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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Viertes Heft
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Knoblauch, Adolf: Gereut, [3]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0064

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Er beeilte sich, seine kleinen Angelegenheiten in der Stadt
zu ordnen, und verabschiedete sich bei den wenigen Freunden
mit der Begründung, daß er eine Wanderung plane. Irgendwo
stand in unbekannter Zone eine dustere Stadt mächtiger Ar-
beit, nach des Reiches Erzstadt wollte er wandern.
Irgendwo blaute eine Heimat für den müden Knaben, am
sonnigen Fluß ein weißes Ufer, auf dem er nackt liegen
wollte. Irgendwo strahlte eine allerstillste Stunde, liebe
Erinnerung an junges Zweisam-Wandeln. Von Irgendwo
läutete ferne Glocke im hohen Blau: Heimatland ist
heimliches Land!
Fräulein Laura wollte den düsteren Gereut nicht gehen
lassen. Er war höflich zurückhaltend und nahm schweigend
Abschied. Auf dem Gleiskörper der Nordwestbahnen reiste er
nach Hamburg. Mit einem schlanken weißen Nordseedampfer
fuhr er die Elbe hinab und schaute von fern die Stätten der Ju-
gend-Wanderungen, das heimliche „Alte Land! " der Elbmarsch.
Vorm Meere wurde der Strom breit und grün. Seewind
spannte starke, gebogene, weiße Flügel, schlug Gereuts Brust,
seine weißen Flüge schwebten um sein Haupt reinen Brau-
sens.
Das Nordmeer, ewige See, grünste Tiefe, kräuselte sich
seinem Fuß. Er bebte nicht vor dem Grauen seiner Oede,
dem kettenlosen Ungestüm, verheerenden Ansturm. Er kannte
des Meeres Heimlichkeit, seine lammswollige Wiegen-Zärtlich-
keit, die gnädig in Schlaf wiegt, wenn er nach ihr schreit, matt
vom allzubangen Streit.
An der Küste begann Gereut die Heimats-Wanderung.
Nach kreisendem Umschwung eines Jahrzehntes wurde er von
Neuem an der rauhen Küste ausgesetzt und fühlte ihren schlich-
ten Kuß. Der Kuß der zärtlich geliebten Heimat kehrte hinter
ihm die düstere Stadt, die aus Drachenschlünden zum Himmet
spie. Er lag am Urbeginn nackt und hilflos, aus dem Ozean war
die ehrwürdige Mutterfeste zum Tage aufgestiegen, um ihre
hilflosen und nackten Kinder zu tragen und zu nähren. Den
Kiesel in der Brandung den Grashalm im Seewind, die krei-
schende Möwe auf der Woge, den wehrlosen Knaben in der
Höhlung des Sturmes schirmte die Ehrwürdige gegen über-
mächtige Gewalten des furchtbaren Werdens. Die Geschwister
hatte Gereut lang geflohen und fand heim zu ihnen liebenden
Erbebens.
Gereut hungerte, ihn fror, er grub sich nackt in Dünensand,
er trug seine Bettlerkleidung auf dem Rücken, wenn er im Seich-
ten hinaus zu den Tiefs wanderte. Ein Sturmtag kam, der
Sturm setzte vom Meer zum Angriff auf die flache Küste an,
Donner brüllten, Hagel brach nieder, Blitze reckten zerbrochene
Feuersäulen in die tobende Finsternis fahlroten Glühens. Nach
dreitägigem Sturm zog Gereut am schäumenden Meer nach
Süden: Gedörrt von Julisonne, salzigem Wind, frühe gegürtet
mit dem Purpur der ersten Sonne war der irrende Jüngling jedem
bösen Willen, jedem zufälligen Verderben preisgegeben. Der
bettelarme Knabe wanderte im heimlichen Land. Sein Herz-
blut glühte köstlich, ewige Jugend der See, des Meeres Auf-
blicke, Atem, Wunder gingen in seinem sonnenkreisenden Her-
zen auf, entzückten, vergingen, Adam lebte am ersten Tage der
ewigen Schöpfung, Freude in den Flügen des Windes schwebte
vor ihm her und küßte sein stolzes Haupt, die junge Birke in
frischer Anmut war Gereut, als er an der Mündung seines gro-
ßen Heimatsstromes in die ewige See die Kinderarme empor-
breitete und vaterlandsliebend droben im rauhen Wind die
grüne Fahne seiner Jugend unter Liedern entfaltete.
In Bremen aß er von seinem letzten Zehrgeld Mittag und
trank festlichen Wein. Im westfälischen Münster, der geheim-
nisvollen Stadt der Dome schlief er ein einziges Mal auf seiner
Pilgerfahrt im Bett eines Gasthofes. Zärtlich wanderte er durch
die Paradiesesauen des sanften Münsterlandes. Er bettelte um
Brot als sein Mittag und seine Vesper, in der Frühe nährte er
sich von Wurzeln aus der taunassen Ackererde, und Abends biß
er auf bittere Blätter vom Waldesgesträuch. Aber köstlich
mundete das Wasser aus den Bächen mit weißem Sand, wo
Kiesel rein und klar in der hellen Woge ruhten. Seine Schuh-

sohlen waren zerrissen. Er schlief die Nächte in zugigen Scheu-
nen oder auf Moos im dichten Wald, früh vom eisigen Morgen-
tau geweckt.
Liebkosenden Blickes schaute Gereut die üppigen Wiesen
mit ihren Weidengebüschen und hohen ernsten Pappeln. Er
lehnte sich in den sanft gewellten Hügelhang über der unend-
lichen Ebene, er sprang über den Landstraßen-Graben, um sich
ins Gras zu stürzen, das Antlitz in die Gräser zu betten und
dem dichten Lied der allergeringsten Geschöpfe zu lauschen.
Gereut liebte den strahlenden, tosenden D-Zug, der fern schlan-
genhaft nach Süden zog. Er achtete sorgsam auf die Wander-
brüder der Landstraße, die versteckte Fragen an ihn richteten.
-X- *
*
Gereut wanderte in die Erzstadt des Reiches, das stählerne
Essen, die ungeheure Werkstätte, Germaniens Waffenschmiede.
Von Morgens bis Abends war Gereut auf der Suche nach Ar-
beit, um in Essen zu bleiben. Mit allen Arbeitsuchenden stand
er in der Frühe vor den Toren der Werkstätten, Gießereien,
Stahl- und Elektrizitätswerke. Trotz seiner schauernden Ehr-
furcht vor dem Namen Krupp hatte er im Meldezimmer des
Werkes gewartet, aber man erklärte, daß er wohl kaum Arbeit
beim Hochofen übernehmen könne, andere Arbeit gäbe es nicht!
Gereut warb unverdrossen, er meldete sich als Austräger bei
Zeitungen und Bäckereien. Niemand wollte die Beine des Dich-
ters für sich in Bewegung bringen. Schließlich bot man ihm Ar-
beit auf einer Ziegelei bei Gelsenkirchen: er schreckte zurück
vor vierzehn Stunden härtester Tagesfrohn.
Er lag in Schlafstelle mit einer Schar jugendlicher Arbeiter,
die bei Tagesgrauen zur Arbeit in Gießereien aufbrachen, sie
trugen täglich zwölf Stunden große Tiegel mit siedende^
Schmelze, bedienten Maschinen für Erzpressung. Er begleitete
täglich einen Kameraden auf dem Wege zur Arbeit, den nutz-
losen törichten Gereut beruhigte es einen Augenblick, an der
Seite eines rauhen Gesellen im Heere der düstren Werker zu
scheiten; während sie ihren guten und schlechten Taten entge-
genreiften, blieb er allein mit seinem schwachen ohnmächtigen
Willen. War der Geselle endlich im dröhnenden Tor der Fabrik
verschwunden, starrte Gereut lange verzweiflungsvoll nach: der
Arbeitslose rechnete ängstlich aus, wie er den grauen Werktag
müßig inmitten des rastlosen Antriebs bestehen sollte. Die
Sonne hatte ihr Auge trübe und rot verschleiert mit Rauch und
Dünsten der Fabriktürme.
Als er kein Geld mehr besaß, um sein Bett zu bezahlen,
stieg Gereut in die Wälder empor und wanderte nach Süden
zum Rhein. Erschöpft kam Gereut nach Düsseldorf, schlich
mühselig wund, aber aufrechten Hauptes durch die weiten Stra-
ßen zum Strom. Er setzte sich auf einen Pfeilerkopf, der aus
dem Strom über die Kaimauer ragte, und sah den mächtigen
Rhein: in uralter Stromes-Schönheit glich er der hohen grünen
See und schaukelte seine Lasten in schimmernder Erregung.
Nachdem Gereut sich satt schaute, ging er in die Stadt und
bettelte in der Herberge um Obdach. Der Herbergsvater prüfte
seine Kleider auf Ungeziefer, und der Irrende durfte im Schlaf-
saal zu den anderen Wanderburschen in ein eigenes Bett sich
legen.
X
Gereut ging im Schatten der riesigen, düster drohenden
Domtürme über Kaiser Wilhelms Rheinbrücke nach Köln hinein.
Er suchte umsonst eine Bank zum Ausruhen seiner wanderwun-
den Glieder rings um die gespenstige Kathedrale und begab sich
zum Hafen. Es war dunkel geworden und er bettelte in der
Finsternis nahe einer Dampfer-Anlegestelle von einem gutge-
kleideten Herrn Schlafgeld für die Herberge. Der Behäbige
schlug erschrocken den Rock über seine goldene Uhrkette,
musterte den mageren Jungen und war plötzlich verschwunden.
Um zehn Uhr stand Gereut müde auf einem stillen Markt-
platz der lustigen Stadt Köln und bat einen Schutzmann um

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