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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 2
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Hashagen, Justus: Rheinisches Geistesleben in ottonischer und salischer Zeit
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Röttger, Karl: Zum Drama und Theater der Gegenwart, [1]: der Weg zum religiösen Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0095

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Rheinisches Geistesleben in ottonischer und salischer Zeit.

selbständigen Leistungen in der rheinischen Geistes-
geschichte hervorgetreten.
Die Machtstellung der kirchlichen Kultur blieb im
Zeitalter der Salier am Rheine noch fast ganz frei von
jeder Erschütterung. Das rheinische Geistesleben ent-
faltet sich auch während dieser Periode, soweit man über-
haupt etwas davon erfährt, ganz im Schatten der Kirche.
Die Theologie spielt noch immer die beherrschende Rolle.
Man sieht es an der bedeutendsten Figur, dem Abte
Rupert von Deutz, der den letzten Salier noch um einige
Jahre überlebt hat. Er war ein gelehrter Theologe,
aber auch nicht ohne Interesse für die Naturkunde, wie
das Mittelalter sie verstand, darin schon ein bescheidener
Vorläufer Alberts des Großen. Von den damals in
Frankreich zuerst ausgebildeten neuen dialektischen Me-
thoden will er nichts wissen, obwohl ihm die Philosophie
nicht fremd bleibt. Im allgemeinen begnügt er sich in
seiner Bibelerklärung mit dem Weiterspinnen über-
lieferter Gedanken. Auch seine klassische Bildung geht
über das damals Übliche kaum hinaus. Er hätte den
Satan nicht aus dem Griechischen abgeleitet, wäre er
selbst dieser Sprache mächtig gewesen. Als bahnbrechend
kann man ihn deshalb nicht bezeichnen. Aber das Ver-
dienst seiner fruchtbaren und umsichtigen Schriftstellerei
liegt darin, daß sie dazu hilft, den Faden der Überliefe-
rung kommenden Geschlechtern zu selbständiger Weiter-
bildung zu übergeben.
So ist das rheinische Geistesleben, soweit es sich in
den Stürmen der Zeit überhaupt entfalten kann, noch
ganz von der kirchlichen Vergangenheit beherrscht, als
mit der staufischen Periode ein neues weltoffeneres und
weltfreudigeres Zeitalter heraufzieht. Die Zukunft des
rheinischen Geisteslebens war davon abhängig, daß neue
Keime in das alte Erdreich eingesenkt wurden. Die
Not der Zeit hatte, als die Staufer auf den Spuren
der Ottonen und der Karolinger ihre Herrschaft am
Rheine begründeten, all jene reichen Fähigkeiten, zu
deren Gebrauch der bildungsfähige, schönheitsbegeisterte
und geistig so regsame rheinische Stamm befähigt war,
noch nicht zur Entfaltung gebracht. Es war die Mission
der Hohenstaufen, auch am Rheine neues Leben aus den
Ruinen hervorzuzaubern. Justus Hashagen.
Aum Drama und Theater der
(O Gegenwart.
I. Der Weg zum religiösen Drama.
Die Griechen hatten ein religiöses Drama. Unsere
Gymnasien suchen es noch immer zu vermitteln. Wir
werden sehen, warum das Bemühen vergeblich ist.
Die Asiaten, von Indien bis China, haben ein Drama,
das im geistigen Gehalte religiös oder mindestens sittlich-
religiös zu nennen ist, zu dem wir Europäer aber nie
kommen können, da es als Kunstform zerfließend ist,
also in der künstlerischen Struktur nicht das ist, was wir
Europäer überhaupt „Drama" nennen. Also ist davon
hier nicht zu reden.
Die Gründe, warum das griechische Drama nicht
unser innerliches seelisches Eigentum zu werden vermag,
//

trotz jahrhundertelangem Humanismus und Griechen-
anbeterei, sind im wesentlichen zwei, oder drei: weil
eine uns fremde, völlig fremde Welt trotz jahrhunderte-
langen „Lehrens" nicht auf unser mehr nördliches,
dunkles, mystisches Wesen und Fühlen aufgepfropft
werden kann; dann weil, je mehr wir Christen
wurden, uns die eminent heidnischen Stofflichkeiten und
heidnischen Geistigkeiten der griechischen Dramen um
so mehr abfallen müssen (und wir werden immer mehr
Christen), und drittens, weil die meist von Philologen,
nicht von Dichtern gemachten Übersetzungen hindernd
zwilchen unserer Seele und dem Griechentum stehen.
(Wo ein wirklicher Dichter — d. h. Sprachkünstler —
wie Hölderlin, griechische Dramen übersetzte, kamen sie
uns schon näher. Völlig nahe kommen sie uns auch da
nicht... Doch darf nicht vergessen werden, anzumerken,
daß die Herren Philologen eiligst die Hölderlinsche Über-
tragung herunterrissen.)
Seine religiöse Geistigkeit braucht ein Volk durch-
aus nicht im Dramu zu leben und zu zeigen. Ja, man
kann auf den Gedanken kommen, daß gerade sehr
religiöse Völker und religiös hochstehende Völker sie
gerade nicht im Drama ausleben. Ein Beispiel sind
die Juden, die, trotz ihrer ägyptischen Zeit und Wüsten-
wanderung, sehr früh ein geistig und religiös hochstehendes
Volk waren — als solches herrlichste Epik, wundervollste
Lyrik hervorbrachten, aber nirgends ein Drama. Es
könnte scheinen, daß „Drama" und vor allem „Theater"
schon eine gewisse Verweltlichung der „Kultur" voraus-
setzen, um da zu sein — man denke an die Zeit um
Shakespeare, an die Zeit des klastischen französischen
Dramas, an die Zeit unserer Klassiker, vor allem Schillers.
Man denke auch an unsere Gegenwart, an diese infame,
niederträchtige Zeit, blöd und geistlos, schwatzhaft und
verlogen wie fast nie eine Zeit.
Doch dem sei nun wie ihm wolle — das Thema ist
angeschlagen, wir wollen sehen, ob es ein Klang werden
könne. Das kann es nur, wenn in Menschen von gestern,
heute und morgen eine Sehnsucht danach ist! Das ist
der Fall, ungesprochen und ausgesprochen.
Ich meine das nicht nur, weil es Oberammergau gab
und gibt (das ich nicht kenne), — weil es seit Jahr-
hunderten Passionsspiele und überhaupt religiöse Spiele
gab (welche Ausführende und Genießende immer vom
weltlichen „Theater" unterschieden haben wollten). Das
meine ich mehr noch deswegen, weil in der Linie dessen,
was wir die Entwicklung des dichterischen Dramas
nennen können, sich erst leise, heimlich, dann immer mehr
und immer deutlicher, das ankündigt, was ich nun in
meinem Sinn religiöses Drama nennen möchte. Seit
den letzten hundert Jahren ist es vielleicht am klarsten und
begreiflichsten an Kleist und Hebbel, und ich will darüber
ein paar Worte sagen: bei Kleist war immerhin schon
ein nationaler Glaube und ein nationales Leiden,
auch nationale Prophetie — das alles zusammengefaßt
und gestaltet von einem Dramatiker ersten Ranges
(was im einzelnen dazu, auch etwa kritisch, zu sagen
wäre, kommt für meine Betrachtung hier nicht in Frage).
Hebbel, weniger befreit in der sprachlichen Form, enger
in der Sprachform, geht mehr in das Einzelschichal
hinein, gewinnt aber da denkerisch und in der dich-

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