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Weinbrenner, Friedrich
Architektonisches Lehrbuch (Band 3): Über die höhere Baukunst — Tübingen, 1819

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https://doi.org/10.11588/diglit.6994#0013

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§. 5. Indem die Schönheit eines Objekts aus den Umrissen erkannt wird, muss bcmeikt weiden,

da ss

a) nicht alle, sondern nur edle Gegenstände einer Schönheit fähig sind, und dass

b) die Unirisslinien den Gegenstand nach allen Theilen treu und vollkommen geben müssen.

§. 6. Die Schönheit liegt somit in der vollkommenen Uebereinstimmung der Form mit dem Zweck,
und vollkommen ist die Form, wenn das Objekt in ihr vollendet erscheint, so dass wir für die gegebene
Gestalt nichts dazu oder davon denken können.

§. 7. Schön ist demnach eine Gestalt, in deren Umrissen sich durchaus eine zweckmässige Vollen-
dung zeigt. Die Zweckmässigkeit selbst wird durch den Begriff der Gestalt bestimmt. *)

Hieraus ergiebt sich dann auch, dass es für weibliche und männliche Schönheit, für Jugend Und Alter,
für Tempel und Palläste, verschiedene Schönheits - Typen geben müsse.

§. 8. In der wahren Schönheit begegnen sich das Objektive und Subjektive, oder beide sind viel-
mehr eins; wo diese Einheit fi»H». ^Q wird th« <^^«'^ .«du erkannt, oder das Hässliche für schon ge-
halten. Das Kunstwerk spricht uns nur an, wo es unsern Begriffen und Gefühlen entgegen kommt.

§. 9. Dass die Harmonie oder vielmehr die Uebereinstimmung der Linien mit dem Zweck des Ob-
jects eine wesentliche Bedingung des Schönen ist, und dass blosse Formen ohne Beziehung auf ein Ob-
jekt kein wohlthätiges Gefühl in uns erregen und gleichsam nur todte Zeichen sind, kann man schon aus
jeder absichtslos gezogenen Linie darthun. Ausserdem könnte man die Schönheit und selbst die Ver-
schiedenheit derselben, in einer Vergleichung der Formen des Apollo mit denen des Herkules vermöge
der individuellen Zweckmässigkeit von beiden nachweisen. Diese beiden Statuen, so sehr sie auch in den
Formen von einander abweichen, finden wir nämlich darum schön, weil sie die verschiedenen Begriffe vom
Apollo und Herkules ganz vollkommen ausdrücken, ohne dass wir uns ein höheres Ideal von beiden den-
ken können. Ein gleiches Bewandniss hat es auch mit den Bildsäulen der Venus , Juno und Minerva,

*) Kant, wenn er das Schöne dem Erhabenen entgegen setzt, gibt an, dass das Schöne ohne alles Interesse gefallen müsse,
dass Schönheit die Form der Zweckmässigkeit eines Gegenstandes sey, die ohne Vorstellung eines Zweck» an ihm wahr-
genommen werden kann, dass schön sey, was allgemein gefalle. Er definirt demnach das Schöne: Schön ist, was durch
seine Form gefällt, oder was durch seine Form Einbildungskraft und Verstand, in eine freie harmonische und spielende
Thätigkeit versetzt, welche mit Wohlgefallen verbunden ist. Das Kunstschöne, das uns Fernow, in seinen römischen
Studien ister Theil 3ter Abschnitt, vor Augen stellen will, mag zwar in seinen vieldeutigen Worten eben so, wie eine
schöne Figur in einem Marmorblock enthalten seyn, um solches aber aus jenem Labirinthe zu entziffern, dazu möchte
wohl Odips Scharfsinn gehören, wie zu jener Entschleierung ein Phidias erfordert wird, um das7 was nicht unmittelbar
zur Figur gehört, wegzunehmen.
 
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