Bildnerkunst den besonderen
Charakter des Blutes zu er¬
kennen, nicht aussichtslos
sein. Diesen Versuch hat nun
zwar Baum nicht unternom¬
men, vielmehr an der Hand
des schwäbischen Materials
eine Darstellung der Epoche
gegeben; aber das Gegenteil
hat ihn offenbar gereizt; und
so schließt er seine Darstellung
mit einem Kapitel über die
schwäbische Eigenart.
Dieses Kapitel ist etwas
mager ausgefallen; Geschlos¬
senheit und Einfachheit der
Form, Ruhe, Zurückhaltung
im Ausdruck seelischer Bewe¬
gung, Ebenmäßigkeit des
Temperaments: das sind un¬
gefähr seine Ergebnisse; aber
diese Ergebnisse werden
eigentlich nur gegen die
fränkische Beweglichkeit und
gegen die sprunghafte Jäheit
des bayrischen Tempera¬
ments gewonnen. Ob sie
nicht etwa für die Sachsen
mit gleicher Berechtigung zu
behaupten waren? Einzig
allein ein Vergleich der trau¬
ernden Frauen des Meisters
von Eriskirch mit den Mäd¬
chengestalten von Landen-
berger wirkt schlagend. Die
eigentliche Meinung Baums
ist, daß sich die Merkmale des
Völkischen zuverlässig nur
aus dergesamten Kunst eines
Volkes und aus der Ver¬
gleichung mit dem Schaffen
anderer Völker herleiten lie¬
ßen. Läßt man aus dieser
Meinung die 128 gut ge¬
wählten Abbildungen des
Werkes durch die Anschauung gehen, so kommt freilich
ein Eindruck deutschen Wesens zustande, den jeder von
uns in der Seele als Heimat fühlen muß. Es fragt
sich nur, ob dieser Eindruck nicht auf Imponderabilien
beruht, die sich der reinen Kunstbetrachtung entziehen?
Das führt zu der eigentlichen Veranlassung dieser kleinen
Abhandlung, die an sich — das weiß ihr Verfasser wohl —
ein dreister Versuch ist.
Die Tendenz dieses Versuches wird ohne weiteres
in den acht Abbildungen deutlich; seine Überschrift
mußte lauten: Deutsche Köpfe in der gotischen
Bildnerkunst Schwabens. Als nämlich dem Ver-
fasser der Kopf der Maria im Wochenbett aus Buchau
vor Augen kam (Abb. 1), prallte er förmlich zurück vor
der Vertrautheit mit diesem fröhlichen Jungfrauen-
gesicht; und dies fühlte er sogleich mit Bestimmtheit,
Abb. Z: Kopf der Mutter Gottes aus Horb,
daß der Eindruck durch andere Dinge mehr als durch die
Kunst bestimmt war. Zwischen dem Lächeln dieser
Buchauer Maria und etwa dem der Mona Lisa, um ein
jedem bekanntes Gegenbeispiel zu wählen, liegt zehnmal
stärker als der Unterschied der Epoche und der künst-
lerischen Bildung der der körperlichen Existenz des Mo-
dells. Freilich lächelt dort ein Sphinx aus der guten
Gesellschaft, und hier ist das aufgeschlagene Buch eines
Bauernmädchengesichtes; aber dann bleibt immer noch
die Frage, ob dieses Bauernmädchen auch bei Florenz
gewachsen sein könnte? Die einzige Antwort kann natür-
lich nur das Gefühl der Vertrautheit geben, das sich bei
jedem Anblick dieses Gesichtes neu einstellt; genau so,
wie beim Anblick der Elisabeth von Eriskirch (Abb. 2)
jedesmal eine leise Fremdheit überwunden werden muß,
um dann zu einer viel innerlicheren Erkenntnis zu
in