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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 3
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Kracauer, Siegfried: Max Beckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0103

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Max Beckmann.

Abb. i: Christus in der Wüste (Idll, Lithographie)'").

Max Beckmann.

Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt a. Main
U hängt eines der jüngsten Gemälde Mar Beck-
H manns, eine Kreuzabnahme. Stumpf-grauer
^^^Himmel breitet sich über der Szene, und mitten
in dem Himmel schwebt drohend eine lichtlose Purpur-
sonne. Der weißlich-grüne Leichnam am Kreuz, der die
Bildfläche in diagonaler Richtung durchschneidet, kündet
von allen Leiden dieser Erde. Aus den verzerrten Ge-
sichtszügen des Herrn spricht eine große Müdigkeit; man
spürt es deutlich, dieser Christus ist ohne Hoffnung ge-
storben. Für wen hätte er auch sterben sollen? Für die
Gesellen, die seinen Leib mit harten Händen roh an-
greifen? Für die knieenden Weiber am Kreuz, deren
eines sich gleichgültig lächelnd von ihm abwendet und
ins Leere blickt? Verzweiflung und nichts als Ver-
zweiflung lauert aus dem Bild hervor. Die Liebe ist
aus der Welt entschwunden, der Tod auch des Edelsten

ist sinnlos. Hinter dem Grau, das uns umfängt, wohnt
das Nichts, und keine Verheißung bricht mehr aus höheren
Sphären zu uns herein. So sieht dieser Künstler unsere
Zeit, und man muß es ihm lassen, daß er ihren ganzen
Jammer mit einer Erbarmungslosigkeit, die vor nichts
Halt macht und alles, auch das Entsetzlichste noch, über-
deutlich ausspricht, in unvergeßliche Gestalten zu bannen
weiß. Jeder nur einigermaßen empfängliche Mensch
wird sich angesichts seiner Werke aus den Jahren der
Katastrophe bis ins Innerste getroffen fühlen. Er spürt,
daß in ihnen nicht bloß ein mehr oder weniger belang-
volles Ich seine Qual in die Welt hinausschreit, sondern
daß die Qual der gegenwärtigen Menschheit selber in
ihnen gleichsam unmittelbar sich verkörpert. Und in die
Bewunderung der vollendeten Kunst des Malers mischt
sich bei ihm das Entsetzen über die Gottentfremdung
einer Epoche, in der solche Dinge gemalt werden müssen,

* Sämtliche Abbildungen erfolgen mit Genehmigung des Graphischen Kabinetts I. B. Neumann, Berlin.

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