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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 3
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Bäcker, Hans: Okkultismus
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Doderer, Otto: Schule der Weisheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0140

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Okkultiimus.

Tut jeder zum Mitbau einer neuen geistigen Welt-
ordnung Berufene sein Teil nach demMaß seinerKräfte,
so wird mit dem wachsenden Bau des Domes einer
geistigen Welt der Okkultismus von selbst wieder in sein
verborgenes Dunkel zurücktreten. Hans Bäcker.
chule der Weisheit.
In seiner kleinen Schrift „Was uns not
tut — was ich will" zieht Graf Keyserling eine Bilanz
der Zeit. Seine Behauptungen besagen, in die wesent-
lichsten Sätze zusammengefaßt:
Einmal: Der große intellektuale Fortschritt hat all-
gemein auf Kosten des Seelenlebens stattgefunden, die
Seele ist in einem seit dem Ende der Antike unerhörten
Maße zersetzt; als unangekränkelt kann heute nur mehr
das Naturhaft-Notwendige und das Ewig-Wertvolle in
abstrakt-absolutistischer Fassung gelten — diese beiden
Regionen geben aber keine Grundlage ab für eine mög-
liche Kultur, weil jene unterhalb, diese oberhalb ihrer
gelegen ist,
Zweitens: Hat der Verstand eine gegebene Seelen-
form zersetzt, so ist es Aufgabe, eine neue zu bilden, einer
weiteren und tieferen Geisteseinsicht gemäß; eine neue
Synthese von Geist und Seele tut uns not.
Drittens: Kein noch so hohes Beispiel ursprünglicher
seelischer Schönheit oder spiritueller Durchdringung
kann die Wendung herbeiführen, sofern das höhere Sein
nicht von gleichwertigem Verstehen und Wissen begleitet
wird, daher wird das Heil dieses Mal von keinem neuen
Glauben kommen, so groß die Sehnsucht gerade nach
diesem sei: die wichtigste Aufgabe kommt heute nicht der
Religion zu, sondern der Philosopbie, der Philosophie
nicht als abstrakter logischer Wissenschaft, sondern als
lebendiger Weisheit, deren eigenste Aufgabe ist das
Wiedererwecken, das Steigern, Vertiefen und Verdeut-
lichen des lebendigen Urzusammenhangs. Weisentum
bedeutet nichts anderes als die höchste Stufe des Voll-
menschentums, die zu Fleisch gewordene Universalität.
Vornehmste Aufgabe dieser Zeit ist es, den Weisen als
Typus zu ermöglichen, heranzuziehen und ihm die not-
wendige Resonanz und Wirkungsmöglichkeit zu bieten.
Ist der Einklang von Geist und Seele auf erhöhter Er-
kenntnisebene wiederhergestellt, ihr Wissen endlich selbst-
verständlich geworden, dann wird das Heil wieder un-
mittelbar vom Höchsten kommen, vom Heiligen, von Gott.
Viertens: Bei der Erziehung zur Weisheit handelt es
sich keineswegs um eine Forderung für wenig Bevor-
zugte. Es ist einer der vielen Aberglauben unserer Zeit,
daß das Höchste nur wenigen zugänglich sein — nicht
allein könne, sondern sogar müsse: im Gegenteil, gerade
das Höchste ist jedermann zugänglich, nur in mebr oder
weniger tiefem Sinn. Weisheit ist eben kein Können,
sondern ein Sein. Es irren die Vielen, die da glauben,
daß das Ziel der Menschheitsvergeistigung in den Tiefen
und nicht auf der Höhe zu fassen ist; alle Entscheidung
erfolgt auf der Höhe.
*
Als Ermöglichung des Zieles, „den Weisen als Typus"
zu erziehen, denkt sich Keyserling seine „Schule der
Weisheit". Es handelt sich um eine Anstalt im Sinn

der platonischen Akademie und der Weisheitsschulen des
Ostens, um eine „Schule der Bewußtheit, aus dem Geist
äußerster Wahrhaftigkeit und stärkster Willensanspannung
heraus", um eine Anstalt „mitten inne zwischen den
Daseinsflächen der Kirche und der Universität, prinzipiell
aber jener näher als dieser, weil die Schule der Weisheit
in erster Linie das Sein beeinflussen soll". Sie könnte
formell die gleiche Sonderstellung neben der Universität
einnehmen wie die Akademien und Forschungsinstitute.
Es könnten Menschen an ihr oder von ihr aus wirken,
die im übrigen Professoren oder Staatsmänner sind.
Werdende sollen dort unmittelbar daru erzogen werden,
„nicht Fragmente, sondern Menschen ru werden, keine
Denkmaschinen, sondern lebendig Wissende, keine Nach-
plapperer und Verewiger fremder Gedanken; der Bil-
dung Zielsollsein,daßjene keine Befolger überkommener
Routine würden, sondern vollverantwortliche, durchaus
ursprüngliche Wesen, welche nur das bekennen, was sie
aufrichtig meinen, nur das meinen, was ihnen wirklich
entspricht, und die nicht rasten, bis daß das Wort, das sie
als ihre Wahrheit erkannt haben, in ihnen zu Fleisch
geworden ist."
Die „Schule der Weisheit" ist seit dem Winter vorigen
Jahres in Darmstadt verwirklicht, vorwiegend durch eine
größere Stiftung des allen geistig wertvollen Bestrebun-
gen der Zeit gern zugeneigten Großherzogs von Hessen,
der auch im Neuen Palais die erforderlichen Räume zur
Verfügung stellte. Um die Schule gruppiert sich die
Gesellschaft für freie Philosophie; sie besteht aus „För-
derern", die das Unternehmen durch größere Stiftungen
oder den recht erheblichen Jahresbeitrag von mindestens
1000 Mark unterstützen, aus den „Geistig Verbundenen",
die mit der Schule der Weisheit sympathisieren und durch
einen Jahresbeitrag von mindestens 100 Mark auf ihre
Veröffentlichungen subskribieren, und, als aktiver Kern-
truppe, der „Gemeinschaft der Schüler". Die Schüler
sind zurzeit etwa 70 an der Zahl, in der Mehrheit
Studenten; Nichtintellektuelle sind keine darunter, so gut
wie kein Arbeiter. Durch das intime, je nach den indi-
viduellen Erfordernissen der Einzelnen längere oder
kürzere, zeitweilig wiederholte Zusammenleben mit
Keyserling, dem Leiter der Schule, und unter sich sollen
sie das Bildungsziel erlangen. Von Zeit zu Zeit, einmal
im Frühjahr und einmal im Herbst, finden allgemeine
Tagungen statt, die jeweils für eine Woche die weiteren
Kreise der Gesellschaft für freie Philosophie vereinen
sollen. Auf der letzten Tagung im Mai hielt Keyserling
drei Vorträge über den Sinn der Politik, Or. Karl
Happich sprach über Selbsterziehung, Or. Erwin Rousselle
über „die Pfade der Verinnerlichung im Morgen- und
Abendland", der Chinakenner Or. R. Wilhelm, der lange
Jahre als Missionar in Tsingtau lebte, über chinesische
Erziehung zum Gemeinschaftsleben und die chinesische
Auffassung vom Sinn des Lebens. Leopold Ziegler war
durch sein Leiden an der Vorbereitung seines geplanten
Vortrags, „der Sinn des Leidens", verhindert, er las
stattdessen das letzte Kapitel aus seinem demnächst er-
scheinenden Buddhabuch. Die Stunden außerhalb der
Vortragsreihen waren ausgefüllt durch persönliche Be-
sprechungen, zwei Konzerte und engere Zusammenkünfte.
Die nächste Tagung ist im September.
 
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