Der ewige Strom-
ist der Strom nur ein Sinnbild des menschlichen Lebens,
und die zopfige Poesie des Hölty und Claudius begnügt
sich mit dem Lobe des Weins. Zwar gab es damals zwei
berühmte literarische Wallfahrtsorte am Rhein, Pempel-
fort bei Düsseldorf, das Gut Fr. Heinr. Jacobi's, und
das Haus der Frau La Roche in Ehrenbreitstein, wo sich
alle, durch Talente hervorragende Persönlichkeiten von
nah und fern versammelten, aber auch dieser Kreis er-
lesener Geister, die es noch liebten, in Rokokoparks zu
promenieren, und eine von der Schere des Gärtners nicht
zugestutzte Natur roh und barbarisch fanden, hatte für die
Reize und Wunder der großen Stromlandschaft mit
ihren Fjord- und Seebildern, ihren Teufelsleitern, Insel-
wildnissen und Perlmutternebeln kein Organ.
„Da eröffnete sich mir der alte Rhein!" Aber nicht
Goethe hat das neue Landschaftsideal aufgeschlossen, das
sich in diesem Wort anzukünden scheint. Die blaue Blume
der Romantik war aufgeblüht: jene große geistige Er-
neuerung, die Wissenschaft, Religion und Kunst durch-
dringend, eine Universalpoesie des ganzen Lebens schaffen
wollte und, sich von der Diesseitigkeit des Klassizismus
und der Aufklärungszeit abwendend, die wahre Schön-
heit in dem magischen Ausgleich zwischen Menschheit
und Gottheit suchte. Es ist klar, daß eine Weltbetrach-
tung, die alles Irdische von höheren, über die gemeine
Wirklichkeit hinausdeutenden Kräften erfüllt und auch den
Menschen nur im Ur- und Allgefühl verhaftet sah, andere
Augen für die Landschaft mitbrachte, als die bisherige, an
den Grenzen der Erfahrung, Vernunft und Ethik stehen-
bleibende Lebensrichtung. So löste die romantische Be-
wegung nicht nur eine starke Belebung des Natursinns
aus, sondern führte die deutsche Dichtung auch wieder auf
den heimatlichen Boden zurück, entzündete das Studium
der deutschen Vergangenheit und wirkte sich schließlich
das Ideal der gotischen Gesamtgeistigkeit aufnehmend,
in der Idee des neuen Deutschen Reiches aus, als dessen
Sinnbild die Vollendung des Kölner Dombaues am Ende
ihres Weges steht.
„Nirgend werden die Erinnerungen an das, was die
Deutschen einst waren und was sie sein könnten, so wach
wie am Rhein" — schrieb Friedrich Schlegel 1806. Doch
wenn auch der patriotische Schmerz über den Verlust des
Stromes in den Tagen des Rheinlandes nicht dorthin
verwiesen hätte — hier war das Vaduz der romantischen
Träume. Denn hier, in dem Stromgebiet mit dem viel-
verästelten Netz seiner Nebenflüsse und Waldtäler, wo
sich die Elementarkräfte mit geheimnisvollen Runen in
den Felsengrund der Erde schreiben; hier, an der Geister-
heerstraße der Geschichte, wo das vergangene Leben alter
Städte und Burgen aus dem Jauberspiegel grüner Fluten
widerstrahlt; hier, in dem Reich der Sage, wo Klippen
in Stein verwandelte Jungfrauen und schäumende Wogen
die Reigen von Wassergeistern sind — hier schien alles
Außere tatsächlich ein in Geheimniszustand erhobenes
Inneres und alles Leben jener Märchenzustand zu sein,
den der romantische Sinn als das wahre Leben ansah.
So entdeckte Brentano die Rheinromantik mit der
ganzen Feerie ihrer Wogen-, Licht- und Waldstimmungen
und schrieb, mit der Gitarre im Arm wie ein Troubadour
die Ufer entlang ziehend, jene Dichtungen, in denen das
Chaos durch den regelmäßigen Flor der Ordnung schim-
mert, und machte den Strom zum Mittelpunkt einer
Wunderwelt von Rheinmärchen, die wie der Müller Rad-
lauf oder das Murmeltierchen alte Sagenzüge mit freier
Erfindung zu entzückenden Gebilden volksmäßiger Phan-
tasie verbinden.
Diese Bewegung, unterstützt von Bettina Brentano,
deren „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" zum Evan-
gelium schwärmerischen rheinischen Naturgefühls wurde,
und mächtig gefördert durch Arnim, Görres, die Brüder
Grimm, die Kunstsammlungen der Brüder Boisser^e in
Köln und die Wiederherstellung der Düsseldorfer Aka-
demie mit Cornelius an der Spitze befruchtete das Geistes-
leben Deutschlands so lange, bis die Führung aus den
Händen jener bedeutenden Erscheinungen auf schwächliche
Epigonen überging. Wie Brentanos Kraft selbst daran
vergeilte, daß er das Dasein zur Poesie gestalten wollte,
an die Stelle der sittlichen Idee tatenlose Überfruchtung
des Gemütslebens setzend, so lief sich die Rheinromantik
schließlich in Butzenscheibenlyrik, Rheinweinpoesie und
sentimentalen Dampferfahrten tot, bei denen der echo-
weckende Hornstoß eines am Fuße der Lorelei hausenden
Invaliden den Gipfel der Gefühle bildete. Aber bald
war nicht mehr die Lorelei mit dem Zauber ihres Ge-
sanges die gefährlichste Stelle am Rhein, sondern —das
Binger Loch, das die nautische Kunst des Schleppkapitäns
auf schwere Proben stellte.
Eisenbahnen durchrasten auf beiden Ufern das Idyll;
phantastische Eisengerüste der Industrie und moderne
Bauten schlugen Breschen in die Ruinenherrlichkeit; und
das neue Zeitalter stellte nicht mehr die Äolsharfe der
Gefühle auf, um jede Stimmung der Luft aus dem Un-
endlichen zu fangen. Kranen und Fördertürme, Werften
und Hüttenwerke, rußende Schloten und rauchende
Schutthalden widerlegten die pantheistische Vorstellung,
daß die Erscheinungswelt die Materialisation des Gött-
lichen sei. Die Erde war Menschenwerk geworden. Man
mußte sich daran gewöhnen, die Landschaft realistisch an-
zusehen. Film und drahtlose Telegraphie entlokalisierten
sie, und der expressionistische Betrachter, dem sie nur die
Verkörperlichung seines geistigen Jchs bedeutete, ent-
kleidete sie ihrer besonders gearteten Naturschönheit, da
er seine übersinnlichen Menschenkräfte unter jedem
Himmelsstrich in namenlosem Wald und Strom ver-
stofflicht fand.
Der Pendel der Kunst schlug nach der entgegen-
gesetzten Seite aus. Es gibt drei Werke der jüngsten
rheinischen Literatur, die in seltsamer Parallelität den
Eindruck erwecken, als seien sie von der Furcht vor der
Wiederkehr der Rheinromantik eingegeben: „Die unter-
brochene Rheinfahrt" von Wilhelm Schäfer, „Die erste
Rheinreise" von Josef Ponten und „Der Rheinländer"
von Karl Sternheim; eine Gattung von Novellen, die mit
dem Bildungsroman verwandt ist, wie ihn Goethes
„Wilhelm Meister", Jean Pauls „Hesperus", Tiecks
„Sternbald" oder Novalis' „Ofterdingen" vertreten. Aber
während Novalis eine Apotheose der Poesie beabsichtigt
und seinen Minnesänger auf der Fahrt nach der blauen
Blume zum Dichter und siderischen Menschen werden
läßt, gehen die Helden der modernen Erzähler den ent-
gegengesetzten Weg. Die Rheinfahrt, in den Bieder-
meicrreisen Weitzels und Brauns noch ein Schaukeln
ist der Strom nur ein Sinnbild des menschlichen Lebens,
und die zopfige Poesie des Hölty und Claudius begnügt
sich mit dem Lobe des Weins. Zwar gab es damals zwei
berühmte literarische Wallfahrtsorte am Rhein, Pempel-
fort bei Düsseldorf, das Gut Fr. Heinr. Jacobi's, und
das Haus der Frau La Roche in Ehrenbreitstein, wo sich
alle, durch Talente hervorragende Persönlichkeiten von
nah und fern versammelten, aber auch dieser Kreis er-
lesener Geister, die es noch liebten, in Rokokoparks zu
promenieren, und eine von der Schere des Gärtners nicht
zugestutzte Natur roh und barbarisch fanden, hatte für die
Reize und Wunder der großen Stromlandschaft mit
ihren Fjord- und Seebildern, ihren Teufelsleitern, Insel-
wildnissen und Perlmutternebeln kein Organ.
„Da eröffnete sich mir der alte Rhein!" Aber nicht
Goethe hat das neue Landschaftsideal aufgeschlossen, das
sich in diesem Wort anzukünden scheint. Die blaue Blume
der Romantik war aufgeblüht: jene große geistige Er-
neuerung, die Wissenschaft, Religion und Kunst durch-
dringend, eine Universalpoesie des ganzen Lebens schaffen
wollte und, sich von der Diesseitigkeit des Klassizismus
und der Aufklärungszeit abwendend, die wahre Schön-
heit in dem magischen Ausgleich zwischen Menschheit
und Gottheit suchte. Es ist klar, daß eine Weltbetrach-
tung, die alles Irdische von höheren, über die gemeine
Wirklichkeit hinausdeutenden Kräften erfüllt und auch den
Menschen nur im Ur- und Allgefühl verhaftet sah, andere
Augen für die Landschaft mitbrachte, als die bisherige, an
den Grenzen der Erfahrung, Vernunft und Ethik stehen-
bleibende Lebensrichtung. So löste die romantische Be-
wegung nicht nur eine starke Belebung des Natursinns
aus, sondern führte die deutsche Dichtung auch wieder auf
den heimatlichen Boden zurück, entzündete das Studium
der deutschen Vergangenheit und wirkte sich schließlich
das Ideal der gotischen Gesamtgeistigkeit aufnehmend,
in der Idee des neuen Deutschen Reiches aus, als dessen
Sinnbild die Vollendung des Kölner Dombaues am Ende
ihres Weges steht.
„Nirgend werden die Erinnerungen an das, was die
Deutschen einst waren und was sie sein könnten, so wach
wie am Rhein" — schrieb Friedrich Schlegel 1806. Doch
wenn auch der patriotische Schmerz über den Verlust des
Stromes in den Tagen des Rheinlandes nicht dorthin
verwiesen hätte — hier war das Vaduz der romantischen
Träume. Denn hier, in dem Stromgebiet mit dem viel-
verästelten Netz seiner Nebenflüsse und Waldtäler, wo
sich die Elementarkräfte mit geheimnisvollen Runen in
den Felsengrund der Erde schreiben; hier, an der Geister-
heerstraße der Geschichte, wo das vergangene Leben alter
Städte und Burgen aus dem Jauberspiegel grüner Fluten
widerstrahlt; hier, in dem Reich der Sage, wo Klippen
in Stein verwandelte Jungfrauen und schäumende Wogen
die Reigen von Wassergeistern sind — hier schien alles
Außere tatsächlich ein in Geheimniszustand erhobenes
Inneres und alles Leben jener Märchenzustand zu sein,
den der romantische Sinn als das wahre Leben ansah.
So entdeckte Brentano die Rheinromantik mit der
ganzen Feerie ihrer Wogen-, Licht- und Waldstimmungen
und schrieb, mit der Gitarre im Arm wie ein Troubadour
die Ufer entlang ziehend, jene Dichtungen, in denen das
Chaos durch den regelmäßigen Flor der Ordnung schim-
mert, und machte den Strom zum Mittelpunkt einer
Wunderwelt von Rheinmärchen, die wie der Müller Rad-
lauf oder das Murmeltierchen alte Sagenzüge mit freier
Erfindung zu entzückenden Gebilden volksmäßiger Phan-
tasie verbinden.
Diese Bewegung, unterstützt von Bettina Brentano,
deren „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" zum Evan-
gelium schwärmerischen rheinischen Naturgefühls wurde,
und mächtig gefördert durch Arnim, Görres, die Brüder
Grimm, die Kunstsammlungen der Brüder Boisser^e in
Köln und die Wiederherstellung der Düsseldorfer Aka-
demie mit Cornelius an der Spitze befruchtete das Geistes-
leben Deutschlands so lange, bis die Führung aus den
Händen jener bedeutenden Erscheinungen auf schwächliche
Epigonen überging. Wie Brentanos Kraft selbst daran
vergeilte, daß er das Dasein zur Poesie gestalten wollte,
an die Stelle der sittlichen Idee tatenlose Überfruchtung
des Gemütslebens setzend, so lief sich die Rheinromantik
schließlich in Butzenscheibenlyrik, Rheinweinpoesie und
sentimentalen Dampferfahrten tot, bei denen der echo-
weckende Hornstoß eines am Fuße der Lorelei hausenden
Invaliden den Gipfel der Gefühle bildete. Aber bald
war nicht mehr die Lorelei mit dem Zauber ihres Ge-
sanges die gefährlichste Stelle am Rhein, sondern —das
Binger Loch, das die nautische Kunst des Schleppkapitäns
auf schwere Proben stellte.
Eisenbahnen durchrasten auf beiden Ufern das Idyll;
phantastische Eisengerüste der Industrie und moderne
Bauten schlugen Breschen in die Ruinenherrlichkeit; und
das neue Zeitalter stellte nicht mehr die Äolsharfe der
Gefühle auf, um jede Stimmung der Luft aus dem Un-
endlichen zu fangen. Kranen und Fördertürme, Werften
und Hüttenwerke, rußende Schloten und rauchende
Schutthalden widerlegten die pantheistische Vorstellung,
daß die Erscheinungswelt die Materialisation des Gött-
lichen sei. Die Erde war Menschenwerk geworden. Man
mußte sich daran gewöhnen, die Landschaft realistisch an-
zusehen. Film und drahtlose Telegraphie entlokalisierten
sie, und der expressionistische Betrachter, dem sie nur die
Verkörperlichung seines geistigen Jchs bedeutete, ent-
kleidete sie ihrer besonders gearteten Naturschönheit, da
er seine übersinnlichen Menschenkräfte unter jedem
Himmelsstrich in namenlosem Wald und Strom ver-
stofflicht fand.
Der Pendel der Kunst schlug nach der entgegen-
gesetzten Seite aus. Es gibt drei Werke der jüngsten
rheinischen Literatur, die in seltsamer Parallelität den
Eindruck erwecken, als seien sie von der Furcht vor der
Wiederkehr der Rheinromantik eingegeben: „Die unter-
brochene Rheinfahrt" von Wilhelm Schäfer, „Die erste
Rheinreise" von Josef Ponten und „Der Rheinländer"
von Karl Sternheim; eine Gattung von Novellen, die mit
dem Bildungsroman verwandt ist, wie ihn Goethes
„Wilhelm Meister", Jean Pauls „Hesperus", Tiecks
„Sternbald" oder Novalis' „Ofterdingen" vertreten. Aber
während Novalis eine Apotheose der Poesie beabsichtigt
und seinen Minnesänger auf der Fahrt nach der blauen
Blume zum Dichter und siderischen Menschen werden
läßt, gehen die Helden der modernen Erzähler den ent-
gegengesetzten Weg. Die Rheinfahrt, in den Bieder-
meicrreisen Weitzels und Brauns noch ein Schaukeln