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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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9. Heft
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Blümner, Rudolf: Licht und Schatten: zu den wechselnden Lichtbildern von Nikolaus Braun
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0169

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misieren. Ist sie nun, diese Kugel, die bisher
nur als bildhafte Scheibe wirkte, dadurch etwa
Plastik geworden, dass sie farbig rhythmisiert
wurde? Oder wirkt sie nicht vielmehr auch
jetzt noch nur als Bild? Und ändert es etwas
an dieser blossen Bildhaftigkeit, dass diese
Scheibe — gesetzt den Fall, es wäre einem
Künstler gelungen — von allen unendlichen
Seiten gesehen, im Rhythmus bleibt? Und so
ist es offenbar nicht die rhythmisierende Farbe,
welche ein Dreidimensionales zur Plastik macht,
sondern jede Veränderung der Einform Kugel,
die sie zur Mehrform macht. Es ist die Gliede-
rung der Form, die eine Plastik schafft. Das
Ganze sehen wir nur als Bild. Woran aber
erkennen wir die Gliederung der Formen? Es
kann auch nur etwas bildhaft wahrnehmbares
sein: an Licht und Schatten. Und an nichts
anderem. Man pflegte bisher zu sagen, der
Bildhauer müsse auch das Licht und den
Schatten berücksichtigen, die sich auf der
Figur zeigen, oder: Licht und Schatten nuan-
cieren die Figur bald so, bald anders. Da
kann man wohl einmal sagen, es sei ein
qui pro quo. Wie? Das Licht ist auch zu
berücksichtigen? Es schafft Nuancen? Da
doch alle Formen dieser sogenannten Plastik
nur an Licht und Schatten erkennbar sind. Da
doch Licht und Schatten, da doch das Bild
aus Licht und Schatten gar nichts anderes
ist, als jenes massive Kunstwerk Plastik!
Wäre es anders, so könnte man von der
weissen Marmorfigur nichts gewahren als
ihre Konturen. Aber warum so viele Umstände,
um nichts zu zeigen, als ein Bild? Es kann
wohl nur den Sinn haben, an einer realen
Vielform unendlich viele Bilder (Reliefs) zu
zeigen, indem man sich um die Figur her-
umbewegt, oder indem die Figur vor unseren
Augen von allen Seiten gezeigt wird. Es ist
ein Licht- und Schattenspiel, dessen Vollendung
auch dann keinem Künstler gelänge, wenn er
nicht obendrein noch unendliche Stellungen
des Lichts zu berücksichtigen hätte. Was
Wunder, dass die Künstler auf dieses Zauber-
kunststück zu allen Zeiten in weitgehendem

Maasse verzichtet haben, was Wunder noch
mehr, dass sie dieses unendlich wechselnde
Lichtkunststück mit Vergnügen bis zum Relief
reduziert haben. Da ist der Licht- und
Schattenwechsel auf ein geringes beschränkt.
Aber w.as hilft es? Noch immer bleiben Licht
und Schatten einem Zufall unterworfen. Erst
das zweidimensionale Gemälde beseitigt diesen
Zufall, weil es die Lichtgliederung festlegt.
Ganz? Ach, wir wissen ja, welche wahrhaft
fatale Rolle die Beleuchtung bei der künst-
lerischen Wirkung der Gemälde spielt. Was
im Gemälde differenziertes Licht ist, dessen
Abwägung den künstlerischen Wert des Ge-
mäldes ausmacht, wird von neuem einer zu-
fälligen Belichtung mit ihren zufälligen chao-
tischen Differenzierungen preisgegeben. Sogar
das bunte Glasgemälde (Glas mit Hinterlicht)
erscheint im wechselnden Himmelslicht bald
so bald anders und nur das berechnete künst-
liche und gleichbleibende Licht kann es zu
einem rein leuchtenden Kunstwerk der Vision
machen. Die Beleuchtung des sichtbaren
Kunstwerks, des Gemäldes und der Plastik, ist
— sozusagen — seine Tragik. Was sie ge-
schaffen hat, droht sie wieder zu ze'stören.
Gemälde und Plastik wollen Lichtgestalten
sein, aber nicht kümmerlich und fehlerhaft be-
leuchtet wie der profane Gegenstand. Eine
Erleuchtung in sich und für andere, wie das
Licht selbt, ist das Wesen des sichtbaren
Kunstwerks. Die Beleuchtung für das Chaos
der Nicht-Kunst!
❖ *
*
Die Folgerung solcher Erkenntnisse ist das
leuchtende Kunstwerk. Bisher kannten wir das
nur als das diaphanische. Nikolaus Braun
arbeitet am selbstleuchtenden Gebilde, an der
leuchtenden Plastik, dem leuchtenden Relief,
die sich selbst ihren Schatten setzen, weil sie
selbst Licht setzen. Rein faktisch und technisch
sind seine Arbeiten in Rahmen gebrachte relief-
mäßige Kompositionen, zumeist aus Holz und
Metall. Die Schatten der reliefmäßig vorsprin-
genden Teile ergeben sich nicht aus einem
zufälligen und willkürlich wechselnden Außen-

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