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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 2
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Doderer, Otto: Hans Franck
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Franck, Hans: Das Königsduell
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0081

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Hans Franck.

läufigkeit umhangen sind. Es ist die Tragödie der Sen-
sibilität. Aus überweichlichem Mitgefühl und Mitleiden
rennt der Empfindsame, der Glockenkranke, zwischen den
beiden fern voneinander lockenden Glocken sich zu Tode.
3.
In dieser überschau liegt nur die Ausbeute des ersten
Jahrzehnts aus dem Schaffen des Dichters, der jetzt
42 Jahre alt ist, vor uns. Inzwischen wurde aus dem
Hamburger Lehrer der Dramaturg des Schauspielhauses
und Leiter der Hochschule für Bühnenkunst in Düssel-
dorf. (Seine berufliche Tätigkeit wie auch seine kritische
und theoretisierende Nebenarbeit mag nicht günstig wirken
auf seine schöpferische Produktivität). Was schöpferisch
bis heute durch ihn vollendet ist, ist so viel, daß wir ihn
zu den verheißungsvollsten Köpfen unter der eben auf
dem Gipfel des leistungsfähigsten Mannesalters stehenden
Dichtergeneration zählen können; es ist noch zu wenig,
um sein Profil mit ganzer Deutlichkeit sehen zu können.
Sicher ist nur das eine: daß sein Weg zum Drama führt.
Otto Doderer.
as Königsduell.
Von Hans Franck.
Es war in der Dezembernacht, bevor Friedrich der
Große mit seiner Armee zum ersten Male in Schlesien
einbrach. Christian von Billerbeck stand mit. seinem
marschbereiten Regiment hart an der Grenze des Schwie-
buser Kreises, der nach den Plänen des Königs überrannt
sein sollte, noch ehe die Welt begriff, was geschehen war.
Da tagsüber alles bis auf den letzten Gamaschenknopf
von ihm in Ordnung befunden war, hatte Major Biller-
beck die Offiziere seines Regiments, ausgenommen die
beiden Ältesten, denen er die Runde übertragen hatte,
in das Pfarrhaus, darin er sein Quartier aufgeschlagen
hatte, zu einem Bierabend eingeladen. Wacker hatten
die Geladenen, der Mehrzahl nach junge kecke Kerle,
die nach dem Krieg, den sie nur vom Hörensagen kannten,
wie nach einem Liebesabenteuer Verlangen trugen,
darauflosgezecht. Immer wieder mußte eine Ordonnanz
über die Straße ins Wirtshaus laufen und die leeren
Krüge gegen volle eintauschen. Schlag zwölf Uhr erhob
sich der Major. Mit einem Ruck standen die Offiziere.
Selbst die Berauschtesten hielten sich, als wären sie aus
Erz gegossen. Während jedermann auf das „Gute
Nacht!" des Majors wartete, wurde von allen überlegt,
was mit den drei Stunden bis zum Überschreiten der
Grenze am besten anzufangen wäre. Im Wirtshaus
weiterzechen — nach Hause schreiben — Verse machen —
Arm in Arm, die Glut zu kühlen, in die kaltklare Sternen-
nacht hinauswandern —: das und manches andere noch
wurde gedacht. Das Nächstliegende: Schlafengehen!
dachte nicht Einer. Der Gute-Nacht!-Wunsch des Majors
blieb wider Erwarten aus. So kehrten die ausschwärmen-
den Gedanken der Offiziere zu dem Vorhaben des Vor-
gesetzten zurück. Erst als er alle Augen in die seinen
gezwungen hatte, begann Major Billerbeck zu sprechen.
„Meine Herren," sagte er, und ein Erschauern lief über
die Offiziere hin, daß ihre Berauschtheit zerstob wie ein
kreisender Taubenschwarm vor einem Schuß in alle
vier Winde auseinanderstiebt, „meine Herren, Sie

wissen, daß ich Ihnen keinen Satz so oft und so tief ins
Herz gehämmert habe wie den: Der König ist der König!
Daß ich Sie immer und immer wieder gelehrt habe:
Das Unrecht, das einem preußischen Offizier von seinem
König kommt, ist nicht Unrecht. Es ist Geschick. Und ist
zu tragen, wie man trägt, was Der da oben einem antut.
Ich wiederhole: In Stock und Eisen lasse ich Den schließen,
der auch nur mit der Wimper muckt, wenn ihm vom
König Unrecht geschieht. Der König ist der König! In
dieser Stunde jedoch will ich meinem Lebensleitsatz einen
weiteren hinzufügen, für den ich nun jeden von Ihnen
reif genug erachte. Der König ist der König! Aber: einen
Hundsfott heiß ich, wer nicht auch dem König gegenüber
seine Ehre zu wahren weiß. Lassen Sie mich — daß wir
uns ganz verstehen — ein Vorkommnis aus meinem
Leben erzählen:
Ich stand, als ich so jung wie der Jüngste unter Ihnen
war, in Küstrin. Eines Tages kam der König zur Revue.
Sie wissen — oder wissen nicht —: Friedrich Wilhelm
war ein jäher Mann. Es lag ihm weit näher, seiner
Meinung mit dem Stock als mit dem Mund Ausdruck
zu geben. Manchen Rekruten hat er allerhöchst eigen-
händig verprügelt. Schad um jeden Schlag, der daneben
ging. Die Kerle sind nicht anders als mit Prügel zur
Räson zu bringen. Auch Offiziere hat König Friedrich
Wilhelm geschlagen. Bis zu jenem Tag, von dem ich
spreche. Ich war damals mit einem Regimentskameraden,
Dietrich von Degenfeld, befreundet. Wie man nur in
jenen Jahren befreundet sein kann, wenn man nicht
weiß, wohin mit all seiner Liebe. Alles zitterte vor dem
Kommen des Königs. Nur wir beide, Dietrich und ich,
lachten. Die Nacht vor dem Tag, zu dem der König
angesagt war, legte sich alles mit den Hühnern schlafen,
um am Morgen frisch zu sein. Wir beide, Dietrich und
ich, durchzechten sie. Ein Bad vorm Dienstantritt —
federnd standen wir vor unfern Kerlen. Aber während
mir alles aufs beste geriet, was der König mir aus-
zuführen auftrug, batte Dietrich Pech. Seine Kompanie
schwenkte schlecht ein.' Als wir zur Kritik im geöffneten
Karree angetreten waren, schritt der König, ehe er be-
gann, da ihn nichts mehr verdroß, als wenn die Richtung
verloren ging, wutbebend auf den Sünder zu und ver-
setzte ihm mit den Worten: „Das für seine miserable
Richtung, monsienr Degenfeld!" einen schallenden Schlag
mitten ms Gesicht.
Da verläßt Dietrich von Degenfeld das Glied, baut
sich drei Schritt vor dem König, der vor dem Karree
Posto gefaßt hat, nach der Vorschrift auf und spricht —
während uns das Blut im Hirn gerinnt —: „Ich fordere
Ew. Majestät zur Sühne für die einem preußischen
Offizier angetane Schmach auf Pistolen!" Ich will zu-
springen und den Wahnwitzigen zurückreißen. Ver-
nichtend sieht mich der König, der mein Vorhaben ge-
wahrt, an. Wie in der Erde verwurzelt bleibe ich stehen.
Schon hat Dietrich die Pistole aus dem Gurt gerissen.
„Bedingungen" — hör ich ihn durch das Brausen meines
Blutes sagen — „Bedingungen: drei Schritt Distanz.
Einmaliger Kugelwechsel. Den ersten Schuß mir als
dem Beleidigten." Und damit hebt er die Pistole, legt an
und zielt auf das Herz seines Königs. Jetzt hält es
niemanden von uns mehr. Hinstürzen! Aupacken! Aus


ri
 
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