Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Doderer, Otto: Hanns Johst
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0179

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
anns Johst.
1.
Das Werk dieses wenig mehr alsDreißigjährigcn,
seine sittliche Höhe, seine menschliche Reife und künst-
lerische Ganzheit, ist erstaunlich. Und doch ist nur erst
Anlauf zwischen dem „Anfang" und dem „Kreuzweg":
Der einsame junge Mensch, das aus der Umschnü-
rung der ersten Jugend erlöste, entgottete Menschenhirn,
tragisch isoliert, bestürmt durch die Fülle des eben ge-
öffneten Daseins, im hohen Schwung begeisterter Er-
wartungen erschüttert durch die Willkür und Geistlosig-
keit dieser Welt des Gesinnungsschwindels und der Ge-
dankenfaulheit, aufbegehrend, revolutionierend, Frei-
heiten der Selbstverantwortung und sinnvollere Pflichten
fordernd — gelangt durch äußeres Schicksal (Erfolg, Ehe,
Eigentum: einen kleinen Besitz auf dem Lande) und
innerliche Entwicklung aus dem aufgestachelten Skepti-
zismus der Jugend zu einem ruhigen, gefestigten, klaren
Positivismus, zu Ausgleich und Versöhnung, vom For-
malen zum Wesentlichen, von prometheischem Hochmut
zu aristokratischen Gebundenheiten in der Gemeinschaft,
vom Ich zum Volk.
Ungebrochene, eigenwillige Jugend, die noch Chaos
in sich hat, ins Pathos und ins Ekstatische sich über-
steigernd, reift sich aus und hört dennoch nicht auf zu
gären, nur gemäßigter und schlichter im Stoff und den
Mitteln werdend und kühner die Ideen spannend. Der
jugendlichste und volkskräftigste unter der intellektualen
literarischen Jüngerschaft, der zuviel Weltverbesserer und
zu gesund ist, um unter dem Literatenklüngel, unter früh
vergreisenden Talöntchen, mit dem Gekläff, dem Bluff,
der bloßen Routine des Literatentums zu verflachen,
der aber von dort die Zügelung der Form und die Ver-
achtung der ausgedroschenen Herkömmlichkeiten mit-
bekommen hat, der ernst und gewissenhaft ins Leben
hineingeht wie in ein Bergwerk unter Tag und von
Werk zu Werk ertüchtigt.
2.
Bücher wie den Roman „Der Anfang" (1917) stößt
man ab, um sich Luft zu machen und gesäuberten Boden
unter die Füße zu bekommen, sie sind Schlacken geistigen
Werdens: Generalbeichten, Erkenntnisse, Lebenseinsich-
ten, Auseinandersetzungen, die den Menschen zum
Charakter machen oder doch ein den Charakter bestimmen-
der Lebenseinschnitt sind, Erlebnisse, die ihrem Ver-
künder wunder wie neu und verkündenswert erscheinen
und doch eben nur für ihn persönlich so neu und über-
wältigend waren. So steht hier die Problematik auf,
die den jungen intellektuellen Menschen immer wieder
irgendwie am Ende des Jünglingsalters überfallen wird,
der Kampf der schöpferischen Individualität gegen das
Philistertum, das Herumbalgen mit den niederen Teu-
feln um die höheren Werte des Lebens. Fragen der
Weltanschauung, des Studententums, der Großstadt, der
Wissenschaft, des Geschlechterverhältnisses, Fragen um
Gott und die Welt werden abgetan in prahlerischen
Superlativen und schneidenden Sarkasmen, aufgebauscht,
und mit richterlicher Gebärde werden verlogene Traditio-
nen geächtet; der Schülerselbstmord tangiert süß schat-
tend als eine überwundene Verlockung die Periphe-

rie. Aber inmitten dieses peinvoll Durchlebten steht ein
Eigener mit tapferer Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit und
Anständigkeit und stürmt nach den höchsten Kränzen; im
Widerstreit von Pflicht und Pflicht, zwischen den Pflich-
ten gegen die eigene Bestimmung und den Pflichten
gegenüber den Verhältnissen widersteht er der feisten
Selbstgerechtigkeit des Bürgers, der nur fauler Sklave
der Verhältnisse ist und keine freien Pflichten kennt.
Alles dies ist zu unmittelbar, zu ungeschickt in Details
aufgespießt und kein geschlossener großer Guß, das Er-
zählerische tritt hinter Reflexionen und Lyrismen zurück,
und Schreibereien wie etwa „Götz Krafft", „Der krasse
Fuchs" und ähnlicher Mißwachs sind im Zuschnitt dieser
Jusammenstoppelung von Nachdenklichkeiten und Senti-
mentalitäten unbedingt über. Aber nicht die Mache,
sondern Gefühl ist alles, und hier kündet sich der kommende
Dramatiker an, der mit Konflikten geladen ist, der die
Welt mit Charaktertypen bevölkert sieht (er hat im „An-
fang" eine außerordentlich drastische Art zu karikieren)
und der sich seiner Fähigkeit freut, „plötzlich und wie es
ihm paßt, Menschen aufeinander losschlagen zu lassen, um
einer Bedrängnis willen, die in ihnen lastet."
Der „Anfang" ist interessant als Darstellung des Zu-
standes, aus dem die ersten Dramen des jungen Hanns
Johst hervorkamen. „Er wollte sein Leben in Akte
ballen und sein Brudertum hinausschreien aus heißen
Komödianten. Er wollte den jungen Menschen zeigen,
der er gewesen war und in ihm alle jungen Menschen
bei den Händen nehmen" — als der Roman diesen An-
fang ansagte, lagen schon drei dramatische Talentproben
hinter den Dichter.
1914: „Die Stunde der Sterbenden", eine Dich-
tung mit verteilten Stimmen, kein Drama, aber immer-
hin eine Dichtung. Keine Gesichter, kein Handeln, nur
wehklagende Stimmen von fünf Sterbenden in „einer
Dunkelheit, einer Regennacht nach der Schlacht." Freund
und Feind und Tier seltsam brüderlich nahe und fremd
zugleich im Einssein der gemeinsamen Stunde vor dem
Tod; und eine mutige, klagende Sehnsucht: Kröne dich
selbst, Mensch! durch den Willen! „schafft neue Wege,
ihr Klugen, daß alle einander zuliebe frohe Gänge nur
gehen . . . ohne Weh und ohne Krieg!"
1915: „Stroh", eine Bauernkomödie in sächsischem
Dialekt und unverfälschtem sächsischem Gemäre, ein
rechtes deutsches Lustspiel auf der Linie Hans Sachs-
Anzengruber. Ein bitteres Stück gemeiner Wirklichkeit
aus den großen Kriegslagen, mit der saftigen, gesunden
Freude am Schabernack in das grelle Licht der Komödie
gerückt. Ein derbes Abbild des Kornwucherertums,
manchmal vielleicht ein bißchen zu realistisch getreu in
der Befangenheit der Gegenwartsnähe. „In de Stadt
da verdien'» se durch den Krieg de Milljonen, de Herrn
mit de Autos, das is de Wahrheet. Aber mer verdienen
mit'n Mistwagen desderwegen ooch e paar Pfenge!"
sagt einer der Bauern, und das ganze Dorf ist einig in
dieser Meinung. Bauernschläue und Bauernunverstand
übertölpeln sich gegenseitig, aber die hämische Gerechtig-
keit schmeißt zuletzt den Karren doch anders rum. Johst
hat sich mit der Komödie in die lächelnde Überlegenheit
über die Misere der Alltäglichkeit geschwungen, und mit
der Überlegenheit wuchs seine Selbständigkeit.


is-

5
 
Annotationen