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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 1
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Doderer, Otto: Wilhelm von Scholz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0032

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Wilhelm von Scholz.
sinnliche Reisen im Sinne Goethes, aber merkwürdig ist,
wie wenig der Mensch auch in diesen Stimmungen und
Betrachtungen zur Geltung kommt. Wer mit einem
Zeitgenossen wahrhaft goethisch reisen will, muß sich an
Hermann Hesse wenden. Scholz hat sich in seinen letzten
Wanderbildern immer mehr von der Landschaft weg
ins Abstrakte gewendet. Ihn fesseln „gebauter Raum":
die Architektonik, und Zeit: die Geschichte.
Vor dem Band „Städte und Schlösser" steht als Wid-
mung ein Brief an seinen geliebten, im Krieg als Fähnrich
gefallenen Jungen. Diese Widmung leuchtet aus dem
wahrlich nicht spärlichen Gesamtschaffen des Dichters
wie das rote Herzensmal im „Herzwunder" — so selten
ist das Menschlichwarme darin.
3.
Selbst in seinem Innerlichsten, seiner Lyrik, ist dieser
Herzschlag nicht spürbar. Er hat sich nicht in sie hinein-
verblutet. Seine Gedichte sind nicht Blüten der Sinnlich-
keit des Blutes, sondern der Sinnlichkeit der Nerven:
intuitive Reflexe des Gehirns. Seine künstlerische Eigen-
art beruht darin, durch Zusammenfassung von Assozia-
tionen die poetischen Affekte hervorzurufen, die in ihm
durch die Intuition entstanden. Das Metaphorische ist
ihm Selbstzweck. Mit großer Kunst benutzt er das Mittel,
toten Dingen Bewegung unterzulegen. Es heißt von
der Begegnung mit einem Blinden:
Mißtrauisch spähte sein Hinterkopf
statt des erloschenen Gesichts.
Oder:
Hörst du nicht fern
die gestorbenen Kön'ge und Herrn
sich an die silberne Sargwand schmiegen?
So entsteht der Eindruck somnambulen Erlebens, des
Inkommensurablen, des Sichselberfremdwerdens — Ge-
fühle, deren Wiedergabe Scholz vor allem in den Nacht-
gedichten mit musikalischer Feinhörigkeit gelingt. Dennoch
liegt vielleicht ein wenig Methode darin: sozusagen sich
selbst auszuschalten, sich mit geschlossenen Augen von
außen an das eigene und das fremde Leben heranzu-
fühlen und hincinzuprojizieren. Um noch einige Beispiele
zu nennen:
Die Nacht, die nebelschwere, nimmt
mich mit ins Dunkel, das mich fällt.
Oder:
Sieh, ich bin die einsame stille Wacht
an der Grenze. Alle sind mir fern.
Und du rollst um mich, Weltkugel Nacht,
wie um den vergessenen letzten Stern.
Oder:
Nun fühl ich ruhen Stein auf Stein,
nun fühl ich alle Balken tragen,
nun fühl ich alle Türen schließen
und alle Fenster mächtigen Schein
in nächtige Zimmer leer ergießen.
So wiederholt sich Scholz im Grunde nur immer
wieder (was ein Dichter, der Achtung vor sich selber und
seinen Lesern hat, nie tun sollte), und von diesem Stand-
punkt aus betrachtet, hat er gar nichts von Mystik, auch
nichts Mysteriöses an sich, obwohl er sich selbst für einen
Mystiker hält und in seinem Büchlein über „deutsche
Mystiker" kokett Verse „eines Neueren" zitiert: der er

selber ist. Genau so wenig mystisch ist sein Zeitgefühl:
.... all unser Leben ist,
nur weil auf ihm unsichtbar Sehen ruhte,
wie unser Blick in dieser Traumminute
dort auf dem Paar, das sich im Dämmer küßt.
Oder:
Was uns bleibt? Der Traum von Stunden,
die ein ganzes Leben waren,
und das Werk von schweren Jahren,
die wie eine Nacht entschwunden.
Oder:
Cs wirrt von Worten, flimmert von Gesichten,
und mich umhallt aus Sagen und Berichten,
sich mir aufdrängend, lauter fremdes Sein.
Das alles hat Hugo von Hofmannsthal in seinen
Terzinen über Vergänglichkeit einmaliger und besser ge-
sagt. Wahre Mystik steckt in einer einzigen Hymne von
Novalis mehr als in den beiden Lyrikbänden von Scholz;
jene Mystik aber ist Romantik ohne Überschwang, zimper-
liche Resignation: Dekadence.
Scholz hat nur wenige Tasten des Empfindens, die
er wechselnd anschlägt und mit Rhythmik füllt: Nacht-,
Entfremdungs- und Vergänglichkeitsgesühle. Um sie
spielt seine formende Phantasie in einer Weise, die man,
wenn man will, als expressionistisch bezeichnen könnte,
wenn nicht alles intensivste Erleben ohne weiteres ex-
pressionistisch würde. Scholz gelingt es, durch eigentlich
expressionistische Mittel auch rein Visuelles Wort werden
zu lassen, so in den Landschaften „Rheinüberfahrt" und
„Rennstieg-Wanderung", und so verdanken wir ihm
einzelne Gedichte, die tatsächlich ihresgleichen nicht haben
in unserer Lyrik: die Nachtgedichte „Nächtlicher Weg",
„Mitternacht", „Haus bei Nacht", „In einer Dämmer-
stunde", liedhafte Gedichte wie „Der fremde Wanderer",
„Der Wanderer", „Der Ritter", „Die Herbstburg",
Spruchgedichte wie die „Brunnen-Inschriften" und
balladeske Lyrik wie die „Königsmärchen" und „Abt
Mangold und der Reichenauer Fischer"'
4.
Die kleine Schrift „Deutsche Mystiker" beweist,
daß Scholz kein Verständnis hat für katholische Innigkeit.
Ihm fehlt das religiöse Urgefühl, jedwedes Priestertum,
er kennt nicht die Inbrünste jeder Art, mit denen sich
Dehmel zwischen Gott und Tier herumschlug, er bleibt
bei der mittelsten der drei Unterscheidungen Jean Pauls,
der das Außere, das Innere und das Innerste abstufte.
Man kann auch in der Mystik das erste Sturmesbrausen
vor der Reformation spüren, aber es ist nicht möglich,
Luther als Mystiker zu bezeichnen. Anderseits ist Mystik
mehr als religiöse Ekstase, mehr als Aungenreden, mehr
als das „Suso, laß sausen". So ausgezeichnet die ein-
zelnen Kapitel über den Rausch der Rede, die Ekstase,
Mystik und Christentum an sich sein mögen, so sagen sie
doch nur eine halbe Wahrheit, weil sie sich im wesent-
lichen nur mit dem sprachlich-dichterischen Problem,
weniger mit dem geistig-religiösen Phänomen befassen,
sondern eigentlich nur darauf beschränken, sich auf Susos
Wort zu berufen: „Wie kann man Bildloses gebilden und
Weisloses beweisen?" Scholz sieht in den Mystikern
unterdrückte Erotik, verirrte Nachkömmlinge der Minne-
sänger. Es hat den Anschein, daß ihn nicht seine Ent-

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