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Weinbrenner, Friedrich
Architektonisches Lehrbuch (Band 3): Über die höhere Baukunst — Tübingen, 1819

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https://doi.org/10.11588/diglit.6994#0151

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sehen. Zwischen den Pilastern und Halbsäulen können dann auch, wie bei Tab. XXXII Fig. 1 2 3 und 4
Tinnen , Fenster u. s. w. Statt finden. Da eine Säule nur ein Stockwerk bezeichnen soll, so ist es zwar
dem Charakter nicht ganz angemessen , die Säulen in mehrere Stockwerke zu theilen, allein der Baumeister
ist oft noth gedrungen , sich dergleichen Anomalien oder vielmehr architectonische Freiheiten zu erlau-
ben, was nicht geschehen würde, wenn er überall freie Hand hätte. *) Betrachtet man übrigens diePilaster
oder Halbsäulen als Mauerverstärkung , so sind die dazwischen gelegten Stockwerke zu rechtfertigen.

Das Profil von Fig. 1 Tab. XXXII zeigt nicht nur die verschiedenen Etagenhöhen innerhalb der Säulen,
sondern auch noch hinter dem Hauptgesims ein kleines Geschoss [attique), welches man gewöhnlich inner-
halb des Friesses nöthigenfalls durch Fenster zu beleuchten pflegt. Bei der dorischen Säulenordnung las-
sen sich zwar die Metopen zwischen den Triglyphen sehr gut in Fenster umwandeln, allein bei den übrigen
Ordnungen ist darauf zu achten , dass der Friess nicht zu sehr durchlöchert und dadurch das Hauptgesims
entstellt werde. Im zweiten Fall, wenn die Säule unten auf einem Stockwerk oder Unterbau sitzt und
oben zwei Etagen einnimmt, wie Fig. 2 Tab. XXXII, oder wenn die Säule unten ein oder zwei Stockwerke
in sich fasst und oben mit einer Attique, wie Fig. 3, versehen werden soll, werden die Gesimse nicht mehr
so colossal, und die Gebäude, wenn es ihr Charakter erfordert, können ein leichteres gefälligeres Ansehen gewin-
nen. Ueber die Eintheilung dieser Stockwerke ist nichts besonderes anzumerken, weil sie, nach dem Zweck des
Gebäudes, die erforderlichen Höhen erhalten müssen. Wenn man indessen lieber in dem Erdgeschoss, oder bei
einem drei - und vierstöckigen Gebäude, nur eine Etage hoch wohnt, so werden hienach die untersten Stock-
werke höher angelegt als die übrigen, welche für Dienerschaft bestimmt sind. Für die aufgesetzten Stock-
werke (attique) , welche gewöhnlich die Dienerschaft einnimmt, wenn diese nicht in ein besonderes
Zwischengeschoss (Entresol), wie Tab. XXXII Fig. 4 a-> angewiesen werden soll, damit Besuchende zu-
erst an den Zimmern der Dienerschaft vorbei müssen , und damit auch die Dienerschaft nicht über
dem Kopfe der Herrschaft herumgeht, bedarf es keiner besondern Vorschrift, indem hier die mässigste
Stockhöhe Statt findet ; der Baumeister muss sie daher zu den übrigen Theilen seines Hauses geschickt
proportioniren.

Im übrigen können die Gesimse der Attique nach der Vorschrift der Säulenordnungen gefertiget werden,
allein wenn die vordere Ansicht mit Pilastern oder Halbsäulen versehen werden soll, so müssen diese bei
einer niedrigen Attique wie bei Fig. 3 Tab. XXXII , die Vorschrift der Säulendicke und nach denen
unter ihnen stehenden Säulen oder Pilastern einen proportionirlen Durchmesser erhalten, damit sie nicht zu
dünn und schwach aussehen.

*) Manche Baumeister beschränken sich bei Anwendung der Säulen zuviel, indem sie dieselben nur frei und nicht als Halbsäulen und
Pilaster angewendet haben wollen, allein ich glaube diese Beschränkung ist zu weit geführt, weil dieselben in dieser Form einem
Bau noch öfters Zierde verleihen und dann gleichfalls als Pfeiler noch demselben zur Solidität dienen können.
 
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