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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 3
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Doderer, Otto: Emanuel von Bodman
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0127

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Emanuel von Bodman.
. Doch stehen Garben, golden aufgeschossen,
In meinem allertiefsten Seelenschacht,
Und diese Tür hat keiner aufgeschlossen,
Und manches Korn füllt ab in dunkler Nacht.
Als wäre ich von jenem Stern gefallen,
So fremd irr ich umher im Heimatland,
Und doch kommt eine Zeit einst, wo euch allen,
Die ich gesucht, mein Strahl zur Seele fand.
O wo sind Menschen, die mir voll Verlangen
Mit leerer und mit voller Schale nahn,
Im kühlen Reigen schenken und empfangen,
Beglückt, daß sie ein gleiches Wesen sahn?
(Aus dem Gedicht „Fremd".)
Das Wesen dieses Dichters wird von vornherein durch
seine Herkunft bestimmt. Er ist Erbe autokratischen
Blutes, das eine Geschlechterfolge langer Jahrhunderte
genährt hat. Als die germanischen Stämme angesichts
der römischen Legionen gefügig und seßhaft wurden,
waren es die Rebellennaturen, die ungebrochenen Kerle,
die sich auflehnten gegen das reibungs- und reizlose
Einerlei der Arbeitsamkeit und Redlichkeit, dem sich die
Massenmenschen ergaben und in dem sie hörig wurden,
während eben diese Herrenmenschen weiterhin von der
Jagd, dem Raub, dem Kampf und den Früchten des
Fleißes ihrer nun fronpflichtigen Stammesgenossen
lebten und sich allmählich als Adel herrschend aussonder-
ten. Solange die menschliche Gesellschaft sich eine solche
parasitische Oberschicht leisten konnte, so lange hätte es
deren Bestimmung immerhin sein können, unter der
Masse der Geduckten gleichermaßen die Reinzucht der
unverkümmerten Rasse zu sein; erst mit dem neueren
Adel kamen Schacherer- und Augendienernaturen in die
dünne Oberschicht des Uradels, den zudem mit den ver-
änderten Aeitbedingungen in allzu faulen und fetten
Erbrechten die Entartung vermorschte. Wenn auch
heute die Oligarchie überstanden ist wenn auch an-
archisches Selbstgefühl jeden eigenwüchsigen Menschen
immer aufs neue wieder unabhängig von den Verhält-
mssen macht und es allein eine Angelegenheit der see-
lischen Freiheit ist, ein aristokratisches oder proletarisches,
ein geistiges oder viehisches Dasein zu leben, so ist dies
alles doch für einen Freiherrn von Bodman nicht ein
selbst errungenes Vorrecht der Gesinnung, Gewöhnung
und Erziehung, sondern das natürliche, selbstverständliche
Vorrecht der Geburt.
Der Name des Bodensees soll von dem Stammsitz
der Bodman, der fränkischen Königspfalz Bodoma, dem
heutigen Bodman am Überlinger Zipfel des Sees, her-
zuleiten sein. Die süddeutsche Art mit ihrem starken
demokratischen Einschlag hat Emanuel von Bodman
vor dem Korsett des Junkertums bewahrt, und in seiner
Dichtung äußert sich sein Wesen nicht in einer forcierten
Schneidigkeit, in polterndem Landsknechts- oder schnodd-
rigem Strauchrittertum, sondern schlichtweg in der
Noblesse der Haltung.
Seine Innerlichkeit ist insular auf sich selbst gestellt.
Sein Jchgefühl unterdrückt das Mitgefühl. Er ist ge-
wohnt zu fordern und keine Zugeständnisse zu machen.
Stolz, trotzig, männlich, geradeaus, frisch und unbefan-
gen empfindend, ein unverwickelter Mensch ohne Senti-
mentalitäten, ist er, voller Heftigkeiten, aber unein-

gedämmt von -starken, anhaltenden Leidenschaften,
dennoch eine problematische Natur. Seine Empfindsam-
keit erliegt dem Fluch des Einzigen und seines Eigen-
tums. Er ist einer von denen, wie es in Kleists Abschieds-
brief ans Leben heißt, denen auf Erden nicht zu helfen
ist. Die übermäßige Anspannung seines Nervenlebens
findet nicht den Ausgleich durch den Zusammenhang mit
den Mitmenschen. Zwischen den feudalen Sattel und
die eigentliche Haut ist der Dorn romantischer Verein-
samung verhängnisvoll eingeklemmt. Als Romantiker
der Veranlagung nach wächst er in schweizer Luft hinein,
in eine knorrige Volksgemeinschaft,deren rauhes Phlegma
er nicht besitzt — so wenig süßlich er auch ist — und wird
in seinen für ihn als Dichter entscheidenden Entwick-
lungsjahren vom Naturalismus der neunziger Jahre mit-
gerissen. Realist zwar in seinem Gehaben, nach dem
drastischen Ausdruck Liliencrons: „die Idealisten sind die
Kerls mit Fischblut, die Realisten sind die Kerls, die die
Mädels gern haben", bleibt, soweit wir vorläufig sehen
können, der tragische Zwiespalt unverharscht an seinen
Wurzeln. Er findet nicht zur erlösenden Tat und zum
Sichselbstbezwingen, die den „Faust" und „Hamlet"
(mit Fortinbras' entschlossenem „Geht, heißt die Truppen
feuern!") beschließen und dem Dichter des „Grünen
Heinrich" die zweite Fassung des Romans abnötigten.
So wird er Dichter des Heimwehs, des unseligen
Heimwehs nach einem Unerfüllbaren, ja Unbewußten:
„Die Seele ist von einer Heimat weit, die ich doch nie
vorher gesehen habe!" Er steht Hinterm Gittertor eines
Parks — das ist ein wiederholt von Bodman gebrauchtes
Bild — und sieht draußen das Leben vorüberbranden.
Er atmet die Sehnsucht der Unvollkommenheit nach dem
Vollkommenen, die keine Wirklichkeit erfüllen kann: „Ich
steh entsetzt und faß es kaum: du meine vollste Wirklich-
keit bist wie das Bild von einem Traum aus fortgefloßner
Zeit." Er gibt seiner Verlassenheit das alte Gleichnis
von dem Weg des einsamen Wanderers:
Der Weg scheint nur ein kurzes Stück!
Wo kommt er her? Wo mündet er?
Aus einer Nacht wohl kommt er her
Und mündet dort in eine Nacht!
Allein: indes ich tastend schreite,
Schließt er sich wieder hinter mir
Und schimmert weiter in die Weite
Und lag im Dunkeln dort und hier.
Nun schreit ich weiter ohne Bangen,
Seitdem mein Blick kein Ende schaut.
Auf einmal ist er mir vertraut,
Als wäre ich ihn schon gegangen.
In diesen letzten Worten liegt doch nur ein Trost, der
den nicht tröstet, der ein Ziel sucht, und die kosmische
Allbruderschaft ist nur eine unsichere Geste, wenn er
sagt: „Ein Hauch vom Weltall weht mich an, in ihm wil
ich mir selbst gehören"; oder: „Ich fühle: meine Wurzeln
sind hierin Wiese und Feld, mein Wipfel aber weht im
Wind über die ganze Welt."
Es ist selbstverständlich, daß ein Mensch mit solcher
Einstellung, der niemals nur Zaungast des Lebens ist
und den Grund seines Ungenügens lediglich in sich selber
schleppt, seine ganze Problematik vor allem auch in dem
Verhältnis zum Weib zum Austrag bringen muß, wo die
Natur liebend zusammenstrebt und Individualitäten
 
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