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Weinbrenner, Friedrich
Architektonisches Lehrbuch (Band 3): Über die höhere Baukunst — Tübingen, 1819

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https://doi.org/10.11588/diglit.6994#0194

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Betrachtet man desshalb eine ganze Stadt; als ein Staatsfamiliengebäude, so liegen in derselben alle ein-
zelne Erfordernisse von Bequemlichkeiten , bei welchen sich leicht die Wohnung des armen Bürgers von
der des reichern Staatsmannes unterscheidet, so wie sich diese dann leicht wieder zusammen auf die Woh-
nung des Fürsten und seinen Hofhalt übertragen lassen.

§• *7-

Nach einer solchen Zusammenstellung der einzelnen Bequemlichkeiten und Erfordernisse für die Anordnung
eines Schlossgebäudes folgt, dass ein fürstliches oder königliches Schloss nicht wie das zu Caserta bei Neapel *)
in der Terra felice einem vielstöckigen viereckigen Rasten gleiche, wo die Präsentationsgemächer , die
Wohnung des Königs und der Königin, die der Hofcavaliere und Officianten, die Kirche, das Theater
Küchen, Pferdestall, Kutschenremisen etc. , gegen alle Bequemlichkeiten und allen Anstand , auf und in
einander gepfropft sind, und ein Gegenstand dem anderen im Wege steht.

§• i&

Wird die Bequemlichkeit zur Entwerfung karakteristischer Gebäude als Leiterin der Formen angenom-
men , so dass sich dieselben nach unseren Bedürfnissen , wir aber nicht umgekehrt, uns in dieselben schik-
ken müssen , so kann durch sie das Gebäude des Schusters, das des Kaufmanns , des Fabrikanten , so wie
das des Reichen mit einigen, und das des Fürsten mit vielen Erfordernissen von Bequemlichkeiten , man-
nigfaltig und als ein karakteristisches Ganze erbaut werden. Auf diese Art war , wie ich glaube, das vom
Kaiser Diocletian angelegte Gebäude zu Spalatro am adriatischen Meer ; obgleich zu jenen Zeiten schon die
Baukunst im Verfall lag, so ist dieses Gebäude wohl als Muster eines Schlosses , welches mannigfaltige
Zwecke umfasst, anzusehen.

§• '9-

Uebrigens müssen die Bequemlichkeiten der Gebäude nicht übertrieben und nach jedem individuellen
Erfordernisse erlangt werden wollen , weil die Gebäude oft sehr entstellt und auch öfters ihre Solidität da-
durch beeinträchtiget wird. Dieses war zum Theil in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Frankreich der
Fall, wo man die Wohugebäude mit einer Menge Cabinette von mannigfaltigen Formen und Zusätzen zur
Bequemlichkeit versah, und es für äusserst ingenieus ansah, dass, wenn man an einer Feder drückte, eine

*) Dieser Palast wurde ungefähr in der Mitte des vorigen Jahrhunderts von dem Könige von Spanien durch den Baumeister van
Fitelli errichtet.
 
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