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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Drittes Heft
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Knoblauch, Adolf: Gereut, [2]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0051

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Droben stand der Donner der Straße, das Mahlen der
Stadt im unaufhörlichen Gewitter am Horizont, in dem Tag
und Nacht eines waren.
Gereut fürchtete den Schlaf und mied ihn als schwache Lok-
kung, er fürchtete das Erwachen und die Träume, die ihn der
Stadt entrissen. Er war in allen Ichs mit ihren Wohnungen und
Sendestationen als unendliches Kabel gespannt, Funkenzeichen
von Sorge und Ekstase blitzten durch seine Drähte. Es gab keine
Ausnahme, nichts war vergeblich! Er kannte das Wort, das aus
unbekannter Tiefe langsam hervordrang und den schimmernden
Kelch zum Lichte breitete.
Gereut errichtete zuweilen ein ernstes, hohes Antlitz über
sich und beugte das Haupt. Zuweilen rief er einen törichten
Traum auf offener Straße, um ihm scheu zu entfliehen. Zuweilen
bog er den Arm, einen holden Nacken an sich zu schmiegen,
einen Augenblick des Vorüberverweilens zu herzen. Die Grenze
des Sichtbaren: Miene, Kleid, Geberde, Blick und Wort erlosch!
Das Meer nahm ihn hinweg, als er in seinem Glanze träumte,
der Sturm kam und riß ihn in die Tiefe!

Gereut verrichtete stumm seine Arbeit. Hohe Stöße eines
illustrierten Zehnpfennigblattes waren noch schmierig von der
Presse heraufgebracht. Gereut hatte sie zu falzen, zusammenzu-
legen und in Umschläge zu tun. Er konnte vor Müdigkeit nicht
aufrecht bleiben, die einförmige Arbeit von früh auf machte ihn
schläfern. Es war hart, Falzstriche zu ziehen, Zehnpfennighefte
richtig anzufassen, wenn die Lider vor der Hitze wie Fenster-
läden niedersanken.
Es war ein Julitag, Fenster und Vorhänge waren dicht ge-
schlossen, in den Arbeitsräumen wurde Wasser gesprengt. Aus
Angst vorm Einschlafen war Gereut aufgestanden und arbeitete
stehend. Man hatte dem Jüngling eingeprägt, daß er die Ar-
beit, die man ihm auf dieser Stelle mühsam besorgt hatte, unter
keinen Umständen aufgeben oder vernachlässigen dürfe. Um
Gereut ging der Betrieb im Auf und Ab, Klingeln, Telefonieren,
Gerenne, Diktieren, Gespräch, Witzen der Kollegen: Arbeit!
Arbeit! Arbeit!
Wieder begann der hartdröhnende Donner der Rotations-
maschinen, der Arbeitshof, die Zimmer aller Stockwerke vom
Keller zum Dach bebten von den Herzschlägen der Druckerei.
Beim Schreiben der Adressen war Gereut eingeschlafen und
hing vorübergeneigt auf seinem Stuhl: die arme Larve, das
Klümpchen Kot im Winkel, das in der'künftigen Sonne mit glän-
zenden Schwingen auferstehen wird!
Gereuts Einschlafen war in der Schreibstube bemerkt wor-
den. Er galt für hochmütig wegen seiner ängstlichen Zurück-
haltung, seines schweigenden, verlegenen Lächelns, seiner Scheu
vor Blicken. Man spielte ihm einen beschämenden Streich: Einer
nahm den vollen Papierkorb, um ihn über den Schlafenden zu
stülpen. In diesem Augenblick fuhr Gereut aus dem Schlafe und
blickte dem Mann mit dem Papierkorb in die Augen. Alles
lachte und begab sich erquickt an die Arbeit.
Gereut schrieb Adressen, er wachte mit Flüstern: „Die
Städte hast Du umgekehret, ihr Gedächtnis ist umkommen samt
ihnen!"
VIII
Gereut ging heim zu seiner Geliebten.
Sie waren unverheiratet und wohnten in der schrägdachi-i
gen Mansarde eines häßlichen Hauses am Gleiskörper der nord-
westlichen Bahnen. Als Möbel hatte Gereut eine Reihe leerer
Eierkisten erworben und sie auf einen Handkarren getürmt über
den Platz der Siegessäule von 1870 herangefahren. Auf vier
Kisten legte er die riesige runde Holzplatte, die den Mittelpunkt'
seines Heims bildete, die übrigen Kisten wurden Bänke und
Sitzböcke.

Fräulein Laura war manchen Mannes Geliebte gewesen und
geradeswegs aus dem Spital gekommen, als sie Gereut zum
Manne nahm. Laura wußte sich freilich nicht im Paradiese,
als sie den armen Dichter erfreute und der Griff der Straße
faßte noch zu dicht. Aber sie war vergnügt mit ihrem Männ-
chen, dessen Zartheit und Knabenscheu ihr wunderlich schienen.
Er ging brav zurArbeit und verdiente für ihren Haushalt. Gereut
freute sich, zum ersten Mal eine Frau zu haben, sich in der Frau
zu baden, eines mit ihr zu sein, Tier und Erde! Er war elek-
trisch geladen, Gewitter sprengten Funken aus Blut und Geist,
wenn er die nackte Frau berührte. Er sah zu, wenn sie sich
Abends den Leib wusch, ehe sie zu Bett ging, achtete auf jede Be-
wegung ihres Leibes und liebte jedes der weiblichen Gefäße
mit natürlicher Freude. Sie war seine kleine Frau, die ihm mit
den reifen Gefäßen der Liebe Freude machte. Er raffte die
Haarwickel, Bänder, Papierröllchen, falschen Zöpfchen, die sie
nach Gebrauch am Tage ablegte, zum Knäuel zusammen und
schleuderte ihn der Nackten unter Indianersprüngen an den
Kopf, daß der Knäuel sich löste und ins Wasser fiel. Sie begoß
ihn wütend. Sie war von massiven Knochen, festen Muskeln.
Sie war es, die der scheuen Zurückhaltung und Unentschlossen-
heit Gereuts vor der Frau ein Ende gemacht hatte. Er hatte ihr
nur eine Wohnung mieten wollen, aber sie hatte ihn gezwungen,
gleich die erste Nacht bei ihr im Bett zu bleiben. Dann hatte er
sie zu seiner Frau gemacht. Sie hielt ihn für einen Schwäch-
ling, aber sie war stolz, einen „klugen Mann" zum Geliebten zu
haben.
Gereut besaß eine Geliebte; er wurde täglich mit Küssen
empfangen, zu Küssen gezwungen; er durfte täglich ein Weib
nackt mit Mund, Händen, Gliedern berühren, seine Mannheit
im glücklichsten Gefäße des Weibes baden.
Fräulein Laura lachte über seine Jungenstollheit und die
Vergleiche mit der farnesischen Venus Raffaels oder Lauren von
Vaucluse. Er schleuderte Bücher und Kisten vor Freude durch
die beiden Stuben und stürzte Laura nackt purzelnd aus ihrem
Drahtbett.
War seine Geliebte von Liebesspielen müde und eingeschla-
fen, streckte sich Gereut in der Sommernacht völlig gerade neben
dem nackten Weibe hin, sorgsam darauf achtend, nirgends
ihren Leib zu berühren. Des einsamen Gereut allhelles Denken
entbrannte, sein Ich spannte diamantene Fittiche, reglos inneren
Sinnens schaute er auf das Fensterrechteck, in dem grell eine
Bogenlampe hoch über den Gleisen schien. Nacht um Nacht
lag der müde, bitter stumme Gereut schlaflos neben dem schla-
fenden Weibe. Er dachte das Denken des Tages in der Stadt
auf all ihren Straßen, das Fieber der Stadt sog sein Blut, daß das
Herz angstvoll schlug, ätzte brennend sein Hirn.
Wenn das Abenddämmer kam, erlaubte Fräulein Laura
nicht, die Lampe anzuzünden, denn sie verabscheute das Lesen
und war auf Bücher eifersüchtig. Die Bogenlampe leuchtete
grell, man sah genug in der Stube.
Eines Abends fragte sie nach der platonischen Liebe, miß-
trauisch, als sei sie eine verhängnisvolle Drogue. Sie rief ärger-
lich: „Die Liebe muß einen Zweck haben, davon kriegt man Kin-
der!" Gereut funkelte vor Vergnügen: „Ans Kind denken die
Leute erst, wenn alles vorbei ist, und sie sich garnicht mehr
lieben."
Das unglücklich in die Bildung verliebte Fräulein nahm ein
Reklambüchelchen in die Hand, das Platon über die Lehre eines
gewissen Sokrates von der Liebe verfaßt hatte. Sie entzündete
bildungsbastelnd mehrere Abende selbst die Lampe.
*
Im Herbst werden die Käfer müde und kriechen matt, in-
dem sie den in der Schwere des Seins der Verwandlung entge-
genreifenden Leib mühevoll heben. Gereut war träge geworden,
seine Bekannten behaupteten, er sei dekadent und verfiele, die
Kollegen in der Schreibstube sprachen ihm eine Daseinsberech-
tigung völlig ab. Sein schneller Schritt, das Jähe der Hände,
das heftige Aufspringen, die Erregungen des Geistes erloschen,

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