^ans Franck.
Gleich mit einem seiner Erstlinge, dem Drama
„Herzog Heinrichs Heimkehr" (1911), schuf Hans
Franck sein bislang mächtigstes Werk. Da ist er der Erde
noch nahe, da ist er ganz in seinen Kreisen, da sitzt er fest
im Sattel. Da ist alles Griff, Haltung, Jucht, sittliche
Größe, künstlerische Gedrungenheit und motorische
Dynamik. Szene ist aufgestuft auf Szene in immer
höherer Steigerung, beherrscht nicht nur in der äußeren
Tektonik, sondern auch durch die inneren Gesetze der
Kausalität, auf die organischste Weise, ohne Handlungs-
leere Verlegenheiten, ohne Verschwommenes und Ge-
zwängtes angefüllt bis in die kleinsten Impulse, bis in
jedes Wort hinein, das knappster, kompaktester Ausdruck
ist. Immer straffer spannt sich der Bogen, bis die^Ent-
scheidung von der Sehne schnellt in diesem seelischen
Iweikampf zwischen Vater und Sohn, zwischen Wollen
und Wollen, zwischen dem grüblerischen Edelmut des
Pilger-Vaters und der Entschlossenheit des Sohnes,
Heinrichs dem Löwen. Die Forderung „Offne dein
Kind dir, Vater, daß du sterbend lebst" ist bis an den
äußersten Rand der Tragik geführt.
Während schon der Schmock sich blähend breit machte,
das Fragmentarische, die Impertinenz, die Sensation
auf den Märkten grellte und die moralische Anstalt zum
Hurenhaus versumpfte, während eine paradoxe Ver-
kehrung literarischer Scharlatane das heroische Drama
zum Kinostück dekadenter Empfindeleien machte, trat
der junge Hans Franck in die allgemeine^Stilverwirrung
der Jungen mit puritanischem Stilgefühl, eine sicher in
sich ruhende Kraft, gewappnet und geschient, und ge-
staltete wieder den höheren Menschen.
Nach dieser großen Kraftanstrengung kam Franck —
ein außerordentliches Talent, das weitere Dimensionen
suchte — in Gefahr, einseitig ins Geistige hinaus zu
wachsen. Vermessenheit, über die Natur hinaus zu gehen,
türmte sich mehr und mehr ins Gotische, aber das stoff-
liche Gerüst des Gedanklichen wurde immer schwanker,
die Idee immer lastender. Das Wichtigste aus der These
Hebbels bleibt unbeachtet: „Die Ideen sind im Drama
dasselbe, was der Kontrapunkt in der Musik, nichts
an sich, aber Grundbedingung für alles" — „nichts an
sich"! Die nächsten Dramen wurden Geisteswerke,
nicht reine Gestaltungen. Eine fast abstrakte Geistigkeit
ist darin, ohne Traum, ohne „Inbrunst zur ganzen Welt",
gewiß, große Leidenschaften, aber die lohende Glut
von Geist umzirkelt, in kühler Scheidung, in gespaltenem
Beieinander, nicht in getemperter Mischung. Die
Konturen werden weniger scharf, das dramatische Ge-
füge weniger robust. Geist ist die Natter, die den Dichter
in die Ferse sticht. Dichten ist viel mehr ein Abhorchen
der Lebensquellen als ein Aufbauen aus dem Gehirn
heraus, ein Jnsichhineinhorchen, nicht Kalkulieren, son-
dern Urgewalt des Empfindens. Hans Franck hat manch-
mal zu frühe abgelassen von dem ewigen Schöpferkampf
um die letzte Vollendung, „ich lasse dich nicht, du segnest
mich denn"; und allzu plan wird oft die dramatische
Welt, in der er die beiden kontradiktorischen Momente
seines Selbst, die idealistische und die realistische Welt-
auffassung, sich aneinander wetzen läßt.
Erst sechs Jahre nach dem Herzog Heinrich schrieb
Franck, durch Jahre der Krankheit und berufliche Fesse-
lung zum Brachliegen genötigt, sein zweites größeres
Drama, das Legendendrama „Godiva" (1917). Eine
Heilige ist darin mit einem sinnlich-kraftvollen Herren-
menschen verkopuliert; die Liebe beider, tief und lauter,
aber aus extremster Gegensätzlichkeit kommend, umfaßt
sie nicht, läßt sie nicht ineinander haken, kreist über sie
beide hinweg. In den fünf Akten vollzieht sich die
Reinigung der Leidenschaften, die Iueinanderkunft
durch Selbsterniedrigung. Schon auf der ersten Seite
wird der Charakter und der Konflikt mit einem raschen
Hieb herausgehauen. Nach dem herrlichen Einsatz
kommt freilich bald das Räsonnement, und der Ausgang
des Stückes flüchtet in die äußerliche Innerlichkeit legen-
därer Unbegrenztheit und Willkür. Vielleicht sind auch
die beiden entscheidenden Entschlüsse nicht klar genug
begründet, sie stehen zu unvermittelt da, um zu über-
zeugen, während doch in der Unduldsamkeit des Dramas
jedes Wort als Schräubchen oder Niete Notwendigkeit
ist, um die Brücke wölben zu helfen. Der eigentliche
dichterische Gehalt wird jedoch durch diese technischen
Leichtfertigkeiten nur von außen beeinträchtigt. Schon
die Keuschheit, mit der das Thema angefaßt wird, ist
Größe. Eine seelenläuternde Stimmung umfängt uns,
ein Mysterium.
Nicht Problem, nur elementarer Konflikt, ist die
Tragödie „Freie Knechte" (1918). Ein einfaches,
großes Motiv ist angeschlagen, aus dem Blut hervor-
gebrochen, und rollt ab in einem Werk aus einem Guß,
in leidenschaftlichen Aufschreien, Schaum vorm Munde,
Der erste der drei Akte schleppt ein wenig, bis gegen sein
Ende hin das grollende Verhängnis düster über den
Jenit gespannt ist. Die Auflehnung der Mutter gegen
den Krieg, des liebenden Individuums gegen die ver-
nichtende wahnhafte Idee. Ins Kolossale, ins Mythische
gesteigert. Tendenzlos in der zackigen Kontrapunktik
des Missverstehenden, Versöhnenden, in dem Wider-
spiel des Mannhaften gegen das Weibhafte, des Alten
gegen das Junge, des Herrischen gegen das Dienende,
des Harten gegen das Liebliche, des Hasses gegen die
Liebe.
Im Gegensatz zu dieser Tragödie, in der sich über
die Idee ein Urgefühl breitet, ist das jüngste Drama
Hans Francks, „Opfernacht" (1920 geschrieben), ganz
in der Idee stecken geblieben. Die dramatische Dialektik
ist darin, wie Hebbel formuliert, „nicht bloß in die
Charaktere, sondern unmittelbar in die Idee selbst
hineingelegt", aber ohne Fleisch geworden zu sein.
Das Stück ist erklügelt, es dehnt sich mit Ueberlegungen
und wird nur Sinnbild, nicht typisierter Lebensprozeß.
Auch die Rücksicht auf die Bühnenmöglichkeiten zwang
zu Kompromissen und Halbheiten. Die Opferung in
der „Opfernacht" ist wieder wie in „Godiva" Selbst-
erniedrigung um seelischer Reinigung willen, Weib-
werdung und Menschwerdung durch Opfer, durch Preis-
gabe der Eigenheiten, Reinglühung durch Enthüllung.
Eine kindliche indische Braut geht aus der Kindheit ins
Weibtum, ihr Weibtum entfaltet sich, in eine Nacht
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Gleich mit einem seiner Erstlinge, dem Drama
„Herzog Heinrichs Heimkehr" (1911), schuf Hans
Franck sein bislang mächtigstes Werk. Da ist er der Erde
noch nahe, da ist er ganz in seinen Kreisen, da sitzt er fest
im Sattel. Da ist alles Griff, Haltung, Jucht, sittliche
Größe, künstlerische Gedrungenheit und motorische
Dynamik. Szene ist aufgestuft auf Szene in immer
höherer Steigerung, beherrscht nicht nur in der äußeren
Tektonik, sondern auch durch die inneren Gesetze der
Kausalität, auf die organischste Weise, ohne Handlungs-
leere Verlegenheiten, ohne Verschwommenes und Ge-
zwängtes angefüllt bis in die kleinsten Impulse, bis in
jedes Wort hinein, das knappster, kompaktester Ausdruck
ist. Immer straffer spannt sich der Bogen, bis die^Ent-
scheidung von der Sehne schnellt in diesem seelischen
Iweikampf zwischen Vater und Sohn, zwischen Wollen
und Wollen, zwischen dem grüblerischen Edelmut des
Pilger-Vaters und der Entschlossenheit des Sohnes,
Heinrichs dem Löwen. Die Forderung „Offne dein
Kind dir, Vater, daß du sterbend lebst" ist bis an den
äußersten Rand der Tragik geführt.
Während schon der Schmock sich blähend breit machte,
das Fragmentarische, die Impertinenz, die Sensation
auf den Märkten grellte und die moralische Anstalt zum
Hurenhaus versumpfte, während eine paradoxe Ver-
kehrung literarischer Scharlatane das heroische Drama
zum Kinostück dekadenter Empfindeleien machte, trat
der junge Hans Franck in die allgemeine^Stilverwirrung
der Jungen mit puritanischem Stilgefühl, eine sicher in
sich ruhende Kraft, gewappnet und geschient, und ge-
staltete wieder den höheren Menschen.
Nach dieser großen Kraftanstrengung kam Franck —
ein außerordentliches Talent, das weitere Dimensionen
suchte — in Gefahr, einseitig ins Geistige hinaus zu
wachsen. Vermessenheit, über die Natur hinaus zu gehen,
türmte sich mehr und mehr ins Gotische, aber das stoff-
liche Gerüst des Gedanklichen wurde immer schwanker,
die Idee immer lastender. Das Wichtigste aus der These
Hebbels bleibt unbeachtet: „Die Ideen sind im Drama
dasselbe, was der Kontrapunkt in der Musik, nichts
an sich, aber Grundbedingung für alles" — „nichts an
sich"! Die nächsten Dramen wurden Geisteswerke,
nicht reine Gestaltungen. Eine fast abstrakte Geistigkeit
ist darin, ohne Traum, ohne „Inbrunst zur ganzen Welt",
gewiß, große Leidenschaften, aber die lohende Glut
von Geist umzirkelt, in kühler Scheidung, in gespaltenem
Beieinander, nicht in getemperter Mischung. Die
Konturen werden weniger scharf, das dramatische Ge-
füge weniger robust. Geist ist die Natter, die den Dichter
in die Ferse sticht. Dichten ist viel mehr ein Abhorchen
der Lebensquellen als ein Aufbauen aus dem Gehirn
heraus, ein Jnsichhineinhorchen, nicht Kalkulieren, son-
dern Urgewalt des Empfindens. Hans Franck hat manch-
mal zu frühe abgelassen von dem ewigen Schöpferkampf
um die letzte Vollendung, „ich lasse dich nicht, du segnest
mich denn"; und allzu plan wird oft die dramatische
Welt, in der er die beiden kontradiktorischen Momente
seines Selbst, die idealistische und die realistische Welt-
auffassung, sich aneinander wetzen läßt.
Erst sechs Jahre nach dem Herzog Heinrich schrieb
Franck, durch Jahre der Krankheit und berufliche Fesse-
lung zum Brachliegen genötigt, sein zweites größeres
Drama, das Legendendrama „Godiva" (1917). Eine
Heilige ist darin mit einem sinnlich-kraftvollen Herren-
menschen verkopuliert; die Liebe beider, tief und lauter,
aber aus extremster Gegensätzlichkeit kommend, umfaßt
sie nicht, läßt sie nicht ineinander haken, kreist über sie
beide hinweg. In den fünf Akten vollzieht sich die
Reinigung der Leidenschaften, die Iueinanderkunft
durch Selbsterniedrigung. Schon auf der ersten Seite
wird der Charakter und der Konflikt mit einem raschen
Hieb herausgehauen. Nach dem herrlichen Einsatz
kommt freilich bald das Räsonnement, und der Ausgang
des Stückes flüchtet in die äußerliche Innerlichkeit legen-
därer Unbegrenztheit und Willkür. Vielleicht sind auch
die beiden entscheidenden Entschlüsse nicht klar genug
begründet, sie stehen zu unvermittelt da, um zu über-
zeugen, während doch in der Unduldsamkeit des Dramas
jedes Wort als Schräubchen oder Niete Notwendigkeit
ist, um die Brücke wölben zu helfen. Der eigentliche
dichterische Gehalt wird jedoch durch diese technischen
Leichtfertigkeiten nur von außen beeinträchtigt. Schon
die Keuschheit, mit der das Thema angefaßt wird, ist
Größe. Eine seelenläuternde Stimmung umfängt uns,
ein Mysterium.
Nicht Problem, nur elementarer Konflikt, ist die
Tragödie „Freie Knechte" (1918). Ein einfaches,
großes Motiv ist angeschlagen, aus dem Blut hervor-
gebrochen, und rollt ab in einem Werk aus einem Guß,
in leidenschaftlichen Aufschreien, Schaum vorm Munde,
Der erste der drei Akte schleppt ein wenig, bis gegen sein
Ende hin das grollende Verhängnis düster über den
Jenit gespannt ist. Die Auflehnung der Mutter gegen
den Krieg, des liebenden Individuums gegen die ver-
nichtende wahnhafte Idee. Ins Kolossale, ins Mythische
gesteigert. Tendenzlos in der zackigen Kontrapunktik
des Missverstehenden, Versöhnenden, in dem Wider-
spiel des Mannhaften gegen das Weibhafte, des Alten
gegen das Junge, des Herrischen gegen das Dienende,
des Harten gegen das Liebliche, des Hasses gegen die
Liebe.
Im Gegensatz zu dieser Tragödie, in der sich über
die Idee ein Urgefühl breitet, ist das jüngste Drama
Hans Francks, „Opfernacht" (1920 geschrieben), ganz
in der Idee stecken geblieben. Die dramatische Dialektik
ist darin, wie Hebbel formuliert, „nicht bloß in die
Charaktere, sondern unmittelbar in die Idee selbst
hineingelegt", aber ohne Fleisch geworden zu sein.
Das Stück ist erklügelt, es dehnt sich mit Ueberlegungen
und wird nur Sinnbild, nicht typisierter Lebensprozeß.
Auch die Rücksicht auf die Bühnenmöglichkeiten zwang
zu Kompromissen und Halbheiten. Die Opferung in
der „Opfernacht" ist wieder wie in „Godiva" Selbst-
erniedrigung um seelischer Reinigung willen, Weib-
werdung und Menschwerdung durch Opfer, durch Preis-
gabe der Eigenheiten, Reinglühung durch Enthüllung.
Eine kindliche indische Braut geht aus der Kindheit ins
Weibtum, ihr Weibtum entfaltet sich, in eine Nacht
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