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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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12. Heft
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Walden, Herwarth: Amtliche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0228

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ihm nachempfinden, daß er den Expressio-
nismus für eine deutsche Angelegenheit hält.
Wenn nun aber durch diesen peinlichen Ex-
pressionismus sich das gegenwärtige Deutsch-
land und leider noch Italien und Rußland
widerspiegelt (das ist schon der berühmte
Wahnsinn ohne Methode), wie kann der
Geheimrat eine so ernste Angelegenheit eine
gewisse stylistische Erscheinung nennen. Der
Geheimrat macht es wie die übrigen ver-
schlafenen Kunstforscher. Er setzt die Ent-
stehung des Expressionismus einfach in das
Jahr, in dem er erwacht ist, und geht dann
zu den Dingen der Kunst selbst über. „Der
Expressionismus deformiert mit Willen, er
stülpt die Dinge um, übersteigert sie. Der
Hang zur Primitivität beherrscht den Künstler,
der Drang zum Abstrakten, der Drang zum
Pathos". Der kleine Moritz hat bekanntlich
geglaubt, daß der Expressionismus ohne
Willen deformiert, weil die jungen Leute nicht
zeichnen konnten. Hier wird nun der kleine
Moritz, hier werden die großen Kunstkritiker
eines besseren belehrt. Dem Expressionismus
wird amtlich bestätigt, daß er mit Willen
deformiert. Er stülpt die Dinge der Kunst
um, sagt der Geheimrat. Was mag der
Mann sich unter deformieren denken. Hang
und Drang beherrschen den Künstler, sagt
der Geheimrat; Sturm und Drang zu sagen,
ist ihm zu riskant. „Mit einemmal aber
komplizieren sich die Dinge." Mit einem-
mal ist gut, weil der Geheimrat erst eben
aufgewacht ist, geht es verdammt schnell mit
der Krisis und dem Glück mitzumachen.
„Mit einemmal aber komplizieren sich die
Dinge: das Abstrakte wird vom Verismus,
von der neuen Sachlichkeit, abgelöst; neben
die Neigung zum Pathos trift eine neue
Melodik, etwas Neuklassizistisches, und an
der Stelle der Primitivität meldet sich die
Sehnsucht zum Können."

Sich. Auf deutsch: sie verwickeln sich. Wieso.
Bei wem. Wodurch. Es sind rechtschaffen
verwickelte Dinge. Kommando der Sehn-
sucht von Kunstunsachverständigen: Ab-
lösung vor. Das Abstrakte wird von der
neuen Sachlichkeit abgelöst. Da es aber
bekanntlich nur eine Sachlichkeit gibt, so ist
die neue Sachlichkeit die gute neue Sachlich-
keit. Schlichter Kitsch genannt. Der Ge-
heimrat erlebt das Glück, den Kitsch selber
mitzumachen. Nach der Ablösung meldet
sich gehorsam, wie befohlen, die Sehnsucht
zum Können. Der Geheimrat behauptet
also, daß die Künstler des Expressionismus
bis zum Moment seines Erwachens nichts
gekonnt haben. Trotzdem man draußen
geurteilt hat, daß sich Deutschland eben in
den Formgebungen seiner Kunst wieder-
spiegele. Nachdem der Geheimrat sich in
seinem Deutschland gründlich geirrt hat,
„geht er den neuen Strömungen in allen
Ländern nach". Er behauptet, „in Rußland
sei die Radikalisierung der Kunst deshalb
so gründlich erfolgt, weil doch eigentlich
keine Tradition geherrscht hat, keine natio-
nale Kunst." Der Geheimrat ist aber zu
spät nach Rußland gereist. Er hätte dort
beinahe eben so viel Traditionskitsch und
nationale Kunst finden können, wie in
Deutschland. Daß man in Rußland auch
heute noch Kitsch macht, ist kein Beweis
für die neue Sachlichkeit. Ganz famos ist
seine Entdeckung der Kunsidinge in Italien:
„Der Grund zum Futuristischen war einfach
der, daß der modernen italienischen Kunst
immer die große Vergangenheit vor Augen
geführt wurde." Höchst einfach und nicht
kompliziert. Wie anders in Deutschland.
Hier wurde der jungen Kunst nichts vor
Augen geführt. Nichts von der großen Ver-
gangenheit. Man hatte nämlich keine. Und
die große Vergangenheit anderer Länder, die
 
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