Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Doderer, Otto: Hanns Johst
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0180

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hanns Johsl.

Unbeträchtlich noch das 1916 erschienene bürgerliche
Lustspiel „Der Ausländer". Eine schmunzelnde Ber-
ufung der braven Spießigkeit an Hand eines herkömm-
lichen Kleinstadtthemas: Drei Töchter werden von ihrer
Mutter geschickt an den Mann gebracht, immer hübsch
nach Knigge, und eine bedrohliche Krisis wird rechtzeitig
überstanden, nachdem sich der geheimnisvolle Ausländer,
die aufrührerische Sensation des Städtchens, als simpler
Weinreisender entpuppte.
Nun erst, auf der Stufe des „Anfangs", kommt die
Totalität des jungen Dichters, die ganze Feuerglut seiner
freigewordenen dramatischen Wuchten zum Ausbruch.
Er findet seine Form im neuen Drama, dessen rasende
Dynamik und Ekstatik, dessen Pathos und nervöse Bilder-
hast die gezwängten Einheiten des alten Dramas spreng-
ten und in dem mit Hilfe der modernen Bühne ganz
neue Möglichkeiten, seit Jahrhunderten gewünschte Er-
füllungen gegeben sind. Shakespeare, Büchner, Grabbe,
Wedekind sind seine Wegbereiter, das Oratorische der
revolutionären Zeit schreit: Raum! Raum!
Johst schleudert das ekstatische Szenarium „Der
junge Mensch" hinaus. In acht Bildern und einem
Vorspiel, in neun konzentrischen Situationen, stilisiert,
typisiert, visionär, die Verwandlungen des Lebensalters
zwischen dem Jüngling und dem Berufsmenschen. Eine
einzelne große Gestalt, der junge Mensch, geht durch die
Begegnungen dieser Situationen. Ein junges Gewissen
meint wieder einmal, ein neues Evangelium suchen zu
müssen, eine leidenschaftliche Seele umgeht die billigen
„Resultate" der Lebenserfahrung und will eigenmächtig
die Wege zu ihnen gehen mit aller Andacht, Licbe und
Inbrunst, und am Ende steht der junge Mensch doch ticf
ergriffen: „Ich war so laut, so grell! Und jetzt? . .. Wie
schnell wir stille werden, wenn wir die Stationen unserer
Brüder sehn." Es ist viel dumpfe, schwellende Jugend-
not, viel von den Untiefen und dem Überschwang dieser
drangvoll zerklüfteten Jahre in diesen flackernden Bil-
dern. Es räubert und werthert beieinander. Aber der
Könner Hanns Johst ist auch Gewissensmcnsch, er bleibt
nicht im Auflösenden, nicht in den Anklagen; über dem
Hochgericht reckt sich eine sittliche Forderung an sich selbst
am Schluß des Stückes: „Ich will in eine neue Haut
fahren," spricht der junge Mensch, „diesseits des Fried-
hofs," „ich will eine Tätigkeit beginnen."
Johst gab sich selbst mit dem „jungen Menschen",
gab damit die Tragödie des jungen Intellektuellen
schlechthin. In der Grabbe-Tragödie „Der Einsame,
Ein Menschenuntergang" (1917), dringt er noch mehr
in die Mitte seines Wesens. Seine Stoffe sind mehr
als anderwärts Bestimmung, nicht Zufall. Er gestaltet
im „Einsamen" etwas, was das Genialische immer
wieder einmal ähnlich in der Jugend durchleidet.
Kees potztu Uoloro8us! Das Titanische im Sumpf des
kleinen Alltags, der gesteigerte durchwühlte Mensch
unter dem Gebirge seines Erleidens, hilflos von un-
gebändigter Dämonie niedergerissen in den abschüssigen
Pfuhl der Leidenschaften. „Was ist ein Held? Ein
vielfaches vom Mörder". Johst bemächtigt sich der
Gestalt Grabbes, dieses Zerrissenen, dieses grandiosen
Fragments eines Genies, das zu wenig mitmenschliche
Hemmungen hat, um weniger ein Einsamer sein zu

müssen. Er steht voll Entsetzen vor einem Schicksal,
das sein eigenes Schicksal anrührt, und gestaltet in neun
verwcsentlichtcn Bildern, Querschnitten, Gesichten die
Passion von Grabbes Dasein, das von dem Tod der
Geliebten an führer- und ankerlos dahintreibt, auf
der Flucht vor sich selber, sich vor sich selber fürchtend,
wüst und rauh sich gebärdend, sich betäubend, derweilen
die grauenhafte überlärmte Einsamkeit es zermartert
und die schöpferische Kraft umso verzehrender aus dieser
Wirrsal cmporschlägt. Der Dichter hat einen wunder-
vollen Reichtum in diese Fresken eines unglückseligen
Geschickes vertan. Tragik in den mannigfaltigsten
Höhenlagen und Untertönen des Gefühls, gepreßtes,
wcltüberwindendes, weltumklammerndes Erleiden; über-
all ist aus den Säften Gewachsenes bis in den ver-
söhnend über die irdische Kümmernis hinaus weisende,
spitzwegisch lächelnde Wehmut des Ausgangs hinein.
3.
Von hier an scheint Johst eine geänderte geistige
Zielrichtung einzuschlagen. Er hat seinen romantischen
Subjektivismus ausgebraust, wird überpersönlicher,
sachlicher, zentripetaler, positiv. Im „jungen Menschen"
waren die Erschütterungen des Jünglings an den Toren
des Lebens, im „Einsamen" die Erschütterungen des
alleinigen schöpferischen Menschen inmitten der stumpfen
Masse „in Szenen geballt", in dem Drama „Der König"
(1920) ist nun der junge Mensch, der „eine Tätigkeit
beginnen" will, es geht nicht mehr um etwas Subjekti-
visches, sondern um ein Allgemeines, um das Volk.
Auch äußerlich ist ein Fortschritt sichtbar. In den beiden
vorigen Dramen monologisiert lediglich eine einzelne
leidende Gestalt zu ihren Mitspielern, jetzt ist da ein
Ringen von Gewalten gegeneinander, ein Anprallen
hart auf hart, der Monolog wird Dialog, der die Ge-
danken zwischen die knirschenden Kinnladen der Dialek-
lik nimmt und Gift und Galle speit; jedes Wort wird
Wendung, Steigerung, alles lebt von der Freude des
Denkens, und Johst wird in diesem Punkte künftig auf
der Hut sein müssen, denn Dialektik, sobald sie gestalt-
los wird, ist der Tod der Tragödie. Der „König" ist erst
Übergang. Wieder ist es, im „Tumult taumelnder
Verzückung" gewachsen, ein ekstatisches Szenarium,
darum nämlich, weil es die dynamischen Akzente eines
ungefügen ganzen Lebens, nicht nur drei oder fünf
wohlgegliederte Akte, packen soll; wieder ist es in einer-
anderen Potenz, auf einem anderen Forum der einsame
junge Mensch: der königliche, der aristokratische Mensch,
der Heilbringer, der der Menschheit, zunächst seinem
Volke (denn es gibt Lagen, in denen die Sorge für das
Völkische mcnschheitlicher ist als die Sorge für das
Menschheitliche über das Völkische hinweg), Freiheiten
schenken, „das Natürliche natürlich tun" will, aber an
der Trägheit der Masse zugrunde geht. Also derselbe
Konflikt, der letzten Endes jedes heroische Drama aus-
macht. Der alte Sinn: „Wer an das Volk glaubt, den
züchtigt das Volk, wer das Volk aber züchtigt, an den
glaubt es". Königsdramen waren von altersher die
Absicht vieler, aber wie sie hier angepackt ist, wird sie
wieder einmalig. Alle politische Tendenz ist ins Symbo-
lische erhöht. Eine anarchische Natur, ein Rebell gegen

17»
 
Annotationen