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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 4
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Goetz, Oswald: Frankfurter Plastik-Austellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0164

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Abb. 2: Weibl. Heilige, ftanzcsisch,
I. Hälfte 14. Jahrh., Stein, 87 LIN.


erheben kann infolge der rein äußerlichen Umstände, die
sich für einen Pcivatsammler ergeben, ist es doch mög-
lich, die formalen und geistigen Entwicklungsgänge an
Gruppen gleichen Stoffinhalts zu verfolgen. Wir
wollen an dieser Stelle den angedeutctcn Weg ein-
schlagen, da es unmöglich ist, selbst in gedrängter Form,
alle ausgestellten Werke anzuführen.
Die Anordnung ist nach chronologischen Gesichts-
punktengeschehen. In den beiden ersten Sälen sind die
Bildwerke des 14. und frühen 15. Jahrhunderts aus-
gestellt, im dritten und vierten Saale herrschen 15. und
16. Jahrhundert vor.
Verfolgen wir zunächst die Stilprinzipien an der
Standfigur. An die Spitze dieser Reihe, aus der wir
sechs Figuren answählen wollen, stellt sich eine west-
fälische Eichenholzmadonna aus der Zeit um 1300
(Abb. 1). In ihrer blockhaften Schwere, in der Stofflich-
keit des Gewandes klingt noch etwas nach von der großen
antiken Welle, die von Westen her das deutsche Land
überflutet und die schönsten Vertreter deutscher Plastik
überhaupt in Straßburg, Bamberg und Naumburg ab-
gesetzt hatte. Allein an der gewissen Schematisierung in
Kops, Händen und Gewandfalten spürt man die Abkehr
von dieser klassischen Gesinnung und eine entschiedene
Wendung zu den neuen, übersinnlichen Idealen des
14. Jahrhunderts. — Einen raschen Seitenblick auf die

Abb. 5: Stephanus, bayrisch, um 1520, Linden-
holz, Sy cm.


französische Plastik dieser Periode gestattet die weibliche
Heilige (Abb. 2) aus Stein, die über der linken Hüfte
ihr Gewand hochgezogen hat und in der Hand ein ge-
schlossenes Buch hält. Ganz abgesehen von der neuen
Schwingung und Ponderierung — man beachte die
typische 5-Schwingung der Figur und die V-Kurve des
Faltenwurfes — tragt die Heilige die Nationalcigen-
schaften ihres Volkes. Dort eine gewisse Schwere und
ein etwas bäurischer Ernst der Gesinnung, hier alles
Grazie und Heiterkeit. Das Prinzip: l'urt pour l'urt
stellt sich dem Prinzip: Kunst fürs Volk, gegenüber. —
Auch die Würzburger Madonna aus der Mitte des
14. Jahrhunderts vertritt dies Prinzip der ernsteren
Auffassung. Aber gegenüber der frühen Westfälin
ist hier alles entmaterialisiert. Schon wenn man das
Volumen untersucht, ergibt sich eine Reduktion auf
die Hälfte. Die Falten liegen flach auf, der Körper ist
unspürbar. Die kalligraphischen Aüge des Gesichtes, die
gedrehten Locken, die unmittelbar in die Krone über-
gehen — ein Abschluß der Bewegung, die vom Fuß-
punkt langsam über Hüfte und Schulter sich empor-
zieht —, die Gesamthaltung, nicht zuletzt der gedrungene
Typ des Jesusknaben erweisen die lokale Verwandtschaft
mit einer von Pinder (Mittelalterliche Plastik Würz-
burgs) um 1360 datierten Madonna, die allerdings etwas
jünger ist als unser Stück. — Wenn auch die gesteigerte

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