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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Achtes Heft
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Walden, Herwarth: Kenner
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0120

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Kenner
Er ist so frei
Herr Pfarrer Traub aus Dortmund benutzt seine wiederge-
wonnene christliche Freiheit, unchristlich in die Freiheit der
Kunst einzubrechen. Er stiehlt sich sogar die Freiheit: „In Dres-
den stahl ich mir zwei Stunden für die dortige Sommerausstel-
lung und habe es wahrhaftig nicht bereut." Das ist unschrist-
lich. Denn er verzeiht ohne zu verstehen. Und er versteht
nicht, ohne zu verzeihen. „Ich wußte nicht, wie mannigfaltig
und ernst hier gearbeitet wird. Mit vielem kann sich mein ver-
altetes ästhetisches Urteil nicht befreunden. Daß aber aus der
Welt des Expressionismus sich eine wirkliche Kunst herausar-
beiten kann, davon bin ich überzeugt." Der Diebstahl hat also
Folgen. Nur hat sich der Herr Pfarrer in der Welt geirrt:
„Wenn freilich der Hauptsaal mit den Bildern von Hettner, Röß-
ler, Beckmann und besonders Böckstiegel der Höhepunkt der
Ausstellung sein soll, dann bin ich schwer enttäuscht." Man
sieht aus den Namen dieser Bildermaler, daß Herr Traub wäh-
rend der letzten Jahrzehnte sich keine zwei Stunden gestohlen
hat. Während er also früher sich die Zeit nicht nahm, hat er
desto schneller in aufgezwungener Freiheit sein ganzes Christen-
tum vergessen. Nun steht das Christentum der Kunst näher als
die Freiheit der fortschrittlichen Volkspartei. Herr Traub fühlt
sich als Persönlichkeit. Es ist sogar sein größtes Glück gewor-
den. Er hat sogar Urteil. Jede Persönlichkeit urteilt. Zwei
Stunden hat er mit sich zu Rat gesessen und als Angeklagter
steht er vor der Welt, die er stolz durch den Hauptsaa! betreten
hat. Aber er steht nicht betreten da. Er ist eine Persönlich-
keit. Seine Freiheit gibt Gesetze. Während nur das Gesetz die
Freiheit ist: „Das oberste Gesetz aller Kunst bleibt die Form.
Die Farbe hat die Form zu beleben, zu gestalten, aber nicht zu
erdrücken. Die Farbe selbst ist schon herrisch genug, desto not-
wendiger daß man ihr Meister, nicht ihr Sklave sei." Eine Per-
sönlichkeit ist immer in Form. Nur ist die Form recht farblos.
Die Persönlichkeit fühlt sich von der herrischen Farbe erdrückt
und will sie meistern. Die Farbe soll Halt machen an der
Grenze der Persönlichkeit. Die Grenze, die der Persönlichkeit
Form ist. Die Persönlichkeit scheut sich vor dem Leuchten.
Im Leuchten sieht sie ihre Grenze, die dicht vor ihrer Freiheit
gezogen ist. Die Persönlichkeit fürchtet sich vor dem Leuch-
ten. Sie sieht die Form nicht mehr, die vier Striche, die ihre
Welt ist. Darum muß das Leuchten gelöscht werden. Es brennt.
Aber Farben sind herrisch. Sie brennen, selbst wenn ein Herr
Traub sich seines ästhetischen Urteils versichert. Herr Traub
ist sehr unsicher in der Welt, in die er sich hineingestohlen haj;.
Er sieht Feuer, das nicht brennt. Er sieht Farben, die nicht
leuchten. Er fürchtet sich, der freie Mann. Er will nicht Sklave
sein, der freie Mann. Der Heiligenschein ist ihm nur Dogma. Er
ist nicht heilig mehr, der Herr Traub. Er ist schlicht Meister.
Meister der Meister, die sich von der Farbe nicht beherrschen
lassen.
Aber noch mehr fällt ihm auf: „Es fällt mir überhaupt auf,
wie Männerköpfe und Frauenbilder zunehmen und wie der
Mensch wieder als Persönlichkeit gewinnt. Ob das mit dem
Kriege zusammenhängt?" Die Persönlichkeit beginnt zu denken.
Ob das mit dem Kriege zusammenhängt, das Zunehmen der
Männerköpfe und der Frauenbilder? Darüber ließe sich lange
philosophieren. „Frauen werden sich mehr für das Bild eignen
und Männer mehr für die Statue. Auch darüber ließe sich lange
philosophieren." Und diese Erkenntnis hat Herr Traub in zwei
Stunden gewonnen. Es ist nicht auszudenken. Wirklich, der
Mensch gewinnt wieder als Persönlichkeit. „Freilich müssen sie
wirkliche Männer sein. Es ist eine Freude zu sehen, daß wir
Köpfe besitzen — trotz der männermordenden Schlachten." Und
dabei ist Herr Traub noch nicht einmal in Stein gehauen. Ob-
wohl ich ihn mehr malerisch empfinde.
Herr Traub ist für den Geist trotz dem Genitiv seiner män-
nermordenden Schlachten. Aber er hat auch Gemüt: „Für Still-

leben habe ich nie viel übrig gehabt". Er dankt für gemalte
Lebensmittel. Ob das mit dem Kriege zusammenhängt? In
den Ausstellungen taucht aber allmählich eine neue Art dieser
Bildform auf. Aus dem bewegten Wasser rauscht: „Nicht
Aepfel und Fische, nicht Gläser und Vasen, nein erzählende Bil-
der voll Tragik oder Sonnenschein, wie sie sich in einem ein-
zigen Möbel oder in einem Zimmereck einstellen." Die Bilder voll
Tragik oder Sonnenschein werden sich in einem einzigen Zim-
mereck besser einstellen, als in einem einzigen Möbel. Solche
Bilder können sich in einem einzigen Gehirn einstellen, das wirk-
lich ein recht altes Möbel ist. Die Folge ist, daß Herr Traub
über eine Zigarrenkiste stolpert, die mächtig in das Möbel fährt.
„Daß eine Zigarrenkiste mit Gewichtsteinen und einem kleinen
Holzfäßchen vor der Wage uns zum Stillstehen zwingt, sollte
man garnicht glauben." Durch die tragische Zigarrenkiste mit
dem sonnigen Holzfäßchen wächst das Ich des Herrn Traub zu
einem feierlichen Uns. Er lebt, er versöhnt sich sogar mit ge-
malten Aepfeln, für die er nicht viel übrig hat: „Dieser Künstler
muß mit der Seele der Dinge leben. Er läßt uns den ganzen
Duft und die frische Pracht des Apfelkorbs einatmen in einer
verlorenen Ecke, umgeben von verfaulten Stiefeln, Feldmütze
und Schlapphut, die wie die Bettler vor dem Domportal stehen
und doch mit dazu gehören." O Tragik! 0 Sonnenschein! Und
daß dieser Künstler uns die verfaulten Stiefel nicht mit einatmen
läßt, zeugt für die Güte seiner Seele und die Schwäche seiner
Malerei. Man soll nicht Bilder durch die Nase sehen. Wer aber
eine so feine Nase hat, wie Herr Traub, der kann in einer ver-
lorenen Ecke frische Pracht einatmen.
Aber Herr Traub hat nicht nur Geist. Aber Herr Traub hat
nicht nur Gemüt. Herr Traub hat eine Seele. Er ist komplett:
„Nun will ich von Bildern erzählen, die den stärksten seelischen
Eindruck auf mich machten. Da war das wuchtige Bild vom
Schweinehirten. . . . Das Bild in Saal drei hat ja fast etwas Lino-
leumartiges in seinen gespensterhaften schwarzen Flächen." Man
könnte es also gut als Teppichersatz für das verlorene Zimmer-
eck verwenden. „Man muß sich langsam in dem Dunkel zurecht-
finden, ehe man in diesem Schweinegrunzen den verlorenen
Hirten finden kann." Der Hirte ist offenbar etwas aus der Form
geraten. Doch der Sonnenschein der Seele findet sich langsam
auch in der dunklen Tragik des Schweinegrunzens zurecht. „Er-
schütternde Nacht deckt die Tragik eines reichen Jünglings. Er
scheint selbst fast wie aufgefressen von diesen Schweinen. Es
fehlen ihm nur noch die vier Füße, bald wäre er auch nur ein
Stück dieser Herde," Der Künstler hat sich dieses Schweine-
leben schwer gemacht. Hätte er wenigstens die zwei Füße des
reichen Jünglings vor den Schweinen gerettet, so würden ihm
nur noch zwei Füße gefehlt haben, um ein sichtbares Stück die-
ser Herde zu sein. „In schwarzen Strähnen strömt sein Haar
zur Erde. Und doch atmet diese Spukgestalt des Elends volles
Menschentum, so nah die Sauen sich an sie heranwagen. Seine
Heimat ist noch nicht verloren." Herr Traub atmet bekanntlich
die irische Pracht ein. O Sonnenschein, während der reiche
Jüngling volles Menschentum ausatmet. 0 Tragik. O Tragik
der Sauen in Linoleumart. O Zimmereck. O Zigarrenkiste.
Nicht Aepfel und Fische. Eine neue Art der Bildform taucht
auf. Der Traub saß daran: „Ergriffen ging ich ganz langsam
von diesem Bilde weg, um noch manchesmal zürückzukehren."
Die zwei Stunden werden gut ausgenutzt. Und siehe. Herr
Traub sieht zwar keine Bilder, er erzählt weiter von Bildern,
die den stärksten seelischen Eindruck auf ihn machen. Er geht*
weg. Er kehrt zurück: „Dann aber packte mich immer mehr das
sitzende Mädchen in seiner grellen strotzenden Sündenfrische."
Herr Traub schwärmt aus in seiner Freiheit, so weit das
packende Mädchen es zuläßt: „Das ist eine leuchtende Predigt
von Farbe und Fleisch, von Schicksal und Gewalt. Eine einzige
freche Harmonie zusammengepreßter Farben." Hier hat die
Farbe sich offenbar an der Sündenfrische des Mädchens ge-
halten. Es ist nicht schwer das Fleisch zu predigen, wenn es
Form hat. O Seele. O Kunst. Mit dem Frauenkopf hingegen
weiß Herr Traub zuerst nichts anzufangen. Er ist nun einmal
 
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