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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Drittes Heft
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Knoblauch, Adolf: Gereut, [2]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0052

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übrig blieb ein müder, grauer Schreiber, dessen Haupt gebeugt,
dessen Lichtchen nicht wert war, am Lebensaltare zu brennen.
Eines Nachmittags ging er am Arm von Fräulein Laura
in der Sonne. Sie drückte ihn, stolz um sich blickend, an ihre
Schulter und ermunterte ihn mit Ellbogenstößen,nicht im Gehen
allmählich einzunicken, denn Gereut litt unaufhörlich an Schlaf-
sucht. Er hatte immer das Bedürfnis, tief und fest einzuschlafen.
Das Leben war gut zu ihm. Die Stadt blinzelte ihn in der
Hitze an und sah dann auf die andere Seite hinüber. Er war in
der Julisonne ein wenig trunken; er taumelte über den Straßen-
bord, als er einmal das Auge nicht rechtzeitig aufgetan hatte.
Fräulein Laura führte ihn in den Park, damit er auf einer Bank
ausruhen sollte. Die Bank stand unter einer Gruppe alter hoher
Linden, die von einer Raupenplage heimgesucht wurde. Die
Tiere fielen zu Hunderten sattgefressen von den grünen Blättern
herab und bedeckten den Erdboden mit grünem Schorf. Grüne,
lange, fette Tiere waren Fräulein Laura in Haar und Nacken ge-
krochen. Geekelt wollte sie mit Gereut weitergehen. Aber
Gereut betrachtete aufmerksam die Raupen auf seinen Aermeln,
seiner Hose, und seine Trägheit schien nicht geringeren Grades
als die der Raupen zu sein. „Die Raupen stören mich nicht.
Laß mich nur einen Augenblick sitzen," erklärte er. Sie lachte
und wartete auf einer entfernten Bank.
Die Raupen rochen aus Gereuts Odem seine gastfreundliche
Duldung, sie wanderten bedächtig im Genuß von Gereuts tieri-
scher Wjärme auf seinem Rücken, seiner Hose, seinem Hut und
seinen Händen, verschnauften mit sachtem Heben des röhrigen
Bauches, sahen sich viele Male um, beschauten Gereut bis in
jede seiner Falten, krochen wie Biografen ihrem großen Ver-
fasser in die Leibwäsche. Die Sonne brannte heiß auf Gereuts
Buckel, den kiesbestreuten Parkweg und den grünen Raupen-
schorf. Gereut stand auf, klopfte alle traulichen Freunde emsig
ab und legte den Arm in Laurens ihren.
Gereut war einsam in Augustheide, Bienensang, Blütenduft
und Wunderwärme. Seine Geliebte schwatzte: „Mein arg star-
kes Männchen, wenn mir mal Wer was antut, dann sag ich: mein
Karle von der Fabrik ist stark, schlägt alle Knochen im Leibe
entzwei!" Sie zogen durch die Stadt und hielten auf einem don-
nernden Platze des Verkehrs. Im Lärm vernahm er ungenau ihre
Worte, sie lachte und war sicher: „Du! wenn Eine nachgibt
und läßt sich verführen, so liegt es an ihr. Die Mädels möchten
gern verführt sein, das wissen die Männer. Darum gibts so
wenig Mädels, die wirklich anständig sind!"
In der donnernden Straße, zwischen krachenden Fuhrwer-
ken, unter Geläut der Glocken, allen gehißten Fahnen der Stadt
tobten die wilden Dienerinnen des Lustgottes und stürzten mit
eisenscharfen Stäben auf Gereut. Unter ihren Stößen, dem un-
auslöschlichen Gelächter, den Beschimpfungen brach er zusam-
men, die Straße wieherte über den Kot, der sich zu ihren Füßen
wälzte.
Gereut hob das erhitzt irre Jungensgesicht zu seiner l^ame,
sie drückte ihn schützend an sich mit heimlicher Scheu. „Behalt
mich lieb, wenn du alles von mir weißt! Ich war ein schlechtes
Mädel, aber durch dich werde ich gut!" Den Blick gesenkt,
kalt, heimlich bebend hörte Gereut gut zu: „Ich hatte Verhält-
nisse in Wien und Berlin, in der Friedrichstraße ging ich auf den
Strich, das sollst du wissen. Ich hatte immer Heißhunger nach
Männern und brauchte sie. Wenn ich keinen Mann da hatte,
war ich so hitzig, daß ich nackt des Nachts herumlief und mir
Einen suchte. Und wenn ich einen nicht mehr wollte nahm ich
gleich einen andern und führte dem seinen Haushalt. Dadurch
lernte ich alle Männer kennen und bekam die Krankheit X YZ!
Armes Männchen, du weißt gewiß nicht, was X Y Z ist, aber frag
mich nicht! Ich kam nämlich ins Spital, und das war mein
Glück, denn sie wollten mich gerade „unter Sitte" kriegen. Das
sind schon zwei Jahre wieder her, jetzt bin ich ausgeheilt und
tadellos anständig." Laura freute sich und Gereut erblickte zum
ersten Mal ihre häßliche Kopfbildung. Sie trug als Mädchen aus
dem Volk keinen Hut, ihre Stirn war niedrig, hart, winzig, und

ihre Augen der prager Jüdin waren groß und schön wie die der
farnesischen Venus.
Als sie in ihr Heim kamen, schmiegte sich Laura an den
Geliebten mit den Armen um seinen Nacken. Gereut nahm die
Arme fort und senkte sie höflich zu ihrer Schürze hinab. Ihren
Kopf, der sich an seine Brust legen wollte, richtete er am Kinn
auf. Dann trat er einen Schritt zurück und schaute sie unver-
wandt an. Sie setzte sich auf eine Kiste nieder und begann fas-
sungslos zu weinen. „Ich wußte es ja. Du liebst mich nicht,
weil ich alles gesagt habe. Die Männer sind alle gleich, sie wol-
len uns nur benutzen, keiner gönnt uns dem Andren. Wie war
ich dumm!"
Sie wollte sich mit fassungslosen Küssen auf ihn stürzen,
aber Gereut wehrte ab und schwieg starr. Er machte Licht,
setzte sich an ein Buch, sie nähte, ging aber bald zu Bett. Gereut
folgte ihr sehr spät und legte sich auf die Matratze am Boden
neben ihrem Bett. Sie berührten sich nicht in dieser Nacht. Das
Schwert lag zwischen ihnen, das Goldgeschmückte, mit Feuer
außen die Ecken belegt, mit Eitertropfen innen bestrichen!
X *
*
Gereut stand in der ersten Frühe nackten Leibes am Fens-
ter und schaute herab auf das ausgespannte Gleisnetz der Nord-
westbahnen. Er sonnte sich in der wolkenlosen Sommerglut,
die kein Lufthauch kühlte. Die blauen Stahlschienen gleißten.
Die Stadt stand fern in düsterer Kargheit gesammelt und
schwitzte des Arbeitsanfangs Trübdunst. Lokomotiven drehten
weiß blitzende Gestänge, ein Zug donnerte, das Schienenfeld
furchend, herein.
Fräulein Laura erwachte und rief Gereut. Dann erhob sie
sich ängstlich und schmiegte ihre Nacktheit an seine. Aber er
schob sie höflich fort, zog sich an und verließ das Heim. Er ging
nicht auf die Schreibstube, sondern wanderte in feiertäglicher
Sammlung durch die Stadt. Er zählte die überm Fluß gespann-
ten Brücken und schaute den langsamen großen Kähnen zu, die
von, Dampfern gezogen wurden, roch den cucken Kohlenrauch
aus den kleinen Schornsteinen und horchte auf die kleinen
scharf bellenden Hunde an Bord der Lastkähne. Er war müde,
und als er sich auf einer Bank am Hafen niederließ, schwand
seinen Augen die Kraft ihm schwindelte, und sein Kopf hing
vornüber. Aber nach einer Weile überschritt er ohne Zögern
die Brücke und begab sich in die Klinik, Aoteilung für Männer.
Der amtierende Arzt untersuchte sein Geschlecht und befand es
für tadellos.
Es war die tiefe Kränkung seines jungen Stolzes, einem un-
reinen Weibe anzugehören. Er hatte sich für schuldig gesprochen
und verdammt. Er war im Larvenzustande. Aus geschlecht-
licher Erschöpfung, Verfall, Zermürbung, Langeweile und Ueber.
druß durch die große Stadt mochte Vielen ein barmherziger
und mitleidiger Tod erscheinen. Gereut war der Entwürdigte,
gänzlich Befleckte, Verunreinigte, dessen grindiger Makel in
Gluten der Größe, Strenge, Einzigkeit verbrannt werden sollten.
Er fuhr in den Wald, stieg auf die einsamen Hügel hoch am
Strom, entkleidete sich und schlief nackt in der verborgenen
Tiefe des Gesträuchs auf Nadelstreu im Raunen des sommer-
lichen Flußwindes. Erwachend vom Schlaf betrachtete er die
Ameisen und Käfer im Waldgras und atmetete die Luft des
wachsenden Holzes und der webenden Blätter. Die qualvolle
Müdigkeit seines Wachens erlosch in der Ewigkeit des Traumes.
(Fortsetzung fo!gt)

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