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Weinbrenner, Friedrich
Architektonisches Lehrbuch (Band 3): Über die höhere Baukunst — Tübingen, 1819

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https://doi.org/10.11588/diglit.6994#0101

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EINLEITUNG.

isher hat man das Studium der Säulenordnungen als die Basis der höhern oder schönen Baukunst angesehen,
in der Meinung , als Hessen sich alle schöne Verhältnisse in der Architektur aus derselben herleiten. Das
Studium eines Baumeisters, besonders wenn er sich der hohem Baukunst widmen wollte , begann daher
gewöhnlich mit dem Aufzeichnen und Copiren der verschiedenen Säulenordnungen, nach der Vorschrift
eines Säulenbuchs , worin die Theile und Verhältnisse nach Ueberresten des Alterthums abgebildet waren.

Um alle Arten architektonischer Formen auf die Säulenordnungen zurückführen zu können, haben schon
die Baumeister des fünfzehnten Iahrhunderts dieselben in fünf Klassen oder Ordnungen, als in die toskanischc,
dorische, jonische, corinthische und römische, getheilt. In neuern Zeiten hat man sich auch bemüht, eine
sechste und siebente u. s. w. hinzuzufügen. So setzte z. B. die französische Akademie der Künste, zu Blondeis
Zeit, einen Preis auf die Erfindung einer sechsten französischen Säulenordnung , der , zum Glück für die
Baukunst, ungewonnen blieb. *)

Auf welche Abwege dieses Bestreben und eine falsche Ansicht von den Säulenordnungen und dem Wesen
der Architektur geführt haben, zeigen uns so viele, dadurch verunstaltete Gebäude, die gerade wegen zu
strenger Befolgung der von einem Scamozzi, Vignola, Palladio oder andern Architekten aufgestellten Vorschriften
oft misslingen mussten ; da die genannten Meister das Antike unbedingt und ohne Rücksicht auf Sitten,
Klima, Materialien etc. zur Nachahmung vorschrieben. Ohne Zweifel war es die Autorität Vitruvs, welche
den Irrthum erzeugte, die Säule als gleichsam für sich bestehend und vorherrschend in der Architektur zu
betrachten, ohne zu erwägen, dass sie nur Theil und meist nur dienendes Glied eines Ganzen seyn könne ;
denn in der That möchte es wenige Gebäude geben > an welchen nicht zuvörderst die Zweckmässigkeit in

*) Der englische Satyriker Hogarth lösst fcwar im Scherz diese Aufgabe für die französische Akademie auf, indem er ein Capital in der Gestalt
eines corinthischen erfand, und statt dessen Verzierungen von Schnecken, Acanthusblättern etc. französische Allongeperücken, Haarbeutel,
Ordensbänder etc. dafür substituirte, oLne jedoch den ausgesetzten Preis dafür zu verlangen.
 
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