über den gebeugten Mengen, unendliche Musik flammte, dröhn-
te, Stimmen der Solis wurden von Meeresarmen des Orchesters
mit Liebesbrausen empfangen!
Dies dachte der arme Gereut. Nonne erwachte, als hörte
sie Gereut deutlich reden: ,.Lieber, warum sind wir so arm,
womit haben wir die Strafe verdient?" Er beugte vor Nonnens
unvermuteter Stimme aus dem Dunkel das Haupt, er dachte mit
brennendem Heimweh an ihren einzigen freien Tag, als sie von
Sakrow nach der Römerschanze gewandert waren. Im Augen-
blick dieser stummen Erinnerung begann Nonne ernst von
Sakrow zu erzählen, und Gereut lauschte . . .
Er schaute auf die nächtige, laternenbesäumte Straße hin-
aus, die nach Berlin führte. Die unendliche Straße, stürzende
Massen, tosende Bahnhöfe, Heere von Automobilen, Orkan der
Kraft und des Hasses —! Nonne erzählte sanft von Sakrows
zartem Glockenturm aus Schinkels Zeiten und dem hohen alten
Birkenhain am See.
Eine Stimme kam aus dem Kinderzimmer, im Traume
murmelnd. Nonne war aufgestanden und hatte Gereut umarmt.
Ihr Gesichtchen leuchtete weiß.
XII
Nonne klatschte mit den Händen nach Gereut. Durch die
Nacht flog ihre Stimme zu ihm auf wie ein kleiner silbriger Vo-
gel mit weichem Gefieder. Gereut erhob sich am kleinen Fen-
ster wie der Schatten eines jungen Bären und antwortete
hinab ins Dunkel, in dem nur der helle Vogel schimmerte.
Das Zimmer war mit einem langen, faltigen Vorhang in zwei
Teile geschieden, in Arbeits- und Ehe-Stube. In der Arbeits-
stube stand der runde Tisch mit Nonnens Armsessel, in dem sie
Mittags zur Ruhe saß und auf die Aecker jenseits vom Bahn-
gleis blickte. In der Ehestube prangten ihre schönen Betten.
Gereut stand vor dem lieben Bilde über seinem Arbeits-
tisch, dem Druck nach einem flandrischen Meister. Eine Eva
steht keusch und bietet zurückhaltend erhoben den Apfel der
sanften Liebe, ernst, ruhig atmend, nackt. Der Mann schreitet
geraden Blickes, strengen Angesichtes, fester Stirn, senkrechter
Stärke am kurzen fliehenden Augenblick vorüber. Das Bild
verlangt kein Gelübde, heiles stolzes Schweigen deckt seine
arme, verletzliche Scham.
Der Schreitende auf dem flandrischen Bilde biegt nicht
willig das Haupt zum Gruß, das Haar steht als Helm, die schräg
herabgestreckte Hand faßt unsichtbare uiitze in ihrer Kraft.
Hell, entflammt war Gereut, um Einöden zu durchziehen, un-
bezwingliche Hindernisse zu versuchen, ins absichtsvolle Dunkel
der Herzen zu tauchen, das Rätsel der Welt zu stammeln . , .
* *
Drei Kerzen will Ich dir anzünden!
Gereuts Ehe war ein heimlich zweisam Reich!
Winter-Schnee, herber Frostzwang friedete und Märzen-
sonne wärmte sein traulich Reich, die Stürme fuhren drüberhin,
ohne es zu versehren. Gereut senkte den Blick in die Ge-
schlechter seiner verehrungswürdigen Vorfahren, er hatte die
Regierung angetreten über die fünfhundert ehrfürchtig geliebten
Seelen, die er durch die Kraft und Anmut seiner Gedichte ge-
wonnen hatte, er war Großgrundbesitzer und besaß den uner-
meßlich reichen Holzschlag aus den Wäldern der deutschen
Sprache, und diese Wälder standen noch dicht wie die deutschen
Heere. Auf den Zinnen seines Palastes glänzten frei zehn Him-
melsgestirne, darunter Bär und Jupiter, Gereut war Mann,
Krieger und Fürst.
Nonne saß neben Gereut am Abend ihres Werktags, sie
hatte es noch immer mühselig! Ihre Hoffnung erhob sich auf
schlichten Liedesflügeln und flog der Sonne nach in ihren Ab-
grund, dessen Röte langsam verblich. Sie sang die Todesweise
vom Königskinde: Drei Kerzen will ich dir anzünden!
Gereut erbebte beim Schmerz ewigen Abschiedes, allfül-
lender Todesklage. Alles was geschah, sein Geheimnis, sein
Schicksal waren in ihm vorgebildet, er war vertraut mit Allem,
ehe es geschah, in seinen Träumen hatten sie lange neben ihm
geschlafen, um plötzlich zu mahnender Gewißheit aufzustehen:
Ereignisse, Taten, Abschiede, Herrlichkeit, Größe. Sie waren
ein Ihn-Rufen, Ihn-Verwandeln, Ihn-Heiligen, vor dem sein Herz
zitterte. Schrecken reckte den Stachel, Furcht ätzte Todes-
gift ins Blut, Vernichtung zerschlug: Den, der nicht aus erzbe-
reitem Willen die Tat vollbrachte, Sendling am guten Tag des
Gewitters! Gereut kannte wehrhaft Tag und Stunde, sanft
unschreckbar stand sein Haupt, seiner Sonne folgte das Schick-
sal donnernd nach.
Gereut hatte den schweren Schatten der Furcht empfunden,
Stachel und Vernichtung seines Selbstseins: den Hemmenden,
den Zergliederer, den Halbmann! Aus seinen verfluchten Sümp-
fen war Pinkepank, von den Seelen der Menschen genährt und
selbstbewußt geworden, in Gold gekleidet, aufgefahren gen Him-
giel, und hatte sich in das ewige Licht an Gottes Seite gesetzt.
Gottes Fülle eignete er sich nach Art roher Emporkömmlinge
an und besaß sie, die Mächtigkeit menschlicher Seelen, die groß
an Liebe und Weisheit geworden waren, ließ er zum Purpur-
mantel weben, in dem er sich zur Schau ausstellte. Wissen und
Kraft der Zeitalter benutzte er listig, um Stolz und Würde der
Rassen zu untergraben, und an ihrer ehrwürdigen Stätte sein
Ich aufzurichten. Er knechtete die Fülle des unendlichen Lebens
und das geduldige Rind wartete vor dem Messer des Schlächters.
Reichtum des Erdballs, königliche Herrschermacht verlieh Pin-
kepank seiner zerrütteten Brut, über den Erdball sank ein
furchtbarer Schatten, er hatte ihn durch blutigen Fleiß bezwun-
gen, er hatte ihn bezahlt, deshalb gehörte er ihm.
Aber Pinkepank war zur Schöpferliebe unfähig, obgleich
er versuchte, die ungeheure und leise Schwungkraft des Lebens,
aus seinem Feuerkreise in den verdorrten Adern gerinnen zu
lassen. Er blieb unfruchtbar, seine Werke strebten zum dürf-
tigsten Zusammenhang, ihm war die geheimnisvolle Bindung der
Liebe versagt.
Liebe suchte er allerwege, um jeden Nerv mit Weineskraft
zu entflammen, in jegliche Kälte, jeglichen leeren Augenblick
geschlechtliche Brände zu schleudern. Er selbst brannte und
flammte und liebte nicht, Demut der Liebe band nicht seine
schweifenden Hände, schöpferisches Feuer brach nie seine
karge Art.
Furchtbare Stunde, wenn aus erloschenem Krater die La-
wine des Feuers aus dem Erdinnern grollt; tötlicher Untergang,
schmerzvolle Befreiung! Dem glorreichen Tage jauchzte Gereut,
der göttliche Urmensch, Fürst der Sterne, Sieger der Aufgänge
Sonne, dem das Schicksal donnernd folgte. Der Schatten wich
von seinem Selbstsein, der Makellose trat vor ins All und hob
grüßend die Waffen. Sein Schwur zuckte die Herzen, sein
Schlachtruf weckte die Krieger: die gebückt in der Erde, auf
Saturn, Venus, Neptun, Mars und allen großen Gestirnen der
Himmels-Gespanne dem Schöpfer ihre Angesichter zukehrten
und ihm Treue leisteteten. Sie eilten herbei, die Erde bedeckte
sich mit ihren Scharen und an ihrer Spitze brach der rote Gereut
hervor auf Pinkepanks lederne Haufen, seinen lottrigen, von
rasenden Reden und Flüchen geschwollenen Heerbaum der
zerfressenen Gesichter, der von bürgerlichen Gewohnheiten,
Ausschweifungen geschwächten Geister und verkommenen Lei-
ber. Das fressende Feuer fiel nieder und Gereut schmiedete
zum Siegesmal Pinkepank auf den Ambos mit Blitzen aus seinen
Schöpferhänden von Stahl, warf die Türme um und setzte Gott
aus dem Schatten ein in sein ewiges Licht,
in Gottes Herrlichkeit:
Vor den Getreuen sang Gereut das uralte Gebet des Lord
Er ist so niedrig, daß ich alle seine Gesichter sehe,
Er ist so hoch, daß ihn niemand erreichen kann,
der Verborgene, dessen Namen niemand kennt.
Er ist unter den Menschen
Er ist bei den Göttern
wenn sie leben,
wenn sie sterben,
ohn Aufhören gibt er die Hand ihrem Sein
sie sind ewig in I H M
Ende
62
te, Stimmen der Solis wurden von Meeresarmen des Orchesters
mit Liebesbrausen empfangen!
Dies dachte der arme Gereut. Nonne erwachte, als hörte
sie Gereut deutlich reden: ,.Lieber, warum sind wir so arm,
womit haben wir die Strafe verdient?" Er beugte vor Nonnens
unvermuteter Stimme aus dem Dunkel das Haupt, er dachte mit
brennendem Heimweh an ihren einzigen freien Tag, als sie von
Sakrow nach der Römerschanze gewandert waren. Im Augen-
blick dieser stummen Erinnerung begann Nonne ernst von
Sakrow zu erzählen, und Gereut lauschte . . .
Er schaute auf die nächtige, laternenbesäumte Straße hin-
aus, die nach Berlin führte. Die unendliche Straße, stürzende
Massen, tosende Bahnhöfe, Heere von Automobilen, Orkan der
Kraft und des Hasses —! Nonne erzählte sanft von Sakrows
zartem Glockenturm aus Schinkels Zeiten und dem hohen alten
Birkenhain am See.
Eine Stimme kam aus dem Kinderzimmer, im Traume
murmelnd. Nonne war aufgestanden und hatte Gereut umarmt.
Ihr Gesichtchen leuchtete weiß.
XII
Nonne klatschte mit den Händen nach Gereut. Durch die
Nacht flog ihre Stimme zu ihm auf wie ein kleiner silbriger Vo-
gel mit weichem Gefieder. Gereut erhob sich am kleinen Fen-
ster wie der Schatten eines jungen Bären und antwortete
hinab ins Dunkel, in dem nur der helle Vogel schimmerte.
Das Zimmer war mit einem langen, faltigen Vorhang in zwei
Teile geschieden, in Arbeits- und Ehe-Stube. In der Arbeits-
stube stand der runde Tisch mit Nonnens Armsessel, in dem sie
Mittags zur Ruhe saß und auf die Aecker jenseits vom Bahn-
gleis blickte. In der Ehestube prangten ihre schönen Betten.
Gereut stand vor dem lieben Bilde über seinem Arbeits-
tisch, dem Druck nach einem flandrischen Meister. Eine Eva
steht keusch und bietet zurückhaltend erhoben den Apfel der
sanften Liebe, ernst, ruhig atmend, nackt. Der Mann schreitet
geraden Blickes, strengen Angesichtes, fester Stirn, senkrechter
Stärke am kurzen fliehenden Augenblick vorüber. Das Bild
verlangt kein Gelübde, heiles stolzes Schweigen deckt seine
arme, verletzliche Scham.
Der Schreitende auf dem flandrischen Bilde biegt nicht
willig das Haupt zum Gruß, das Haar steht als Helm, die schräg
herabgestreckte Hand faßt unsichtbare uiitze in ihrer Kraft.
Hell, entflammt war Gereut, um Einöden zu durchziehen, un-
bezwingliche Hindernisse zu versuchen, ins absichtsvolle Dunkel
der Herzen zu tauchen, das Rätsel der Welt zu stammeln . , .
* *
Drei Kerzen will Ich dir anzünden!
Gereuts Ehe war ein heimlich zweisam Reich!
Winter-Schnee, herber Frostzwang friedete und Märzen-
sonne wärmte sein traulich Reich, die Stürme fuhren drüberhin,
ohne es zu versehren. Gereut senkte den Blick in die Ge-
schlechter seiner verehrungswürdigen Vorfahren, er hatte die
Regierung angetreten über die fünfhundert ehrfürchtig geliebten
Seelen, die er durch die Kraft und Anmut seiner Gedichte ge-
wonnen hatte, er war Großgrundbesitzer und besaß den uner-
meßlich reichen Holzschlag aus den Wäldern der deutschen
Sprache, und diese Wälder standen noch dicht wie die deutschen
Heere. Auf den Zinnen seines Palastes glänzten frei zehn Him-
melsgestirne, darunter Bär und Jupiter, Gereut war Mann,
Krieger und Fürst.
Nonne saß neben Gereut am Abend ihres Werktags, sie
hatte es noch immer mühselig! Ihre Hoffnung erhob sich auf
schlichten Liedesflügeln und flog der Sonne nach in ihren Ab-
grund, dessen Röte langsam verblich. Sie sang die Todesweise
vom Königskinde: Drei Kerzen will ich dir anzünden!
Gereut erbebte beim Schmerz ewigen Abschiedes, allfül-
lender Todesklage. Alles was geschah, sein Geheimnis, sein
Schicksal waren in ihm vorgebildet, er war vertraut mit Allem,
ehe es geschah, in seinen Träumen hatten sie lange neben ihm
geschlafen, um plötzlich zu mahnender Gewißheit aufzustehen:
Ereignisse, Taten, Abschiede, Herrlichkeit, Größe. Sie waren
ein Ihn-Rufen, Ihn-Verwandeln, Ihn-Heiligen, vor dem sein Herz
zitterte. Schrecken reckte den Stachel, Furcht ätzte Todes-
gift ins Blut, Vernichtung zerschlug: Den, der nicht aus erzbe-
reitem Willen die Tat vollbrachte, Sendling am guten Tag des
Gewitters! Gereut kannte wehrhaft Tag und Stunde, sanft
unschreckbar stand sein Haupt, seiner Sonne folgte das Schick-
sal donnernd nach.
Gereut hatte den schweren Schatten der Furcht empfunden,
Stachel und Vernichtung seines Selbstseins: den Hemmenden,
den Zergliederer, den Halbmann! Aus seinen verfluchten Sümp-
fen war Pinkepank, von den Seelen der Menschen genährt und
selbstbewußt geworden, in Gold gekleidet, aufgefahren gen Him-
giel, und hatte sich in das ewige Licht an Gottes Seite gesetzt.
Gottes Fülle eignete er sich nach Art roher Emporkömmlinge
an und besaß sie, die Mächtigkeit menschlicher Seelen, die groß
an Liebe und Weisheit geworden waren, ließ er zum Purpur-
mantel weben, in dem er sich zur Schau ausstellte. Wissen und
Kraft der Zeitalter benutzte er listig, um Stolz und Würde der
Rassen zu untergraben, und an ihrer ehrwürdigen Stätte sein
Ich aufzurichten. Er knechtete die Fülle des unendlichen Lebens
und das geduldige Rind wartete vor dem Messer des Schlächters.
Reichtum des Erdballs, königliche Herrschermacht verlieh Pin-
kepank seiner zerrütteten Brut, über den Erdball sank ein
furchtbarer Schatten, er hatte ihn durch blutigen Fleiß bezwun-
gen, er hatte ihn bezahlt, deshalb gehörte er ihm.
Aber Pinkepank war zur Schöpferliebe unfähig, obgleich
er versuchte, die ungeheure und leise Schwungkraft des Lebens,
aus seinem Feuerkreise in den verdorrten Adern gerinnen zu
lassen. Er blieb unfruchtbar, seine Werke strebten zum dürf-
tigsten Zusammenhang, ihm war die geheimnisvolle Bindung der
Liebe versagt.
Liebe suchte er allerwege, um jeden Nerv mit Weineskraft
zu entflammen, in jegliche Kälte, jeglichen leeren Augenblick
geschlechtliche Brände zu schleudern. Er selbst brannte und
flammte und liebte nicht, Demut der Liebe band nicht seine
schweifenden Hände, schöpferisches Feuer brach nie seine
karge Art.
Furchtbare Stunde, wenn aus erloschenem Krater die La-
wine des Feuers aus dem Erdinnern grollt; tötlicher Untergang,
schmerzvolle Befreiung! Dem glorreichen Tage jauchzte Gereut,
der göttliche Urmensch, Fürst der Sterne, Sieger der Aufgänge
Sonne, dem das Schicksal donnernd folgte. Der Schatten wich
von seinem Selbstsein, der Makellose trat vor ins All und hob
grüßend die Waffen. Sein Schwur zuckte die Herzen, sein
Schlachtruf weckte die Krieger: die gebückt in der Erde, auf
Saturn, Venus, Neptun, Mars und allen großen Gestirnen der
Himmels-Gespanne dem Schöpfer ihre Angesichter zukehrten
und ihm Treue leisteteten. Sie eilten herbei, die Erde bedeckte
sich mit ihren Scharen und an ihrer Spitze brach der rote Gereut
hervor auf Pinkepanks lederne Haufen, seinen lottrigen, von
rasenden Reden und Flüchen geschwollenen Heerbaum der
zerfressenen Gesichter, der von bürgerlichen Gewohnheiten,
Ausschweifungen geschwächten Geister und verkommenen Lei-
ber. Das fressende Feuer fiel nieder und Gereut schmiedete
zum Siegesmal Pinkepank auf den Ambos mit Blitzen aus seinen
Schöpferhänden von Stahl, warf die Türme um und setzte Gott
aus dem Schatten ein in sein ewiges Licht,
in Gottes Herrlichkeit:
Vor den Getreuen sang Gereut das uralte Gebet des Lord
Er ist so niedrig, daß ich alle seine Gesichter sehe,
Er ist so hoch, daß ihn niemand erreichen kann,
der Verborgene, dessen Namen niemand kennt.
Er ist unter den Menschen
Er ist bei den Göttern
wenn sie leben,
wenn sie sterben,
ohn Aufhören gibt er die Hand ihrem Sein
sie sind ewig in I H M
Ende
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