Die Begründung der romantischen Allegorie durch Friedrich Schlegel.
sind durchweg allegorisch und werden so charakterisiert.
Ihre realistische Rundung ist eine liebenswürdige, im
übrigen aber belanglose Zutat Goethes, gefährlich sogar
dadurch, daß Goethe manchmal der interessanten Indi-
vidualität unterlegen und geistig nebensächliche Persön-
lichkeiten, unbedeutende Allegorien, wie Marianne,
Philine, Jarno, zu breit sich hat auswachsen lassen,
so daß sie die wahrhaft wesentlichen, den Oheim, den
Abbö Lothario zu sehr in den Hintergrund drängen.
Alles in allem aber stellt der von Schlegel gründlich
verzeichnete Goethesche Roman, so wie ihn Schlegel
sieht, das Kunstwerk dar, wie es seiner jetzigen Stufe
entspricht. Wilhelm Meister ist das vollendete alle-
gorische Lehrgedicht.
IV.
Der ideale Lebenstypus, für den Fr. Schlegel das
Schlagwort vom höheren Zynismus geprägt hatte,
erfährt um das Jahr 1799 eine bedeutsame Umbildung
durch das Erlebnis der Liebe Dorotheas. In ihrem
Umgang verschmilzt ihm zum ersten Male das Leben
als Genuß, Geselligkeit, Leid und Freude mit dem Zu-
stand höchster geistiger Angeregtheit und Entfaltung.
Sinnlichkeit und Geist, bis dahin auseinanderklaffend,
fließen zusammen. Hier war ein Glück, das die Ge-
samtheit seines Daseins umfaßte. Andere Momente
treten hinzu: die Bekanntschaft Schleiermachers und
ein vertieftes Eindringen in Spinoza. Die neugefundene
Einheit von Geist und Sinn fand Schlegel in Schleier-
machers Religionsbegriff wieder. Zwar beschränkt
Schleiermacher die symbolhafte Kraft nur auf solche
Dinge, in denen sich Gesetzmäßigkeit und sittliche Größe
ausspricht. Schönheit rede diese Sprache nicht. Für
Schlegel aber, der von erotischem Erlebnis herkommt,
wird gerade das den Sinnen Schmeichelnde, dem
Urerlebnis verwandt, symbolisch werden. In der Tat
lernt Schlegel, wie er in der Lucinde gesteht, jetzt erst die
Welt sehen, weil ihre Schönheit und ihr Schicksal jetzt für
ihn tiefe Bedeutung erhalten. Jetzt erst versteht er, die
Welt zu lieben — denn seine Liebe ist immer geistiger
Natur.
Erweitert Schlegel so quantitativ das Weltbild
Schleiermachers, so verengt er es qualitativ. Die restlose
Hingabe an Dinge bleibt der egozentrischen Natur
Schlegels versagt. Die geistige Distanz von der Ding-
welt ist die Grundstruktur von Schlegels Wesen. Wenn
auch die Erscheinungen jetzt unmittelbar den Geist be-
rühren, so setzt das Bewußtwerden dieses geistigen Ge-
haltes einen gewissen Abstand voraus. Julius genießt
den Genuß, liebt seine Schmerzen (in der Lucinde).
Zwar drücken die Dinge jetzt in sich ein Höchstes aus, das
vom Geiste nicht in sie hineingelegt ist, sondern nur ent-
gegengenommen werden kann. Aber gerade darum
darf unser Gefühl nicht ganz von dem Dinge als Teil
des Lebens absorbiert werden. Uber der menschlichen
Schicht in uns liegt die geistige, über der fühlenden die
metaphysisch-schauende. Den Typ, in dem sich der-
gestalt Weltfreudigkeit und Weltform mischt, nennt
Schlegel einen „Geistlichen". Er ist ein Geistlicher, wie
auch Dorothea, Hardenberg. „Ein Geistlicher ist, für den
alles Wirkliche nur die Wahrheit einer Allegorie besitzt."
Der Geistliche ist nun Künstler, der sein Erlebnis
zu künden weiß. Er ist ein Sprecher der Sprache der
Dinge, die das Ohr der Menge nicht vernimmt. Daher
ist sein tiefster Sinn, „Mittler" zu sein zwischen dem
Göttlichen und denen, die ihm noch fern sind. Vor dem
Göttlichen aber schweigt das Menschliche. Das bedeutet
der „Schein der Selbstvernichtung", der im vollendeten
Jroniebegriff liegt, daß die eigene Persönlichkeit sich
hin opfert dem Höheren. Ebenso sprengt er die Zusammen-
hänge der Welt, nicht weil die Gegebenheiten, wie aus
der vorhergehenden Stufe, nur belangloses Material
sind, sondern weil die durchgängige Verkettung nach
Ursache und Wirkung, Zweck und Mittel den Blick auf
das Symbolhafte der Erscheinungen verbaut.
Die resultierende künstlerische Form ist die Arabeske.
Schon „Wilhelm Meister" wurde für Schlegel eine solche,
jetzt gibt er selbst das Muster in seiner „Lucinde".
Wir sind in der Epoche der Vollendung. Die neu
gewonnenen Einsichten, vordem noch vorsichtig in Form
kritischer Urteile gegeben, erscheinen nun als sieges-
sichere Formulierungen. Mit einer leidenschaftlichen
Absage an alle bisherige Ästhetik wird der Weg für das
Neue freigemacht. Schroff steht die alte artistische Kunst
der neuen allegorischen gegenüber. In der neuen Be-
leuchtung des Verhältnisses von Philosophie und Poesie
vollendet sich der romantische Allegoriebegriff.
Das romantische Erlebnis ist Offenbarung, die so
reich, zart und tiek ist, daß die Philosophie und ihre
Begriffe sie niemals fassen. Der abstrakte Gedanke
scheitert am höchsten Ziel. Und das ist nun der tiefste
Sinn der Kunst, daß sie alle Schranken durchbricht und
in eigner, unerbörter Sprache das sonst Unfaßbare aus-
spricht. „Das Höchste kann man, eben weil es unaus-
sprechlich ist, nur allegorisch sagen." Hier wird die Kunst
nun, auch theoretisch, zum erstenmal als die höchste und
erhabenste Leistung des Menschengeistes anerkannt.
Der Dualismus der vorhergehenden Stufe hatte
bewußte Absichtlichkeit im Schaffen des Künstlers
fordern müssen. Die Immanenz des Allegorischen auf
dieser Stufe erwächst einem kontemplativen Verhalten.
Nur im Geiste klingen die Dinge zueinander als alle-
gorische Sinnträger. Die Fähigkeit, den Blick loszulösen
von den gegebenen Zusammenhängen, die Kraft. Bild
um Bild zu einem Unendlichen zu erzeugen und ihre
Beziehungen in der symbolischen Sphäre zur lebendigen
Anschauung zu bringen, ist die Phantasie. Sie folgt
aus dem Verstehen des metaphysischen Wesens der Dinge.
Sie ist, trotz des widersprechenden Scheines, subjektiv
wenigstens, kein willkürliches Umwirbeln der Tatsächlich-
keiten, sondern ein passiv-aufnehmendes Verhalten.
In der „Abendröte" macht Schlegel den Versuch, Bilder
ohne jede Verbindung nebeneinander zu stellen, Bilder,
die nicht wirken und werden, sondern nur bedeuten.
Die Form der „Abendröte" ist gleichsam das Schema
romantischer Phantasie. Der Begriff des Poetischen
löst sich von der geformten Dichtung. Diese kann nur hin-
stellen, was an Poesie in den Dingen selbst liegt. Nur
durch die Poesie der Dinge wird die Poesie der Worte. —
Das höchste Erleben ist zugleich höchster Wert. Das
ist ja der Sinn der Kunst, daß sie das Unendliche der
Flüchtigkeit der Stunde und der Beschränkung auf das
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sind durchweg allegorisch und werden so charakterisiert.
Ihre realistische Rundung ist eine liebenswürdige, im
übrigen aber belanglose Zutat Goethes, gefährlich sogar
dadurch, daß Goethe manchmal der interessanten Indi-
vidualität unterlegen und geistig nebensächliche Persön-
lichkeiten, unbedeutende Allegorien, wie Marianne,
Philine, Jarno, zu breit sich hat auswachsen lassen,
so daß sie die wahrhaft wesentlichen, den Oheim, den
Abbö Lothario zu sehr in den Hintergrund drängen.
Alles in allem aber stellt der von Schlegel gründlich
verzeichnete Goethesche Roman, so wie ihn Schlegel
sieht, das Kunstwerk dar, wie es seiner jetzigen Stufe
entspricht. Wilhelm Meister ist das vollendete alle-
gorische Lehrgedicht.
IV.
Der ideale Lebenstypus, für den Fr. Schlegel das
Schlagwort vom höheren Zynismus geprägt hatte,
erfährt um das Jahr 1799 eine bedeutsame Umbildung
durch das Erlebnis der Liebe Dorotheas. In ihrem
Umgang verschmilzt ihm zum ersten Male das Leben
als Genuß, Geselligkeit, Leid und Freude mit dem Zu-
stand höchster geistiger Angeregtheit und Entfaltung.
Sinnlichkeit und Geist, bis dahin auseinanderklaffend,
fließen zusammen. Hier war ein Glück, das die Ge-
samtheit seines Daseins umfaßte. Andere Momente
treten hinzu: die Bekanntschaft Schleiermachers und
ein vertieftes Eindringen in Spinoza. Die neugefundene
Einheit von Geist und Sinn fand Schlegel in Schleier-
machers Religionsbegriff wieder. Zwar beschränkt
Schleiermacher die symbolhafte Kraft nur auf solche
Dinge, in denen sich Gesetzmäßigkeit und sittliche Größe
ausspricht. Schönheit rede diese Sprache nicht. Für
Schlegel aber, der von erotischem Erlebnis herkommt,
wird gerade das den Sinnen Schmeichelnde, dem
Urerlebnis verwandt, symbolisch werden. In der Tat
lernt Schlegel, wie er in der Lucinde gesteht, jetzt erst die
Welt sehen, weil ihre Schönheit und ihr Schicksal jetzt für
ihn tiefe Bedeutung erhalten. Jetzt erst versteht er, die
Welt zu lieben — denn seine Liebe ist immer geistiger
Natur.
Erweitert Schlegel so quantitativ das Weltbild
Schleiermachers, so verengt er es qualitativ. Die restlose
Hingabe an Dinge bleibt der egozentrischen Natur
Schlegels versagt. Die geistige Distanz von der Ding-
welt ist die Grundstruktur von Schlegels Wesen. Wenn
auch die Erscheinungen jetzt unmittelbar den Geist be-
rühren, so setzt das Bewußtwerden dieses geistigen Ge-
haltes einen gewissen Abstand voraus. Julius genießt
den Genuß, liebt seine Schmerzen (in der Lucinde).
Zwar drücken die Dinge jetzt in sich ein Höchstes aus, das
vom Geiste nicht in sie hineingelegt ist, sondern nur ent-
gegengenommen werden kann. Aber gerade darum
darf unser Gefühl nicht ganz von dem Dinge als Teil
des Lebens absorbiert werden. Uber der menschlichen
Schicht in uns liegt die geistige, über der fühlenden die
metaphysisch-schauende. Den Typ, in dem sich der-
gestalt Weltfreudigkeit und Weltform mischt, nennt
Schlegel einen „Geistlichen". Er ist ein Geistlicher, wie
auch Dorothea, Hardenberg. „Ein Geistlicher ist, für den
alles Wirkliche nur die Wahrheit einer Allegorie besitzt."
Der Geistliche ist nun Künstler, der sein Erlebnis
zu künden weiß. Er ist ein Sprecher der Sprache der
Dinge, die das Ohr der Menge nicht vernimmt. Daher
ist sein tiefster Sinn, „Mittler" zu sein zwischen dem
Göttlichen und denen, die ihm noch fern sind. Vor dem
Göttlichen aber schweigt das Menschliche. Das bedeutet
der „Schein der Selbstvernichtung", der im vollendeten
Jroniebegriff liegt, daß die eigene Persönlichkeit sich
hin opfert dem Höheren. Ebenso sprengt er die Zusammen-
hänge der Welt, nicht weil die Gegebenheiten, wie aus
der vorhergehenden Stufe, nur belangloses Material
sind, sondern weil die durchgängige Verkettung nach
Ursache und Wirkung, Zweck und Mittel den Blick auf
das Symbolhafte der Erscheinungen verbaut.
Die resultierende künstlerische Form ist die Arabeske.
Schon „Wilhelm Meister" wurde für Schlegel eine solche,
jetzt gibt er selbst das Muster in seiner „Lucinde".
Wir sind in der Epoche der Vollendung. Die neu
gewonnenen Einsichten, vordem noch vorsichtig in Form
kritischer Urteile gegeben, erscheinen nun als sieges-
sichere Formulierungen. Mit einer leidenschaftlichen
Absage an alle bisherige Ästhetik wird der Weg für das
Neue freigemacht. Schroff steht die alte artistische Kunst
der neuen allegorischen gegenüber. In der neuen Be-
leuchtung des Verhältnisses von Philosophie und Poesie
vollendet sich der romantische Allegoriebegriff.
Das romantische Erlebnis ist Offenbarung, die so
reich, zart und tiek ist, daß die Philosophie und ihre
Begriffe sie niemals fassen. Der abstrakte Gedanke
scheitert am höchsten Ziel. Und das ist nun der tiefste
Sinn der Kunst, daß sie alle Schranken durchbricht und
in eigner, unerbörter Sprache das sonst Unfaßbare aus-
spricht. „Das Höchste kann man, eben weil es unaus-
sprechlich ist, nur allegorisch sagen." Hier wird die Kunst
nun, auch theoretisch, zum erstenmal als die höchste und
erhabenste Leistung des Menschengeistes anerkannt.
Der Dualismus der vorhergehenden Stufe hatte
bewußte Absichtlichkeit im Schaffen des Künstlers
fordern müssen. Die Immanenz des Allegorischen auf
dieser Stufe erwächst einem kontemplativen Verhalten.
Nur im Geiste klingen die Dinge zueinander als alle-
gorische Sinnträger. Die Fähigkeit, den Blick loszulösen
von den gegebenen Zusammenhängen, die Kraft. Bild
um Bild zu einem Unendlichen zu erzeugen und ihre
Beziehungen in der symbolischen Sphäre zur lebendigen
Anschauung zu bringen, ist die Phantasie. Sie folgt
aus dem Verstehen des metaphysischen Wesens der Dinge.
Sie ist, trotz des widersprechenden Scheines, subjektiv
wenigstens, kein willkürliches Umwirbeln der Tatsächlich-
keiten, sondern ein passiv-aufnehmendes Verhalten.
In der „Abendröte" macht Schlegel den Versuch, Bilder
ohne jede Verbindung nebeneinander zu stellen, Bilder,
die nicht wirken und werden, sondern nur bedeuten.
Die Form der „Abendröte" ist gleichsam das Schema
romantischer Phantasie. Der Begriff des Poetischen
löst sich von der geformten Dichtung. Diese kann nur hin-
stellen, was an Poesie in den Dingen selbst liegt. Nur
durch die Poesie der Dinge wird die Poesie der Worte. —
Das höchste Erleben ist zugleich höchster Wert. Das
ist ja der Sinn der Kunst, daß sie das Unendliche der
Flüchtigkeit der Stunde und der Beschränkung auf das
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