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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 3
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Schäfer, Wilhelm: Das Mädchen von Radolfzell: ein gotisches Bildwerk aus Schwaben
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0123

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Abb. 5: Kopf des Johannes von einer Krcuzigungsgruppe aus der Bodenseegegend.

sich selber be¬
trachtet, ganz
anderer Art
sind. Beide wir¬
ken italienisch
durch die voll¬
endete Meister¬
schaft, mit der
die entscheiden¬
den Partien der
Gesichter zu¬
sammen gehal¬
ten unddennoch
reich gebildet
sind; kein Nest
von der Unbe¬
holfenheit ihrer
Körper ist in
den Köpfen ge¬
blieben. Ob¬
wohl eine spa¬
tere Bemalung
diese Wirkung
verstärkt haben
könnte, bleibt
kunstgeschichtlich
ein Rätsel
übrig. Baum
datiert die bei¬
den Statuen
um 1330 bis
1340, dahin ge¬
hören auch ihre
Körper, für ihre
Köpfe aber gibt
es jene italie¬
nische Meister¬
schaft noch gar-
nicht. (Um diese
Jeit vollendete
Andrea Pisano
erst seine Erz¬
reliefs an der
Baptisteriums¬
tür in Florenz.)
Sucht man in
der deutschen Kunst nach Gegenbildern, so findet man
sie erst zwei Jahrhunderte später etwa in den 1526
vollendeten Aposteln Dürers; deren Mäntel wallen
in den weiten Falten der italienischen Renaissance und
ihre Gesten sind frei: ihre Köpfe stehen zu diesen frühen
Gebilden in nähesterVerwandtschaft, wie sie in italienischer
Gewandung deutsches Wesen darstellen. Denn sieht man
durch die Maske, die ihre anscheinend fremde Mache
über diese Köpfe legt, hindurch, so bleiben zwei Gesichter
vom Bodensee übrig, zu denen man ohne weiteres heute
wie damals die Modelle herbringen kann.
Hier haben wir also das Gegenteil: keinerlei Rea-
lismus, vielmehr einen bewußt angewandten Stil,
der fremd auf uns wirkt, und trotzdem eine Stärke
der deutschen Herkunft aus dem Modell, die diesen

beiden Köpfen etwas tief Aufregendes gibt. Viel ver-
trauter scheinen uns von vornherein die beiden Rott-
weiler Köpfe (Abb. 6 und 7), der des Johannes vom
Westportal und der eines Propheten vom Südportal
der dortigen Frauenkirche. Die stilistische Eigentüm-
lichkeit beider ist die starke Bewegung, die in den dazu-
gehörigen Körpern alles Statuarische in eine leidenschaft-
liche Kurve biegt. Bei dem Johanneskopf ist diese Be-
wegung in den innersten Ausdruck übergesprungen, bei
dem Apostel ist sie mehr in das Beiwerk der geringelten
Bart- und Stirnhaare gegangen. Hier ist weder der
fröhliche Realismus, also die unbedingte Herrschaft des
Modells wie in dem bäuerlichen Marienkopf aus Buchau,
noch die Maske der Bodenseeköpfe: eine voll gekonnte
plastische Gestaltung hat diese Köpfe einer beabsichtigten
 
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