ist mit 750 Exemplaren nume-
riert) oder ein Andachtsbuch vergrübelter Protestanten bleiben wird.
Ob ein Mehr möglich war, das ist die Frage. Gewiß zeigt unsere
Zeit eine erwachende religiöse Inbrunst und eine tapfere Ent-
schlossenheit, mit der Aufklärung aufzuräumen. Aber was sie
sucht, ist letzten Grundes doch das Gegenteil dessen, was sie bei
Jakob Böhme finden kann. Ec ist gewissermaßen der erste Versuch,
in die Verzwicktheit der lutherischen Orthodoxie hineinzuleuchten;
aber er selber hat von dieser Verzwicktheit ein allzugroßes Teil
behalten; es liegt auf seiner tiefen Einsicht wie Asche, und wenn wir
hineinblasen, sie blanker zu sehen, stäubt sie nur in unsere Augen.
Es ist aber durchaus nicht so, als ob wir seiner Einsicht nicht mehr
bedürftig wären; die Weite seines Gottesbegriffs geht auch über
die heutige Theologie noch immer hinaus, die wohl mit dem
Schöpfer des Guten aber nicht des Bösen fertig wird, was eben
Böhme vermochte. So kann man nur wünschen, daß sein Brunnen

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