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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Drittes Heft
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Knoblauch, Adolf: Gereut, [2]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0048

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Erde vor dem Abschied grüßte. Myrddhins mächtiges breites
Haupt war sonnengolden, verwitterte Runzeln furchten das
hochstirnige Angesicht von einem Leben der wundersamsten
Irrseligkeit in unserem neuen Jahrhundert.
Der Tag des Todes war gekommen. Man hatte ihn tot-
krank auf seine Kammer im Stallgebäude gebracht. Sein ver-
ehrungswürdiges Antlitz war von der Rose geöffnet und blutig.
Dolling hatte verboten, daß er jemandem zu Gesichte käme,
denn es war ein Sonntag. In der Morgenstunde rang der Ge-
zeichnete mit dem inneren Befehl, zu sterben. Er stand, allein
gelassen, vom Bett auf, und stieg in den Hof hinab. Man sah
ihn im Heim und hinderte ihn daran, das Haus zu betreten, da-
mit die Gäste nicht erschraken.
Myrddhin durfte in den Garten hinausgehen. Myrddhin
wandelte einsam im Seinigen und schaute noch einmal, was er
vollkommen verstanden und tief angebetet hatte. Nichts war
auf Erden als Myrddhin! Nichts in der Erde, nichts droben im
Himmel als der ewige Myrddhin! Blumen, Bienen, des Gemüses
Pracht, lustige Vögel, liebe Freunde im Hause — sie waren
nichts als das unsterbliche Lied MYRDDHIN, über das Leben
hinaus gesungen in des Alls unendlicher Erwärmung! Nieman-
dem mehr war Myrddhin eine Schranke! Niemand. Nichts
gab es, das nicht Seines war vollkommen, endgültig, kostbar wie
Tropfen Oel im Gefäße, aus dem die Flamme sich nährt! Gott,
angebetet, glücklich, vollendet, in Deiner Liebe glänzte Myrdd-
hin! Tropfen im Licht Myrddhin, der für niemanden eishauchen-
der Tod ist! Herbselige Erde, die Myrddhin umfängt, über
Myrddhin gebeugt, über Gottes sterbendes Lied die hoffnungs-
starke Mutter!
Am Montag brachten die Dollinge den Bewußtlosen ins
Krankenhaus, heimlich im verhüllten Wagen. Ohne Abschied
kam er fort, abseits, vernachlässigt, kein Fünklein Liebe brannte
bei seinem Sterben: Gottes nacktes Lied!

Die Zirkumzellionen, afrikanische Sektierer, gaben sich
selbst den Tod, der als Sühnopfer galt.
Der Lord hatte nichts mit Reformern und Mönchen gemein.
Er kam aus Wien und begeisterte sich für die Damen der Mün-
digen. Er schenkte ihnen täglich Blumen mit großer Zurück-
haltung, die auf seiner Jugend beruhte. Der Dekadente führte
die europäische Kultur, der seltsame Verneiner und Todessüch-
tige, der wie jede Jugend erneuernde Sühnkraft strahlte.
Die Mädchen konnten ihn nicht leiden, die Frauen nannten
ihn Lord, denn er hatte eine edle Statuenhaftigkeit in seiner
Haltung. Zuweilen zerbrach die Statue in viele jähe Geberden,
und nervös heftige Stimme, scharfe Rede machten ihn unbe-
liebt. Die Frauen waren hochmütig zu ihm und verspotteten,
was sie nicht verstanden.
Eines Abends wartete der Lord lange hinter Büschen am
See auf eine junge Dame, die mit dem Liebsten lustwandelte.
Als das Paar erschien, trat er vor, überreichte dem Mädchen
Blumen und sprach: „Wenn sie leben, wenn sie sterben, ohn
Aufhören gibt er die Hand ihrem Sein!" Das Paar ging ver-
legen weiter, der Lord weinte verhalten. Dann sah er das
stolze Fräulein seine Blumen an der Wegkrümmung ins Was-
ser werfen. Die Blumen waren lästig, der Lord war langweilig!
Den Lord kränkte die schnelle Albernheit, seine Tränen
versiegten. Ihn brannten eisig die Lieder der Glücklichen im
Walde. Ueber heimliche Tränen krümmte furchtbar krampfi-
ges Lächeln. Die Stätte, wo er müde und traurig ist, wo er
harrt, bangt, sucht und rastet, stand in Flammen, Brot, das
nährt, war befleckt von Züchten und Schuld Fremder.
Auf der Wolken Stufen schritt der Engel des Gerichts von
Himmel zu Himmel. Er stampfte zermalmenden Flug auf der
Flut gequälter und gebresthafter Menschen, deren Kniee im
Jammer unter seiner finsteren Härte sich krümmten. Vom er-
barmungslosen Zorn brannte sein Kleid. Seine Rechte streckte
das Vergeltungsschwert in der Schärfe, die Linke hielt die Wage
mit den Losen des Rechtes. Im Grimm des Schnitters kam er
zur Ernte. Ueber dem kalten Geisterauge standen Zacken, ums
Haupt flogen Schlangen im Sturm, der Mund spannte Pfeile.

Gequälte, Verstümmelte schlugen Krallen in einander,
stürzten sich mit dengelnden Armen, lagen auf Knieen unter
dem satanischen Rächer und küßten den feurigen Henkersman-
tel. Der Engel blies den Eiter seiner Worte in die Ohren der
Köpfe, ehe er sie in den Staub mähte.
Zwitschern, Zirpen der Vögel auf dem blauen Hügel am
See war gestorben. Der Lord machte sich auf und zog in die
Stadt. Eine Zeitung brachte danach die Kunde, daß der Lord
aus einem vierten Stockwerk auf die Straße hinabgestürzt sei.
Glücklosester Tod!
Einsame Uhr, die vor Ablauf zerbrach!
Schreckliche Finsternis!
Mechanik des Revolvers. Würgendes Nichts im Gift.
Gierig fressende Leere. Kreisende Abscheulichkeit.
Aussätziger Abgrund, in dem das Hirn wirbelnd zer-
schmettert.
Mord aus Unfruchtbarkeit!
Die Zirkumzellionen, afrikanische Sektierer, gaben sich
selbst den Tod, der als Sühnopfer galt!
VI
Im Ordenssaal versammelte sich der Rat der Mündigen.
Auf dem schwarzgrünen Sitzungstisch lagen an jedem Platz No-
tizblocks mit Bleistiften neben Aschbechern, wie bei den Kom-
missionsberatungen im Reichstag. Wenn Dolling nach der
Sitzung die Blocks einsammelte, so waren sie nicht mit hinge-
hauchten Schriftzügen ernsten Sinnens oder ökonomischer Be-
rechnungen bedeckt, sondern mit Weiberfratzen beschmiert, die
Warzen am Kinn, dürre, spitze Nasen, geschwollene Backen,
Triefaugen, gesträubte oder filzige Haare hatten, Zungen aus-
steckten!
Miesmuschel läutete die neunickelne Sitzungsbimmel. Die
Herren des Rates betraten den Saal, bockten, pufften, rissen
saftige Zoten. Nichts Gemütlicheres als eine Vereins-Sitzung!
Hinter der sicheren Vereinshecke hechelten die Mündigen ihre
Mitmenschen durch, stellten moralische Zweifel in die Aufrich-
tigkeit der Gedanken und Handlungen der Anderen. Der Ver-
eins-Einzelne drehte die krumme Unanständigkeit anständig
gerade und befleckte den Untadeligen. Die Unpersönlichkeit
verhüllte Nichtswürdigkeit, Schamlosigkeit des Vereins-Einzel-
nen, beseitigte sittliche Hemmungen, verlieh über moralische
Berechtigung. Er wurde ausführendes Glied der Versammlung,
Massen-Ich!
Im Verein der Mündigen brach böses Regiment herein!
Klatsch, giftige Nachrede, Hetzen, Verhöhnung, Zwietracht ka-
men über Hirn und Herz. Kein Mündiger vermochte die bösen
Geister und ihren Fürsten zu bannen, denn es fehlte kindliche
Unschuld, Tapferkeit, Fruchtbarkeit des Ideals!
Zur Instandhaltung der Gemeinwirtschaft beschäftigte der
Rat etliche Mägde, die unreine, widrige, aber unumgänglich
nötige Arbeiten im Hause besorgten, Stuben, Treppen, Säle
scheuerten, heizten und am Küchenherd schafften. Sie wohnten
zu dritt in der Kellerstube neben Gereut. Miesmuschel hatte
Hühnerfedern für die Gesindebetten preiswert eingekauft. Mit
den preiswerten Hühnerfedern wurden Läusenester einge-
schleppt.
Die Mädchen klagten den Dollingen ihr Leid. Diese such-
ten zu trösten, versprachen Abhilfe. Bei der Sitzung des Rates
stand ihre Klage auf der Tagesordnung. Aber Miesmuschel
schlug an seine Brust, beteuerte, nur insektenfreie Ware ge-
kauft zu haben. „Solche Mädchen bringen aber selbst Ungezie-
fer mit, das sich rasch vermehrt, wenn das Gesinde nicht von
Haus aus an Sauberkeit gewöhnt würde." Ueber solche Gleich-
gültigkeit und Tugend griffen die Dollinge an ihre Köpfe, aber
sie waren weit enfernt, mit ihren Köpfen Wände einzurennen.
Hochmögende denken immer und überall zuerst an Sicherheit
der eigenen Stellung im unbarmherzigen Wettstreit ehrsüch-
tiger Ichs. Wehe der Harmlosigkeit, die unter ihre schreck-
lichen Räder gerät! „Denn zu allem, was große Herren an-
fahen und sündigen, muß der arme Mensch büßen und sein Hab
darbringen!" Die Mündigen entschieden, daß das Gesinde des-
infiziert werden solle!

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