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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 1
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Doderer, Otto: Wilhelm von Scholz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0033

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Wilhelm von Scholz.

wicklung zur Mystik führte, sondern umgekehrt seine
Entwicklung durch die Beschäftigung mit der Mystik
beeinflußt worden ist, die hinwiederum von heimatlichen
seine und geschichtlichen Interessen herrührte, ebenso wie
freien Nachdichtungen der Minnesänger („Minnesang").
Wie er dem Bodensee als Wahlheimat angehört, so
dem Theater als seinem Beruf. Als Zeugnis seiner
dramaturgischen Praxis liegt die geschickte Bühnen-
bearbeitung des Hölderlinschen „Empedokles"-Frag-
mentes vor. Seine theoretischen Abhandlungen zum
Theater sind in den beiden Bänden „Gedanken zum
Drama" gesammelt. Sie sind analytischer Art, synthe-
tisch nur da, wo sie eigene Programmatik berühren.
Scholz fußt auf Hebbel, „dem Manne, der zuerst die Not-
wendigkeit im Kunstwerk aufspürte" — die (selbstver-
ständliche!) innere Notwendigkeit, das dreifach ge-
steigerte: es kann so sein, es ist so, es muß so sein. Be-
merkenswert auch, was Scholz zu Hebbel als Mensch zu
sagen hat. Wir sind der Meinung, daß Hebbel, mag er
auch als empfindsamer Mitmensch unter seiner Armeleute-
Herkunsi gelitten haben, als Schaffender Gott dafür hätte
danken sollen, sie war für ihn ein Kapital. Kleist und
Schiller werden von Scholz selten erwähnt. Als Bühnen-
fachmann scheint er, wie heutzutage üblich, die Heb-
ammendienste des Regisseurs zu überschätzen. Im übrigen
enthalten die beiden Bände als Beiwerk zu viel belang-
lose Abfälle: kleine Notizen, Bücherrezensionen usw.
Nicht auf der Höhe der „Gedanken zum Drama" ist
„Die unsichtbare Bibliothek", ein kleines Buch, das
fingierte, rum Teil satirische, zum Teil ernstgemeinte
Rezensionen über ungeschriebene Bücher enthält. Auch
das Bändchen „Der Dichter" ließ er sich als Gelegen-
heit, Endgültiges zu sagen, entgeben. Es beginnt mit
folgendem absurdem Bild: „Ich sehe den Dichter als
eine kleine Gestalt in einem sehr großen Raum, in einer
Ebene oder einem Gebirge, am Grunde des großen
Gewölbes. ... Es ist köstlich zu sehen, wie seine kleine
Gebärde das Gefühl des Aufragens ausdrückt, das Ge-
fühl: dieser ungeheure Raum ist um mich gerundet,
kreist um mich, die Mitte." Eine Vorstellung, die nichts
Prometheushaftes in sich birgt! Scholz ist in diesen
Büchelchen hartnäckig in die vage, gesuchte Idee ichlosen
Raum- und Zeitgestaltens verrannt und zu sehr vom
Wesentlichen in ein knisterndes Gebläse abgeirrt. Der
Dichter ist mehr als, um es so auszudrücken: metaphy-
sisches Auge, seine menschlichen Konfessionen, sein Er-
leiden und Erleben sind wichtiger als Erschauen und
Erdenken.
5.
Dramatiker heißt für Scholz: „Schöpfer des Raum-
kunstwerks der menschlichen Leidenschaften". In seinem
eigenen Schaffen ist, wie er an einer anderen Stelle sagt,
„mitbestimmend der Raum zum seelischen Aufglühen-
lassen der Gestalten durch die Leidenschaft", den er instink-
tiv an einer Fabel, einem Stoff empfindet. Wie verhält
sich hierzu die Äußerung Hebbels: „Im Drama ist mir zu-
mut, als ob ich mit bloßen Füßen über glühendes Eisen
ginge; um Gottes willen nur keinen Aufenthalt; was
nicht im Fluge mitgeht, gehört nicht zur Sache!" Uns
dünkt: Scholz ist bei solchen Geständnissen zu sehr in
lyrisch-dramatischen Dichtungen von der Art des „Gast"

und „Herzwunder" befangen. Auch das Drama ist für
ihn nur (seelische) Landschaft, nur Architektur. Es ist
leichter, aus der Unbegrenztheit der Phantasie Typen
und Stimmungen auf die Bühne zu stellen, als Wirklich-
keit zu kunstvoller Kausalität zu ballen. „Anfang ist die
Situation", behauptet Scholz. „Es ist ein Irrtum an-
zunehmen, die Handlung eines Dramas entwickele sich
aus dem Charakter des Helden. Sie entwickelt sich aus
seinem Schicksal, und zwar dort, wo sich das Schicksal
zu einer Kräfte umschließenden, Gegensätze zum Kampfe
lösenden Situation ausgestaltet." Die Arten des dichte-
rischen Schaffens sind mannigfaltig verschieden. Von
der Situation aus kann wohl Spiel und Dichtung
werden, aus ihr allein aber keine Tragödie; Ideen rind
Gefühle können wohl Gestalt annehmen, aber die Ge-
stalten werden nur Gespenster der Gedanken sein. Unter
den Kunstgattungen übt gerade das Drama die unerbitt-
lichste Diktatur der Gattung aus. Erst über das Kino
hinweg ist es jetzt im Begriff, aus der Psychologie, dem
Milieu, der Situation wieder zurückzukehren zur Tat
auf der Bühne. Auch Otto Ludwig ging von der Situa-
tion aus, aber er hatte darum jedesmal einen endlosen,
umständlichen und aufreibenden Umformungsprozeß mit
seinen Stoffen durchzumachen, bis sie seinem künst-
lerischen Gewissen genügten. Schiller und Hebbel er-
lebten ganz dramatisch, d. b. vom Charakter aus.
Es läßt sich wohl denken, daß Stücke wie der Ein-
akter im Stil Maeterlincks „Der Besiegte", das sym-
bolische und dichterisch edle, aber bewegungsarme Spiel
„Der Gast", das zwischen Wildenbruchs „Herenlied"
und Vollmoellers „Mirakel"-Pantomime aufgesprossene
„Herzwunder" und, am meisten, das neue Schauspiel
„Der Wettlauf mit dem Schatten" diesen Ausgangs-
punkt hatten, nicht aber bei Stücken wie „Meroö" (der
strengen Hebbelschen Königstragödie), „Gefährliche
Liebe" (dem Schauspiel aus dem Paris am Beginn der
Revolution — ganz psychologische Problematisierung),
„Die Feinde" (Schauspiel aus den Befreiungskriegen,
sich fatal dem vaterländischen Festspielton nahend, aber
mit dem Vorzug scharfer Charakteristik). Den „Juden
von Konstanz", seine heroische und stärkste Tragödie,
zieht Scholz selbst gelegentlich als Beispiel heran, um die
vitale Bedeutung des dramatischen Explosivstoffes, der
im Grundkonflikt, also im Charakter, schon angelegt ist,
deutlich zu machen. „Nehmen Sie das Beispiel eines
Juden," sagt er, „der von seinem Glauben und seinem
Stamm abfiel, um sich unter den Christen eine feste
Heimat zu schaffen, und den doch die einzige Heimat,
die er hat, seine Vergangenheit, nicht losläßt. In diesem
Drama muß jedes Moment der Handlung, wenn es als
begründet angesehen werden soll, sichtbar aus der alten
oder der neuen Heimat des Mannes erwachsen, an den
Grundkonflikt erinnern."
Schon die Voraussetzungen sind anders bei, den
barocken Einfällen, in denen Scholzens Erfindungsgabe,
des Klassizistischen müde, sich gelegentlich ausläßt: in
seinen Grotesken. Sie sind und wollen nichts weiter
sein als Situation, in die Länge gezogene Situations-
komik. Sie widerstreben den dramatischen Naturgesetzen,
aber sie können ihrer Zugkraft trotzdem sicher sein. Das
Leutehirn ist nun einmal so närrisch, daß es die Lach-
 
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