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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0198

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doch wieder flösse und daß zum wenigsten die Theologen daraus
schöpften. Ihnen freilich wird mit dieser nur wenig umfänglichen
Auswahl zu wenig gedient sein. So hängt die schöne Ausgabe tat-
sächlich in der Luft, wenn sich nicht einige hundert Gemüter in
Deutschland finden, denen all diesen Bedenken zum Trotz Jakob
Böhme dennoch ein Erlebnis sein kann. Für unser Volk, d. h.
für seinen Geisteszustand wäre es kein schlechtes Zeichen, wenn
diese Gemüter vorhanden wären. Der schöne Band kostet schließlich
in Halbleinen nur 60 Mark. B.
Gestirn des Paracelsus.
Im vierten Heft des vergangenen Jahrgangs hat Erwin
Ackerknecht einen Aufsatz über den deutschböhmischen Dichter
E. G. Kolbenheyer geschrieben, der seit dem Krieg in Tübingen
wohnt und damit gewiß kein Schwabe, aber immerhin ein rhein-
ländischer Landsmann geworden ist, dessen wir uns herzlich freuen.
Das letzte Werk seiner beträchtlichen Fracht war „Die Kindheit
des Paracelsus", welcher Band a<s erster einer Trilogie herauskam,
di« mit dem seltsamen Arzt aus dem Einsiedelland das Bild ringen-
den Menschentums geben will. Nun ist als erste Frucht der Nach-
kriegszeit im Schatten unserer Heimat der zweite Band als „Das
Gestirn des Paracelsus" erschienen und wir sehen die Hoffnung
Ackerknecbts erfüllt, daß sich Kolbenheyer damit als einen der
großen Meister des historischen Romans bestätigen würde.
Einen Roman aus jener Zeit der Weltwende, da Erasmus hin-
ging und Luther aufkam, ist nicht so leicht zu schreiben, wie sich das
all jene wagemutigen Dilettanten denken, die einen historischen
Mantel anziehen und damit durch die Welt fabulieren. Kolben-
heyer ist ein Dichter, und das besagt in diesem Fall, daß er um
eine Dichtung (d. h. Ballung) jener Zeit zu geben, sie erst ganz
in sich haben muß. Niemand, der dis 478 Seiten dieses zweiten
Bandes gelesen hat, wird daran zweifeln, daß Kolbenheyer ohne
weiteres in dieser Zeit — wenn eine Rücke.wachung kein zu kühner
Gedanke ist — aufwachsn und als ihr recht geborener Sohn in sie
hineinmarschieren könnte. Wie er alles und jedes, die großen und
kleinen Dinge der Zeit beherrscht, mehr noch, wie er von ihnen
erfüllt, ja wie er ihr Kind scheint: das ist trotz Faust und Tasso und
trotz Kshlhaas und den Zürcher Novellen des Meisters Gottfried
beis uellos. Ja, es will einem scheinen, als sei so restlos überhaupt
noch kein historischer Roman geschrieben worden. Am vollkommen-
sten zeigt sich diese Eintauchung in der Sprache; es stehen alte
Schweizerlieder in dem Buch, von denen ich nicht festst.'llen kann,
sind sie überliefert oder von Kolbenheyer, so gleicherweise gehören
sie in das Buch und in die Zeit.
Freilich, diese historische Eintauchung der Sprache macht das
Buch schwer und allen auf leichtes Lesen gerichteten Gemütern un-
genießbar. In seinem Spinozaroman blieb Kolbenheyer gewisser-
maßennoch in einer modernenSprachweise; hier wirft er —wie in
seine n,,Pausewang" —alle Rücksicht beiseite und geht in den alten
Sti 'feln. So sehr tut er dies, daß man ihn garnicht mehr altfränkisch
nennen kann; er ist wahrhaftig ein Kind jener Zeit geworden und
spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Da müssen wir denn bald
erkennen, es ist ein bessererSchnabel als der unsrige; er weiß anders
zu hacken, und wenn wir danach genötigt sind, wieder modernes
Deutsch zu reden, will es uns weich und lau und schwächlich scheinen
und unserer Junge nicht mehr behagen.
Immerhin, dies alles könnte nur ein artistisches Kunststück sein,
wie es Arno Holz seinerzeit in Gedichten vollführte, wenn in dem
Künstler Kolbenheyer nicht ein Dichter stäke, der dennoch aus einem
ganz andern als historischem Holz geschnitzt ist. Wenn man die herr-
liche Einleitung gelesen hat, die den Eingang des ersten Bandes
wiederholt und verstärkt, ist ein ewiger Ton erklungen; und mit
jeder Seite stärker wird das Gefühl für den Leser: letzten Grundes
schiert den Dichter weder der seltsame Arzt aus Einsiedelland noch
seine Zeit; er ist ein Mensch, der nichts als Menschenschicksal sucht
und dafür in der Vergangenheit eine andere Lebenslust fand.
Heute, da uns die gewaltige Faust selber am Kragen gefaßt hat,
wissen wir kaum noch, wie weich und lau und schwächlich unsere
Gegenwart war, und wie es einen Dichter brennen konnte, aus ihr
in stärkere Lüfte zu steigen. Nun aus dieser Sucht die beiden Bände
des großen Werkes übrigblieben, wollen wir getrost des dritten
harren. Helle Ohren mußten schon in diesem zweiten geklungen
haben, wie es gerade unsere Zeit ist, die solche Töne sucht und
findet. Und deutsche Herzen müssen fühlen, wie darin ein deutsches
Herz über alle Verzweiflung hinaus gläubig dem deutschen Gott
singt. Daß es viele Gläubige fände! W, Schäfer.

(Dantes Commedia deutsch.
Am 14. September d. I. waren fünfhundert Jahre ver-
flossen, daß Dante Alighieri im Alter von sechsundfünfzig Jahren
zu Ravenna starb. Die deutschen Zeitungen und Zeitschriften haben
das ihre getan, den Gedenktag zu feiern, und die Fenster unserer
Buchläden waren mit seinen Bildern und Ausgaben besetzt. Irgend-
wie sollte der Tag auch ein deutsches Jubiläum bedeuten, und
namentlich aus katholischen Kreisen war die ehrliche Absicht zu
spüren, mit und durch Dante etwas von dem aufleben zu lassen,
was unserer Zeit am sichtbarsten fehlt. Seitdem sind knappe zwei
Monate vergangen; die Zeitungen und Zeitschriften hatten schon
wieder Dostojewski zu feiern, und in den Buchläden fängt die
Weihnachtsliteratur an zu schwellen. Es ist selten ein Glück bei
solchen Jubiläen; sie sind Schützenfeste der Bildung, von denen
nicht einmal am Schützenkönig etwas hängen bleibt; denn auch der
muß seine goldene Amtskette andern Tages in den Schrank hängen.
Bei Dante liegen die täglichen Verhältnisse etwa so wie bei
der Klopstockschen Messiade, über die sich gescheite und kluge Dinge
sagen lassen, nur sie selber sagt uns nichts mehr. Dabei ist dieser
Messias deutsch geschrieben und zwar von einem Meister, der uns
rein sprachlich weiß Gott ein Zuchtmeister sein könnte, während
Dante für uns ein welscher Dichter ist und zwar einer, den schon
seine Zeitgenossen — denen doch all seine Anspielungen geläufig
waren —- nur mit Kommentaren zu verstehen vermochten. Diesen
Zeitgenossen war er sprachlich zugänglich wie Luther seiner Zeit;
wenn wir aber bedenken, wie unzugänglich uns Deutschen von
heute der unübsrsetzte Luther ist, so haben wir ein Bild, welcher
Äbgrnnd zwischen uns und Dante liegt. Immerhin aber ist er
— seltsamer- und verständlicherweise als eine Erbschaft der Roman-
tik — in der deutschen Bildung des neunzehnten Jahrhunderts ein
liebevoll gehütetes Gut geworden und manche seiner Terzinen
gehören zu den beliebten Zitaten. Will einer die ganze Dokalpracht
der italienischen Sprache zeigen, so greift er zu Dante.
So ist dieser Italiener, wir mögen es leugnen oder nicht,
letzten Endes doch nur ein Schmuckstück unserer Bildung, kein Be-
standteil unseres Lebens wie etwa Goethe, von dem wir alle etwas
in uns tragen, obschon wir uns dessen nicht bewußt sind. Ich, der
ich nichtJtalienisch lese, kann also von dem Schmuckstück keinenGe-
brauch machen; ich habe mir in jenen Septembertagen wieder ein-
mal meine Übersetzung von Philalethes herausgeholt, welcher
„Wahrheitsfreund" bekanntlich der König Johann von Sachsen
war. Das ist nun freilich ein säuerliches Vergnügen, sich durch
dessen Geklapper und Gelehrsamkeit durcbzufinden; und so kann
ich es verstehen, daß immer wieder Träger und Genießer der
Originalschmuckstücke sich an einer deutschen Fassung versuchen von
Kannegießer bis Stefan George, obwohl sie mir alle miteinander
einer falschen Anwendung der Bildung verdächtig sind. Denn
— um diese Ketzerei einmal auszusprechen — was bedeutet an
religiöser Kunstwirkung die einzige Matthäus-Passion des Johann
Sebastian Bach gegen die Commedia Dantes! Ist und muß sie
nicht in einer ganz andern Bedeutung für uns göttlich genannt
werden als das Weltanschauungsgedicht des Florentiners? Nur,
weil unser geistiges Leben ein ttnterhaltungsspiel der Bildung, ge-
worden ist, darum kann uns Dante so angepriesen werden. In
dieser meiner Meinung haben mich alle Dante-Preisungen von
Ziegler bis Hsfele nicht beirren können. In der Beschränkung zeigt
sich erst der Meister! hat uns ein Dichter gelehrt, der menschlich
und geistig über allen Dichtern der Welt steht und der zudem ein
Deutscher war: wenn wir als Volk unsere Bildung nicht so be-
greifen, werden wir die Bannerträger der Universalität bleiben,
um bei uns zu Hause armselig, taub und allzu genügsam zu sein.
Lange bevor das Dante-Jnbiläum aller Augen sichtbar am
deutschen Himmel aufstieg, hat ein kluger Mann namens Hans
Geisow die Einsicht gehabt daß die Terzinen Dantes im herkömm-
lichen Sinn garnicht übersehbar wären, daß alle Übersetzungen von
Philalethes bis George also nur einen Weg zum Original be-
deuteten, der schließlich doch nur für die Schmuckträger wertvoll
wäre. Da ihm aber Dantes Commedia einer von den ewigen
Schätzen der Menschheit schien, davon jeder seinen Anteil fordern
könne, gab er sich frischfröhlich daran, sie nicht zu übersehen, sondern
zu verdeutschen, d. h. ihm schien selbst eine Übersetzung wie die
von Stephan George,, nur eine marmorne Schöne ohne Fleisch und
Blut", und er wollte Fleisch und Blut geben, indem er die Terzinen
den Italienern ließ und mit der Sprache des „Faust" Dante zu Leibe
ging. So ist eine der originellsten Übertragungen aller Zeiten ent-

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