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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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9. Heft
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Blümner, Rudolf: Licht und Schatten: zu den wechselnden Lichtbildern von Nikolaus Braun
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0168

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und Vorurteilslosigkeit in ihnen doch das er-
kennen müssen, was ihnen unter dem Begriff
des Reliefs längst bekannt war. Jedoch waren
guter Wille, Einsicht und Vorurteilslosigkeit
zurückgedrängt durch die Enge des Begriffs,
den sie unter dem Relief verstanden. Denn das
Relief war ja für sie, wenn sie es schon irgend-
wie unterbringen wollten, ein Teil der Bild-
hauerei. Und in der Bildhauerei sah man
wiederum weniger das rein Bildnerische, als
vielmehr das Abbildende. Und schliesslich war
es ein ausgemachtes Vorurteil, dass dergleichen,
Vollplastik wie Relief, aus Stein oder Metall zu
formen sei und damit genug. Aber freilich hätte
die Unterordnung dieser dreidimensionalen neuen
und nueuartigen Gebilde unter dem alten Begriff
Relief weiter nichts zur Folge gehabt, als eben
die Befriedigung der schematischen Einordnung.
Einer wahren Erkenntnis hätte sie kaum gedient.
Denn man sah im Relief ungefähr eine dem
„Bilde“ angenäherte Plastik, anstatt, wie man
hätte tun sollen, in der Plastik, der Bild-Hauerei,
das „Bild“ zu sehen und sogar zu erkennen,
dass jede Plastik nur reliefmässig wahrge-
nommen werden kann. Denn jede Plastik er-
scheint nicht nur darum als Relief, weil sie nur
von einer Stelle aus gleichzeitig sichtbar ist,
sondern in speziellem Masse darum, weil
wenigstens die gesamte Plastik der früheren
Zeit aus der Empfindung einer solchen einsei-
tigen Betrachtung heraus stets eine Haupt-
stelle der Betrachtung voraussetzt. Diese ein-
seitig bevorzugte Behandlung bei der Gestaltung
einer Vollplastik war künstlerisch nicht gerecht-
fertigt. Denn wenn auch nur eine reliefmässige
Betrachtung der Vollplastik möglich ist, so liegt
in der dreidimensionalen Gestaltung der Plastik
doch die Möglichkeit einer unendlichfachen
reliefmässigen Betrachtung. Und diese Mög-
lichkeit schliesst in sich eine Forderung auf
unendlichfacher Betrachtung, eine Forderung,
die also die Plastik durch ihre reine Existenz
für sich selbst aufstellt: dass sie nämlich von
allen Seiten betrachtet (ringsherum, vielleicht
auch von oben, vielleicht sogar von unten) als
Relief, also als Bild, also als künstlerisch ge¬

ordneter Organismus wirke. Es ist eine For-
derung, die etwas von der Quadratur des Zirkels
hat. Es scheint nicht nur, als müsse man von
einer Plastik verlangen, dass sie im freien
Raum schwebt, es scheint sogar, als wäre die
einzige vollkommene Plastik-die Kugel,
wenn nicht-oder wenn —-

Ich will zuerst vom „Wenn“ sprechen: wenn
die Plastik mit dem Tastsinn wahrgenommen
würde. Aehnliches ist behauptet worden. Einige
haben gesagt, man betrachte die Plastik mit
einem latenten oder immanenten Tastgefühl. Es
wäre mehr umständlich als schwierig, der-
gleichen als Irrtum zu widerlegen. Auch das
Körperliche ist nur zweidimensional wahrnehm-
bar und also ist auch die Kugel stets nur als
Scheibe anzusehen. Und da sie von allen
Seiten als die gleiche Scheibe erscheint, so
wäre die Kugel (nach jener eben erforschten
Forderung) eine vollendete Plastik, wenn diese
Ein-Form künstlerische Beziehungen enthielte.
Wenn sie nicht vielmehr ohne alle künstlerischen
Beziehungen und also ohne allen Rhythmus wäre.
Aber grade das Einzige, was sie zur Mehr-Form
bringen kann, bringt sie auch wieder um die
Möglichkeit einer allseitigen Kunstform. Die
Kugel wäre nämlich (von dem eben festge-
stellten Rhythmus-Mangel abgesehen) noch aus
einem zweiten Grunde die vollkommenste
Plastik, wenn sie nicht als ein Ding, das nicht
gefühlt sondern gesehen wird, blosse Erschei-
nung, Schein wäre, wenn sie also nicht nur
durch diesen Schein, den Lichtschein, das Licht
für die Betrachtung existierte. Die Dinge, die
wir, wie man zu sagen pflegt, „sehen“, sind
als belichtete Lichtkörper geworden, sie
sind identisch mit dem Licht, sie sind, wenn
und weil sie gesehen werden, Lichtquelle, und
ihre Verschiedenheiten, ihre Teile sind Licht-
grade. Es ist kein Problem, eine Kugel so zu
beleuchten, dass sie allseitig gleichmäßig be-
leuchtet ist. Dann aber bleibt sie noch immer
ohne Rhythmus. Nur verschiedenes Licht (also
auch verschiedene Farben) können sie rhyth-

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