Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Gischler, W.: Hubert Netzer
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0116

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Abb. 2.

Urd. Abb. Z. Verdhandi. Abb. 4.
Figuren am Nornenbrunnen von Hubert Netzer in München.

Schuld.

wobei dann zwar keine Riesentöchter, aber drei Frauen-
gestalten von unnahbarer Höhe herausgekommen sind.
Die in Verhangenheit seiende Urd, die frei und straff
werdendeVerdhandi, die in Gebundenheitzurücksinkende
Schuld sind sinnbildlich, nicht nur allegorisch gefaßt und
jede trägt zum wenigsten den menschlich faßbaren
Charakter ihrer Existenz. Um auf ein Detail der Ver-
sinnbildlichung zu deuten: niemals würde es sich mit der
übergöttlichen Sendung einer Norne vertragen, so mit
übergeschlagenen Beinen dazustehen, wie es die Schuld
bei Netzer tut. Da sie aber nicht als Schuld sondern als
ihr vermenschlichtes Sinnbild dasteht, wirkt gerade diese
Haltungslosigkeit gegen die Starrheit und Straffheit der
Schwestern besonders augenfällig; freilich auch einen
Sinn unterlegend, der bei den Nornen nicht vorhanden
sein konnte.
Die Art der plastischen Gestaltung ist wie alles, was
in München seit Hildebrandt entstand, von den Strahlen
dieser überaus segensreichen Sonne getroffen. Man mag
diese Hildebrandtsche Kunst betrachten wie man will,
als eine Wiedergeburt der Renaissance, also als Kunst
dritter Generation: daß sie eine wirkliche Wiedergeburt
war, bleibt bestehen. Man braucht nur von diesen Figuren
Netzers an die kahlen rind dürftigen Erfolge der ersten

Winckelmannzeit zu denken, um zu erkennen, wieviel
plastisches Kunstvermögen mit Hildebrandt zurückerobert
war, und zwar eigentlich dadurch, daß er nicht direkt
in die Lebensgefährlichkeit der griechischen Plastik ging,
sondern sich aus der Renaissance Lebenswärme holte,
sie zu ertragen. Der ganzen modernen Bildhauerkunst
in München, und nicht nur da, hat er durch sein selbst-
sicheres Vorbild Charakter gegeben. Schon daß durch ihn
der Muschelkalk mit seiner milden Leuchtkraft und der
wahrhaft plastischen Lebendigkeit in Mode kam, war ein
Lebenszeichen der Wärme, die er mitbrachte. Auch
dieser Nornenbrunnen profitiert davon, wie er sonst dieser
Wiedergeburt der Bildhauerkunst in München ein Lebens-
zeichen und zwar weitaus eins der schönsten ist. Schon,
daß man nicht mehr Bildnerkunst sondern ausgesprochen
Bildhauerkunst sagen muß, sagt deutlich, daß die Ent-
wicklung aus der akademischen Tonkneterei in die freie
Handwerksmäßigkeit des Meißels gegangen war. Sie
hatte in jeder Weise eine Lebensnähe und -warme ge-
wonnen, die wir Heutigen im Wirrsal unserer Pro-
blematik kaum noch nachfühlen können.
^Es wäre unrecht, an dem Nornenbrunnen von Hubert
Netzer allein die Sonne Hildebrandts zu sehen; er war
von ihr beleuchtet, aber er stand doch in der Münchener

ioc>
 
Annotationen