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Thausing, Moritz
Wiener Kunstbriefe — Leipzig: Seemann, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.47062#0052
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III.

Deutschland und der gothische Stil
eltsame Schicksale erzeugen auch seltsame An-
schauungen. Daher denn die Irrthümer, welche
das deutsche Volk im Allgemeinen heute noch
über die Stilperioden seiner Kunstgeschichte hegt,
daher auch die schrankenlose Stilmischung, die fort-
während einen Druck auf die Entfaltung unserer mo-
numentalen Kunst ausübt. Wie überall in mensch-
lichen Dingen ist auch hier der Weg der historischen
Entwickelung das einzige Mittel wahrer Aufklärung.
Mit der blossen Aufsuchung und Beschreibung der
uns erhaltenen Denkmäler hat ja die Kunstgeschichte
immer erst den leichteren Theil ihrer Aufgabe erfüllt.
Sie muss zugleich ihre Thatsachen mit den zeitlichen
Culturverhältnissen in Zusammenhang bringen, sie
daraus zu erklären, darnach zu beurtheilen trachten.
Nur auf diesem Wege können wir zu einem richtigen,
objectiven Massstabe kunstgeschichtlicher Beurtheilung
gelangen, und dies ist der historische; während das
ästhetische Urtheil dem wechselnden Zeitgeschmäcke
genau so unterworfen ist, wie die Kunstproduction
selbst.
Es ist aber auch die Pflicht der Wissenschaft,
ihre Ergebnisse laut und vernehmlich auszusprechen,
umsomehr dort, wo das Geschmacksurtheil von falschen
 
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