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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 3
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Doderer, Otto: Emanuel von Bodman
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0128

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Emanuel von Bodman.

feindlich sich abstoßen. Cs ist ja kein ungewöhnlicher Fall,
daß hochgesteigerte Menschen, die eine durchdringende
Phantasie ausleben, der illusionslosen Realität gegen-
über ernüchtern; auch Goethe liebte aus der Ferne
heißer als im Beisammensein, aber bei Menschen vom
Schlage Bodmans kommt die ganze Gespaltenheit und
Unstete ihres Wesens hinzu, und er leidet offenbar
darunter mit ungewöhnlicher Wucht. Nicht nur in
seiner Lyrik fortgesetzt, anch in zwei von seinen vier
bisher bekannten Dramen steht diese dunkle Dämonie.
„Alle Frauen möcht ich haben wie den bunten Flor als
Kind." Aber ihm wird keine Wonne ganz zuteil. Im
süßesten Augenblick erfaßt ihn nur die Sehnsucht, „noch
glühender in Eins zu leben", und die Klarheit: „doch
Mann bleibt Mann, und Weib bleibt Weib". So treibt
ihn unstillbarer Durst von der einen zur anderen: er ist
der Küsse der einen satt und dürstet nach dem Mund
der anderen, am Mund der anderen aber treibt ihn neuer
Durst wieder zurück. In dem einen Weib küßt er alles,
was das Leben ihm „an Lust und Schmerz" gegeben,
im andern, was das Leben seinerSehnsucht nie gegeben
hat. Ihn verläßt dabei nicht das Wissen des Wissenden,
der nie bewußtseinslos wie der gewöhnliche Mensch aus
dem Vollen genießen kann: „Im Anfang ist viel Traum
in jeder Liebe." Er ist schuldlos schuldig, er zerreibt sich
zwischen den Sehnsüchten. Das am Eingang dieses
Aufsatzes zitierte Gedicht aus dem Band „Der Wanderer
und der Weg" endet in einer hoffnungslosen Frage, in
dem früheren Band „Neue Lieder" wartet der Dichter
noch auf den Menschen, dem er entgegenrauschen will:
„Sieh, der Brunnen hier ist dein!"
So wird sein Leben nur ein fortwährendes unheil-
volles Entsagen, und in einer zerknirschten Stunde ver-
gleicht er sich zynisch mit einem Silberschmied, dessen
Herz „abstarb in einer großen Not" und der sich ein
Silberherz hämmert, um sich, „wenn die andern ihre
Lust erneuen", an seinem Glanze zu erfreuen. Da klafft
bitter auf, wie weit der Individualismus einen Menschen
in die Enge treiben kann. Auch alles das, was etwa ein
sich geborgen fühlender Katholik auf die Heilslehre seiner
Kirche ablädt, muß einer, der keine Verantwortlichkeit
kennt außer der persönlichen, selber durchbeißen. Gott
spricht zu ihm aus seinem eigenen Innern: „Ich starb
im Himmel, um in dir zu leben. Laß dich von mir in
Lust und Schmerz durchbeben! Allein den Trost mußt
du dir selber geben." Seine Leitsätze --- vielleicht nur
Vorsätze? — heißen: „Tu gegen dich den andern nichts
zulieb, zuleid!" und: „Ich kenne keinen, den ich so achte,
daß ich mich neben ihm verachte." Von abhängigen Be-
ziehungen zu der Umwelt ist kaum einmal die Rede. Zwar
achtet er ohne Hochmut auch den Arbeitsmann, neben
dem er auf einer Bank sitzt „schweigsam wie zwei ferne
Freunde" in das „Meer von Blüten und den Rauch der
Stadt" blickend, er sieht die Not nicht ohne sozialen Sinn,
aber nur mit einer gewissen wohlwollenden Leutselig-
keit, er ist zu sehr Aristokrat, um sich mit den Leuten
gemein machen zu können, und doch ist die Scheu vor dem
Zusammenhalt mit der Gemeinschaft, freilich auch ein
Manko an innerem Halt, unter Umständen: an Sim-
plizität, die Hauptursache des hypochondrischen Subjek-
tivismus aller solcher geistiger Einzelwesen.

Der Stil Emanuel von Bodmans ist für ihn vielleicht
eher eine Frage des Taktes als des Temperaments. Sein
Stilist korrekt, er hat jene tadellose Korrektheit, die nicht
auffallen möchte. Bodman ist kein Eklektiker, er ist
wählerisch, doch vornehm ungeschäftig und spröde. Er
ist kein Blender; das Grelle, Schreiende, Kraftmeierische,
Gesuchte ist seinen Instinkten zuwider, er verschmäht
das Dekorative und verabschent zimperliche Subtilitäten.
Er wird niemals nur Routine, nie artistisch, sondern
gibt immer Angefülltes, körnigen Nährwert. Es ist
in dem Formalismus der Zeit fast merkwürdig zu sagen,
daß dieser hier kein Formalist ist, obwohl ihm das For-
male anscheinend nicht schwer fällt und „großgeäugte
Worte" ihm leicht zufließen. Das erklärt die Tatsache,
daß er für die an Sensation gewöhnten Leser schwer
eingängig ist, denn diese Tatsache findet ihre Erklärung
nicht darin, daß ihm der originelle Anstrich mangelt und
die genialische Kraft des wahrhaft Neuschöpferischen.
Das Neuschöpferische springt bei ihm nicht in die Augen,
aber er ist wesentlich, gesäftet und nie Pose. Er hat die
Courage oder die Naivität, mit harter Wahrhaftigkeit
sich frei zu machen vom Schwillst, die Sache freiweg beini
Namen zu nennen, und er wird selten trivial dabei. Auch
das Alltägliche hat Eigengewicht. Bodmans Gedichte
sind, genau genommen, nicht sinnlich flackernde Schöß-
linge, sie tragen die Merkmale seiner eingeborenen
Spröde, sie sind wohlgebildete, temperierte Gestaltun-
gen der Gedanklichkeit: Gleichnis gewordene Ideen.
2.
Er ist durchaus Lyriker, als Lyriker vorwiegend Be-
kenntnisdichter und, wenn man so sagen darf, Bild-
dichter: Dichter des Stimmungsbildes und des Sinn-
bildes. Die Musik fehlt ihm, genau wie sie Gottfried
Keller fehlte. Es fehlt ihm gewöhnlich das, was Vischer
unter dem Punktuellen, Storm unter dem Tirili, Heyse
unter den Naturlauten der Seele versteht, er findet sehr
selten das Lied, wenigstens das echte Lied, das sich
selber singt, obwohl einer seiner Lyrikbände das Wort
Lied im Titel führt. Seine Lyrik ist immer irgendwie
von der Reflexion angegraut, und der Schwerpunkt
seiner lyrischen Produktivität ist nicht in die Nuancie-
rung, in die Metapher, sondern in die Tropen verlegt,
es kommt ihm nicht auf das Könnerische, es kommt ihm
auf den Gehalt an. Mitunter verdichtet er nicht genügend
und sagt etwas nur, sagt es ohne Feinhörigkeiten und ohne
jene Schwingungen, die unübersetzbar sind, sagt es,
ohne die Melodie genügend aus dem Stoff herausgelockeit
zu haben, oder mitunter ist die Keimkraft dieser Stoffe
vielleicht doch zu schwach. Aber gewöhnlich ist dann
wenigstens eine Vorstellung oder ein einzelnes Wort
darin, in denen die Nötigung zu spüren ist, und selbst
wo Bodman reflektiert, ist er im Ausdruck konkret und
nicht nur begrifflich. Er bescheidet sich mit dem kleinen
Erlebnisnmkreis: Park mit Gittertor,^Bäume, Blumen,
Brunnen mit Gläsern, draußen Äcker, Straße, Wanderer,
Fluß, Wolken, Vögel und ferne die Stadt. Es ist nicht
sein kaleidoskopischer Erlebniskreis des atomisierten Poly-
kosmos. Aus diesen bescheidenen Bildern der Heimat
einer Seele wachsen die Gedichte, die er um die Gelegen-
heiten seines Lebens rankt, wenn er Gerichtstag hält
über sich.

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