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Weinbrenner, Friedrich
Architektonisches Lehrbuch (Band 3): Über die höhere Baukunst — Tübingen, 1819

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https://doi.org/10.11588/diglit.6994#0059

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ZWEITES KAPITEL.

ÜBER

DIE FORMEN UND DEN ZWECK DER ARCHITEKTONISCHEN GLIEDER.

enn man sicli die auf Tab. IX und X aufgezeichneten Formen als hoble, durch verschiedene
Zimmer, aus Holz, Stein oder andern Materien abgetheilte Räume denkt, so hat man die äussern Haupt-
formen von Gebäuden, allein man kann sich auch unter denselben Massen von einzelnen architektonischen
Theilen, wie Fussgestelle, Sockel, Mauerwerke, u. s. w. vorstellen, wenn man sich solche hiezu in dem
gehörigen Maas denkt, welches diese Gegenstände erfordern.

Betrachtet man die Grundform Tab. IX, Fig. 1, oder überhaupt alle die auf den zwei ersten Blät-
tern dieses Hefts gezeichneten Figuren von i — 5o als ganze Gebäude oder auch nur als einzelne archi-
tektonische Theile, so erlordern ihre Höhenflächen, wenn man sie sich als eine Masse denkt, keine Ver-
zierungen, wenn solche nicht besonders verlangt werden.

In einem solchen Fall, wenn nämlich diese Flächen als Ansichten (Facaden) von Gebäuden nicht
durch Thüren, Fenster oder durch einzelne geformte Steine, aus welchen etwa die Flächen bestehen,
eine Verzierung erhalten, so müssen sie durch Mahlerei oder durch Sculptur - Arbeit u. s. w. verziert
werden, über deren Anordnung in dem folgenden Capitel noch besonders gehandelt werden wird. *)

Der Baumeister muss seine Zuflucht zu andern Gegenständen nehmen, wenn er ohne diese Aus-
schmückung die Monotonie einer perpendikular stehenden ebenen Fläche schicklich und für das Auge
angenehm unterbrechen will.

Da nun der Baumeister nichts ohne Ursache und Zweck anbringen soll, und zu den perpendikularen
Flächen eines Körpers nichts gehört, als was ihnen zur Stärke und zum Schutz dienen kann, wenn sie
keinen andern Zweck als die Ausdehnung haben, so ist solches nur auf eine der beiden Weise zu erreichen.

Stellen wir uns Fig. i. Tab. XI als irgend einen Bedürfnissraum vor, so kann solcher gegen das
Umfallen durch die Vergrösserung der mit demselben in Verbindung gebrachten Basis a verhindert, oder
vielmehr der Stand des Körpers durch dieselbe verstärkt werden. Imgleichen wird derselbe Körper durch
den Deckel b von oben gegen Regen und Eindringen der Luft mehr oder minder geschützt werden, je
nachdem der Deckel mehr oder minder vor dem Erfordernissraum c e hervorspringt. Dieses Vorspringen
des Deckels und Fusses veranlasst zunächst die architektonischen Glieder, weil es oft erforderlich wird,

*) Die Alten haben ihre Mauerwerke bei grossen Flächen oft auf das Sinnreichste verziert, indem sie dieselben bei gebrann-
ten Steinen , netzförmig (opus relicnlalam) oder in sonstigen reichhaltigen Formen zusammensetzten. Eben so gaben sie
ihren Quaderwerken oft vorn in der Fronte eine rustikale oder brillantartige Gestalt', und dadurch dem Quaderwerk ein
gefälliges bedeutungsvolles Ansehen von Stärke.
 
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