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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 1
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Doderer, Otto: Wilhelm von Scholz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0031

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ilhelm von Scholz.
Von Otto Doderer.
1.
Im Jahre 1890 tritt der Vater des damals sechzehn-
jährigen Wilhelm von Scholz von seiner Stellung als
preußischer Finanzminister zurück und siedelt auf sein
einige Jahre vorher erworbenes Gut nach Seeheim bei
Konstanz über. Der junge Scholz findet sich plötzlich aus
den ummauerten Engen des Berliner Asphaltes in die
freien Weiten eines Eigentums versetzt mitten in die an-
mutige Landschaft um die große ruhende blaue Wasser-
fläche, die im Angesicht ferner Gletschergebirge umkranzt
ist von altersgrauen Reichsstädtchen, Klöstern, Munstern,
Burgen und Schlössern, Fürsten- und Bischofssitzen, in
ihrer Mitte die Stadt der Reichstage, Konzilien und
Judenmorde. Mit Heller Freude empfindet er von nun
an dieses Bodenseeland als Heimat seiner Seele. Er
begeistert sich an den Schönheiten und der Geschichte der
Landschaft, die als Schwelle vom Nord zum Süd eine
besondere Kulturpflegestätte war seit altersher, aber er
erlangt kein innerliches Verhältnis zu den alemannischen
Menschen, die sie bevölkern. Er hat die wurzellos aus-
gereifte Jugend zu büßen: denn er fand zwar eine Hei-
mat, aber ist nicht bodenständig in ihr.
Noch zwei Primanerjahre, und er ist auf der Universi-
tät, um Literaturgeschichte und Philosophie zu studieren:
in Berlin, Lausanne, Kiel. Im dritten Semester, wäh-
renddem er in Kiel gleichzeitig seine Militärpflicht
abzudienen begonnen hat, findet er Vergnügen an einem
flotten Leutnantstum und wird Fahnenjunker in Karls-
ruhe, ist aber auch das Leutnantsleben nach knapp einem
Jahr überdrüssig, nimmt seinen Abschied und geht nach
München, wo er seine ersten Gedichte veröffentlicht, sein
Studium zum Abschluß bringt und mit dem Theater in
nahe Berührung kommt. Seit einigen Jahren ist er jetzt
Dramaturg und Spielleiter am Stuttgarter Landes-
theater.
Das Wörtchen, das Wilhelm Scholz vor seinen alt-
bürgerlichen Namen zu schreiben das Vorrecht hat, ist
seiner Begabung verhängnisvoller gewesen, als es ihm
nützen konnte. Das Leben hat ihn nicht hungern und
darben lassen, und er hat nie ein Proletendascin durch-
kreuzt, er lebte in einer Oberschicht, wo man auf ästhetische
Sauberkeit zu achten gewohnt ist, wo vielfach hoch und
niedrig gewichtigere Wertungen bedeuten als gütig und
herzlos, wo das Talent gar zu leicht von den Kräften
des Volkstums abgeschieden und in eine feudale Ex-
klusivität gerückt ist, in der kein Vollmenschentum ge-
deiht. So macht Wilhelm von Scholz, nachdem er die
Stufe einer gewissen ökonomisch sich spezialisierenden
Eigenart erreicht hat, zwar noch mancherlei gefühls-
mäßige Wandlungen durch, hat aber kein Wachstum
mehr in die Tiefe, sondern ergeht sich in einer bloß
formalen Entwicklung: seinem Talente fehlt vielleicht
doch die letzte produktive Ursprünglichkeit, es ist letzten
Endes mehr oder weniger rezeptiv und eklektisch: er ist
Ausdruck, nicht Erschütterung — nicht nur als Lyriker,
auch als Dramatiker. Sein Talent hat sichere, gepflegte
Hände, keine Pratze. Sein Element ist das Zwielicht:
/

Nacht, halbdunkle Geisteszustände, mittelalterliche Ver-
gangenheiten; seine Verpuppungen sind Verwaiste und
Ausgeschlossene: Mönche, Könige, einsame Dombau-
herren, Ritter und Wanderer. Er hat zuviel Distanz
vom Leben, darum braucht er distanzierte Stoffe. Die
Worte, die er die Marquise in der „Gefährlichen Liebe"
sagen läßt, sind brandmarkend in ihrer einseitigen Rich-
tigkeit seinem eigenen Schaffen auf die Stirn geschrieben:
Das Schöne ist im Leben alles Kunst.
Natur ist plump, bewußtlos ohne Rausch.
2.
Sein Verhältnis zur Bodensee-Landschaft ist innige
Zuneigung. Er wird nicht müde, sie wie ein Minne-
sänger zu preisen. Es mögen besonders glückliche Neben-
umstände gewesen sein, die beim ersten Eindruck für die.
bleibende Anschauung bestimmend waren. Eine der Ur-
sachen deutet er an, wenn er gelegentlich eines Gesprächs
über Konstanz meint: „Ich kam aus Berlin. Schon
räumlich hatte ich da das Stadtganze nie gesehen, nie
umwandert, nie deutlich als einen in inneren Wechsel-
wirkungen pulsierenden Lebensorganismus erkennen
können. Zumal mir in Berlin Staat und Reich viel
mehr zum Bewußtsein kamen als die Stadt." Um so
eindringlicher mußte auf seine Empfänglichkeit eine
Gegend wirken, die mit landschaftlichen Schönheiten
überaus gesegnet und kulturellen und geschichtlichen
Reichtums voll ist. Ihr ist ein gut Teil seines Schaffens
entsprungen: sein Gedichtband „Hohenklingen", der ur-
sprünglich rundweg „der See" heißen sollte, sein „Jude
von Konstanz", seine Bücher „Der Bodensee" (das auf
Bestellung geschrieben zu sein scheint, aber gerade darum
intimer Reize nicht bar ist) und „Sommertage am Boden-
see", dann die Anthologie „Der See, Ein Jahrtausend
deutscher Dichtung vom Bodensee", mittelbar wohl auch
seine Arbeiten über die Mystik, den Minnesang und die
Droste.
Wenige Teile Deutschlands sind in sprachlich so
schönen, frischen und geistvollen Schilderungen beschenkt
worden, wie sie Scholz in seinen Bodensee-Büchern ge-
geben hat. In seinen Bändchen „Reise und Einkehr"
und „Städte und Schlösser" sind landschaftlich keine
Begrenzungen gezogen, sie reichen z. T. auch über das
Reich hinaus: meist irgendwo dahin, wo sich noch ein
Stück Mittelalter erhalten hat. Scholz erläutert die Ab-
sicht seiner Reise- und Wanderbilder mit folgenden
Worten: „Während den Verfasser zuerst der Wunsch
leitete, durch schriftliche Rechenschaft, die er sich von
allem Erlebten gab, alles für sich selbst ins Licht zu brin-
gen, was er gesehen, auch das, was er zunächst nur un-
bewußt gesehen und nicht beachtet hatte, fühlte er bald
die Freude, daß flüchtige Tage oder Wochen zu festen
Gestaltungen wurden, zu klarem Raum und erfüllter
Zeit, in der Landschaft und Städte, Wetterstimmungen
und Jahreszeiten deutlich und unverlierbar standen."
Diese Freude des Reisenden macht die Eindrücke lebendig
und farbig, obwohl Scholz keine persönliche Kunstform
für ste gefunden hat: es sind Feuilletons. Daß sich sein
bildnerisches Talent mit photographischen Aufnahmen
begnügt — von denen einige in seinen Aufsatzbüchern
abgedruckt sind —, mag in gewisser Hinsicht symptomatisch
auszulegen sein. Scholz pflegt das „empfindsame", be-


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